US-Vorwahl:Weiblich, jung, liberal - wählt Bernie statt Hillary

US-Vorwahl: Die Frage, wieso Hillary Clinton ausgerechnet bei jungen Frauen nicht ankommt, beschäftigt die US-Medien

Die Frage, wieso Hillary Clinton ausgerechnet bei jungen Frauen nicht ankommt, beschäftigt die US-Medien

Streit unter Amerikas liberalen Frauen: Die Generation über 50 verehrt Hillary Clinton und hält jüngere Feministinnen für undankbar. Die fühlen sich bevormundet.

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Zurzeit wundert sich Kathleen Sciurappa ständig. Der Pädagogin aus New Hampshire fällt es nicht nur schwer, die Popularität des Republikaners Donald Trump zu erklären. Die 64-Jährige kann auch nicht verstehen, dass so viele junge Frauen Hillary Clinton nicht unterstützen wollen. "Ich bin begeistert von der Vorstellung, dass eine Frau im Weißen Haus regieren könnte", sagt Sciurappa, als sie kurz am Community College in Manchester auf die ehemalige Außenministerin wartet.

Der 24 Jahre alten Ainsley-Aude Croteau fällt hingegen nur ein Wort zu Hillary Clinton ein: "Unehrlich." Die Informatik-Studentin aus Portsmouth gehört zu den vielen Frauen, die sich bei der Vorwahl in New Hampshire für Bernie Sanders entschieden haben. 53 Prozent der Wählerinnen stimmten vergangene Woche für den Senator aus Vermont - und bei den unter 34-jährigen Frauen erhielt er sogar 87 Prozent.

Die Frage, wieso Hillary Clinton ausgerechnet bei jungen Frauen nicht ankommt, beschäftigt seither alle US-Medien. Wollen weibliche millennials nicht Geschichte schreiben und die erste US-Präsidentin bejubeln? "Für mich bedeutet Feminismus, dass beide Geschlechter gleichberechtigt sind", meint Croteau. Es habe nichts mit Feminismus zu tun, wenn jemand von ihr verlange, als Frau für eine weibliche Bewerberin stimmen zu müssen, so die Studentin.

Genau so hatten allerdings einige prominente Hillary-Fans zuletzt argumentiert. "Für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen, gibt es einen besonderen Platz in der Hölle", sagte Madeleine Albright in New Hampshire. Die 78-Jährige, die unter Bill Clinton zur ersten US-Außenministerin aufstieg, hat sich für den Satz ebenso entschuldigt (Details hier) wie Gloria Steinem für ihren ziemlich sexistischen Spruch. Die 81-jährige Gründerin des feministischen Ms. Magazine hatte erklärt, junge Frauen würden Sanders nur unterstützen, weil "die Jungs" dies auch tun würden.

Es ist diese Art von Bevormundung, die viele junge US-Amerikanerinnen nervt und verärgert. Die 23-jährige Clio Chang hat in einem Text für den New Republic unter der treffenden Überschrift "Woher der Hass?" viele Vorurteile gesammelt, die Journalisten und Experten verwenden, um die Bernie-Begeisterung zu erklären. Die jungen Leute seien "kompromisslose Puristen", wahlweise "ahnungslos" oder "zügellos" und in den Augen von Jonathan Chait vom New York Magazine schlicht "zum Angst kriegen".

Hillary Clinton? Gehört ganz klar zum Establishment

Doch für junge Frauen wie Ainsley-Aude Croteau oder Erin Reagan aus Pennsylvania ist es nur logisch, Bernie Sanders zu unterstützen. Die 23-jährige Reagan hat im Mai ihren Doppel-Abschluss in Naturwissenschaften gemacht. Obwohl sie drei Nebenjobs hatte, muss sie nun 29 000 Dollar an Studentenkredit abbezahlen - und ihre Eltern müssen "noch viel mehr" für sie abstottern.

Aber Erin Reagan hat das gleiche Gefühl, das auf Sanders-Events oft formuliert wird: "Alle blicken auf uns herab. Gerade die Älteren glauben, dass uns alles auf dem Silbertablett serviert wird und wir die Klappe halten sollen. Wir jungen Leute fühlen uns missachtet vom Establishment in Washington."

