Auschwitz:Der Prozess gegen den 94-jährigen SS-Mann ist richtig

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Er war Wachmann in Auschwitz, nun steht er in Detmold vor Gericht: Der 94-jährige Reinhold Hanning. (Foto: dpa)

Es geht nicht darum, Greise ins Gefängnis zu schicken. Es geht um die NS-Opfer - und auch um ihre Angehörigen. Sie haben ein Recht darauf, den Tätern in die Augen zu sehen.

Kommentar von Robert Probst

Es gibt eine Schlagzeile, die durchzieht seit Jahren die Medienlandschaft. "Der letzte große NS-Prozess" lautet sie und ist doch irreführend. Denn die Prozesse hören nicht auf, es werden sogar wieder mehr - und dabei spielt es keine Rolle, dass die Taten mehr als 70 Jahre her sind und die Angeklagten heute deutlich älter sind als 90 Jahre, gebrechlich und manche nicht länger verhandlungsfähig als ein paar Stunden pro Tag.

"Groß" im Sinne eines Haupttäters sind diese Greise freilich nicht; sie sind vielmehr Helfer und Helfershelfer eines teuflischen Regimes, Männer (und Frauen), die zu Zehntausenden die Mordmaschine der Konzentrations- und Vernichtungslager am Laufen hielten. Ein halbes Jahrhundert nach dem Frankfurter Auschwitz-Prozess rücken also die Mordgehilfen noch einmal in den Blick der Öffentlichkeit. Und das ist gut so, aus mehreren Gründen.

Endlich bekommen die Opfer die ersehnte Gelegenheit

Die Justiz macht einfach ihre Arbeit - Mord verjährt nicht und Beihilfe zum Mord auch nicht. Wie alt ein mutmaßlicher Täter ist, spielt keine Rolle. Dass die Justiz sich nach längerer Untätigkeit nun wieder den sogenannten kleinen Rädchen im Getriebe zugewandt hat, ist eine Folge des Urteils des Münchner Landgerichts gegen John Demjanjuk im Jahr 2011. In den fünf Jahrzehnten nach dem Auschwitz-Prozess hielten deutsche Gerichte die bloße Anwesenheit eines Wachmanns im KZ nicht für ausreichend, um ihn zu bestrafen; nötig war vielmehr der Nachweis einer individuellen Straftat.

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Wieder steht ein früherer SS-Wachmann vor Gericht. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord in mindestens 170 000 Fällen. Doch Reinhold Hanning, 94 Jahre, schweigt.

Von Hans Holzhaider

Man hielt sich an die Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 1969. Seit Demjanjuk sieht man das anders. Allerdings wurde das Urteil gegen ihn nie rechtskräftig; der Mann starb, bevor über die Revision entschieden wurde. Was der BGH über die neue Rechtsprechung denkt, weiß man wohl erst, nachdem er sich mit dem Fall des früheren SS-Mannes Oskar Gröning befasst hat. Der wurde im vergangenen Jahr vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord an 300 000 Juden in Auschwitz zu vier Jahren Haft verurteilt.

Es geht nicht nur um ein Strafmaß

Trotz dieser Rechtsunsicherheit werden nun weitere Täter ermittelt und Prozesse begonnen, wie nun in Detmold gegen den 94-jährigen Reinhold Hanning, einen einstigen Wachmann in Auschwitz. Dabei geht es nicht nur um ein Strafmaß, zumal es - wie die Frankfurter Richter einst schrieben - kaum möglich erscheint, "durch irdische Strafen eine dem Umfang und der Schwere der (in) Auschwitz begangenen Verbrechen angemessene Sühne zu finden". Es geht auch nicht unbedingt darum, Greise ins Gefängnis zu schicken.

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Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Etwa 7000 Menschen befanden sich noch in dem Lager - für immer gezeichnet von den Gräueltaten der Nazis. Bilder von damals und heute.

Es geht vor allem darum, die Opfer in den Mittelpunkt zu rücken. Seit dem Demjanjuk-Prozess treten sie in großer Zahl als Nebenkläger auf und erzählen im Zeugenstand ihre Geschichte und die ihrer ermordeten Großeltern, Eltern, Geschwistern. Sie wollen den Tätern in die Augen sehen, sie wollen von ihnen eine Erklärung hören; sie wollen Gerechtigkeit, ganz selten Vergeltung; sie sehen sich in der Pflicht, die Erinnerung am Leben zu halten. Die Prozesse garantieren ihnen Aufmerksamkeit.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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