Wieso viele junge Frauen Hillary Clinton nicht vertrauen

Dass Clinton argumentiert (etwa hier), sie sei eine "Anti-Establishment-Kandidatin", weil sie eben als Frau ins Weiße Haus wolle, überzeugt Reagan überhaupt nicht. Sie und ihre Freunde hätten sich nach einem "Außenseiter" gesehnt, der endlich sage: "So geht es nicht weiter", berichtet sie. Den Einwand, dass Bernie Sanders seit 1991 im US-Kongress sitzt, lässt sie nicht gelten. Anders als Clinton habe der Senator aus Vermont nicht ständig seine Positionen verändert: "Bernie war gegen den Einmarsch in den Irak und seine Klagen über die soziale Ungleichheit wurden von den Medien und anderen Politikern einfach ignoriert."

Spätestens hier wird es für die ehemalige First Lady und ihre Berater brenzlig. Wer jünger als 30 ist, denkt bei Hillary Clinton an ihre Zeit als Außenministerin - aber auch an ihr "Ja" zum Irakkrieg. Wer nach den Ursachen für die Finanzkrise googelt, findet Artikel über die Deregulierung des Bankensektors, die unter Präsident Clinton begann. Wer hingegen "Bernie Sanders" bei Youtube eingibt, stößt auf Clips aus dem Jahr 1988:

Dass Sanders bei jungen Leuten so gut ankommt, kann Kathleen Sciurappa nachvollziehen: "Ich war Teil der 68er-Bewegung: Er hat enorme Anziehungskraft, wenn man sich rebellisch und revolutionär fühlt." Sciurappa, die stolz ein Clinton-Shirt trägt, gibt zu: "Obwohl er 74 ist, wirkt er neu und frisch." Doch sie wählt Clinton, weil sie überzeugt ist, dass diese progressive Ideen auch umsetzen kann. "Ich unterstütze Hillary nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie am kompetentesten ist. Sie hat ein riesiges Netzwerk an Kontakten in Washington und in der Welt."

Doch diese Art von Expertise erscheint vielen jungen Wählern nicht unbedingt als Plus - in Nachwahlbefragungen wurde viel häufiger "Ehrlichkeit" genannt. Und hier hat Hillary Clinton ein echtes Problem. "Ich kann ihr einfach nicht vertrauen", sagt Ainsley-Aude Croteau, die schätzt, dass sie nach ihrem Abschluss bis zu 80 000 Dollar Schulden haben wird. Auch Erin Reagan sagt: "Leute in meinem Alter, wir vertrauen Hillary einfach nicht, das ist so ein Bauchgefühl."

Gewiss: Clinton beklagt bei ihren Auftritten, dass es auch für College-Absolventen immer schwerer wird, einen guten Job zu kriegen. Doch viele junge Amerikaner finden solche Sätze zynisch, wenn sie wissen, dass die Arbeitslosigkeit für unter 24-Jährige doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt und Hillary mit zwölf Reden zwischen 2013 und 2015 knapp drei Millionen Dollar verdient hat.

Auch Tochter Chelsea, die mit Schwangerenbauch mit ihrer Mutter durchs Land fährt, wirkt auf viele millennials wie aus einer anderen Welt: Die 35-Jährige fand nach ihrem Studium an den Elite-Unis in Stanford und Oxford Jobs bei McKinsey und dem TV-Sender NBC (600 000 Dollar Jahresgehalt). Für die Autorin Peg Tyre ist Chelsea das "Aushängeschild" jener neuen Zeit, in denen die Reichen immer reicher werden und sich alle anderen durch den Alltag kämpfen (mehr in diesem Politico-Essay).

Insofern wirken die Vorschläge von Sanders, den Mindestlohn deutlich (15 Dollar pro Stunde) zu erhöhen, die staatlichen Universitäten kostenfrei zu machen und mehr Geld in Bildung und Infrastruktur zu stecken, auf junge Frauen enorm attraktiv. Dass sich Sanders seit Jahrzehnten für die Homo-Ehe und Klimaschutz eingesetzt hat und Marihuana-Konsum legalisieren will, kommt ebenso gut an wie sein Schimpfen auf die Wall-Street-Banken.

Gewiss: Kein Text kann die Motivationen und Überlegungen von vielen Millionen Menschen genau erfassen (eine ausführliche Link-Liste folgt am Ende des Artikels). Natürlich liegt die Generation von Kathleen Sciurappa richtig, wenn sie - gar nicht mal vorwurfsvoll - beklagt, dass die heute 20-jährigen Amerikanerinnen nicht mehr beurteilen, gegen welche Widerstände und welchen Sexismus die heute über 60-Jährigen gekämpft haben. Auch deshalb wird Hillary in dieser Generation so bewundert.

In Gesprächen zeigen sich Studentinnen überzeugt, dass sie eine US-Präsidentin erleben werden - weil dies so klar ist, muss es nicht zwingend die allererste Bewerberin sein. Die Professorin Susan Faludi argumentiert, dass Bernie Sanders bei vielen jungen Frauen auch deshalb populär ist, weil er eben nicht "their mother's candidate" ist - und eine gewisse Rebellion gegen die eigene Mutter hinter jedem "Bernie 2016"-Sticker steckt.

Welche Rollen spielen Sexismus und Vorurteile gegenüber Frauen in der aktuellen Debatte rund um Clintons Probleme, junge Wähler und Wählerinnen zu überzeugen? Manch ein Autor wie Marc Joseph Stern in Slate ist überzeugt, dass eine "männliche Alternative" wie Sanders stets populärer sein werde, weil ein Mann Dinge wütender und lauter sagen kann, ohne "Zicke" genannt zu werden.

Viel Sexismus gegenüber jungen Bernie-Fans

Zugleich gibt es auch einen starken Sexismus gegenüber jenen jungen Frauen, die sich für Bernie Sanders einsetzen. Besonders deutlich zu sehen war dies nach dem Auftritt des Models Emily Ratajkowski, die mit ihren sexy Auftritt im Musik-Video "Blurred Lines" bekannt wurde. Sie sagte in New Hampshire, dass sie sich natürlich eine Präsidentin wünsche - aber diese solle mehr als nur ein Symbol sein.

In Tweets wurde Ratajkowski vorgehalten, sie solle doch den Mund halten - schließlich werde sie nur für ihr gutes Aussehen bezahlt. Es folgen Kommentare über ihr Äußeres und ihre Vergangenheit als Oben-ohne-Model - all die Beschimpfungen aus den dunkelsten Ecken des Internets. An der Unterstützung von Emily Ratajkowski für Sanders dürfte das nichts ändern - und viele gleichaltrige Frauen werden sich ebenfalls bestärkt fühlen.

In einem sind die meisten weiblichen millennials jedoch einig: Im Vergleich zu Donald Trump, Jeb Bush oder Ted Cruz ist Hillary Clinton klar vorzuziehen.

Linktipps:

  • Die Feministin Kate Harding hatte 2015 in dem Text "Voting with my vagina" erklärt, wieso sie Hillary Clinton unterstützt. Anfang Februar bekräftigte sie im Guardian ihre Position: Bernie Sanders werde seine Vorschläge nie durchsetzen können.
  • Madeleine Albrights Text über ihren "undiplomatischen Moment" im Wahlkampf ist hier nachzulesen.
  • Der lesenswerte Artikel der 23-jährigen Clio Chang über die Gefühlslage der millennials erschien auf der Website des Magazins The New Republic.
  • Gail Sheehy, die Autorin einer Hillary-Biografie, beschreibt in diesem Essay für die New York Times, wieso der Clinton-Enthusiasmus unter vielen Wählerinnen so gering ist.
  • Eine konservative Perspektive hat Penny Nance unter der Überschrift "Warum junge Frauen Hillarys Old-School-Feminismus satt haben" auf der Website des Federalist veröffentlicht.
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