Nach der Landtagswahl:In Sachsen-Anhalt heißt die letzte Hoffnung Kenia

Chancellor Angela Merkel Speaks At CDU Party Headquarters As Political Opponents Gain Ground In Regional Elections

Keine Zeit für Spielchen: Nur eine Koalition mit SPD und Grünen hält Ministerpräsident Reiner Haseloff im Amt.

(Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)
  • In Sachsen-Anhalt beginnen am Mittwoch die Sondierungen zwischen CDU, SPD und Grünen.
  • Rechnerisch und vor allem politlogisch gibt es kaum eine andere Möglichkeit als die Kenia-Koalition.
  • Inhaltlich aber wird es gerade beim Thema Asyl einige Gräben zu überbrücken geben.
  • Der Wahlerfolg der AfD in dem Land wirft seinen Schatten auf die Sondierungsgespräche.

Von Cornelius Pollmer

Man muss dieser Zahl ein Bild hinzufügen und eine Logik dahinter, sonst steht sie einfach so rum, wie eine unerklärliche Laune, spontan, aber mächtig: 24,2 Prozent.

Fast jede vierte gültige Stimme in Sachsen-Anhalt gehört am Sonntag der AfD. Die Bilder und Erklärungen dafür lassen sich bei der Partei selbst finden, sie lassen sich finden in der Seele Sachsen-Anhalts und, drittens, bei den anderen Parteien.

Kubitschek, Poggenburg, Höcke: Sie strickten mit am AfD-Erfolg

Schritt eins: Auf zur AfD! Bei der Wahlparty am späten Sonntag bekommen die abenteuerlichen 24,2 Prozent gleich mehrere Gesichter, eines der wichtigsten gehört Götz Kubitschek. Der Verleger ist Mitgründer des neurechten Instituts für Staatspolitik, er wohnt auf einem Rittergut in Schnellroda und sein Einfluss auf das Wahlergebnis der AfD lässt sich schon an der Karte der Erststimmenverteilung erahnen. 15 Direktmandate erreicht die AfD in Sachsen-Anhalt, fast der komplette Süden des Landes ist nun neu eingefärbt.

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Kubitschek ist eng verbunden mit dem Spitzenkandidaten der AfD in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, er ist immer wieder mit ihm aufgetreten. Für den Wahlkampf, sagt er, habe er "als Vordenker" Begriffe, Themen, Expertisen einbringen können. "Wir haben den Bürgern das Gefühl gegeben: Es lohnt sich, es ist eine historische Wahl und sie wird historisch betreut."

Mit Publikationen und Vorfeldorganisation begann Kubitschek seine Betreuung, vorbei sein soll sie jetzt noch nicht. Eine 24,2-Prozent-Fraktion braucht Referenten, PR-Menschen - "da haben wir gute Leute, und da wird es sicher die ein oder andere Zusammenarbeit geben". Und klar sei im Übrigen natürlich auch, "dass der sogenannte Höcke-Flügel durch so ein Ergebnis in der Bundespartei gestärkt wird". Björn Höcke, Fraktionschef der AfD in Thüringen, steht nur einen Flur weiter mit freude-gespanntem Gesicht an einem Stehtisch. Er lancierte mit Poggenburg vor einem Jahr die "Erfurter Resolution", in der beide eine konservativere Ausrichtung der AfD forderten.

Kubitschek, Höcke, Poggenburg, das sind wesentliche Köpfe hinter dem Aufstieg der AfD auch in Sachsen-Anhalt, und dass dieser eben nicht zufällig und einfach so passiert ist, lässt sich in den Nebenräumen der Wahlparty noch besser erkunden. Da gibt es eine Fläz-und-Lümmel-Ecke für Vertreter der völkisch orientierten Identitären Bewegung und da sendet, live aus dem Eike-von-Repgow-Zimmer, Jürgen Elsässer. Der Publizist hat mit seinem neurechten Magazin Compact den Wahlkampf von Poggenburg wohlwollend begleitet.

Die Seele Sachsen-Anhalts und das Versagen der anderen Parteien

Eine ziemlich gut organisierte Guerilla-Partei kann ein Angebot formulieren, aber es braucht welche, die es wahrnehmen. Schritt zwei also: die Seele des Landes. Die Bereitschaft zur Protestwahl ist im Osten en gros schon hoch, in Sachsen-Anhalt ist sie nicht erst an diesem Sonntag besonders ausgeprägt. 1998 erreichte die DVU aus dem Nichts 12,9 Prozent, in diesem Wahlkampf nun wurde der notwendige Nährboden der Unzufriedenheit noch einmal gut gedüngt durch das Thema Asyl. Über Jahre war Sachsen-Anhalt ein ausblutendes Land.

Etwas überzeichnet: Wer konnte, der ging, wer blieb, bekam keine Arbeit oder einen geringen Stundenlohn. Nun geht es dem Land zwar wirtschaftlich recht gut, der Arbeitsmarkt ist stabil, aber die dunklen Tage haben noch einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis. Die große Zuwanderung im vergangenen Jahr warf aus der Sicht vieler Wähler schließlich eine Art neue soziale Frage auf: Wenn der Staat sich jetzt so stark um Geflüchtete bemüht, wer bemüht sich dann noch um uns?

Diese subjektive Wahrnehmung führt zum dritten Schritt, jenem zu den anderen Parteien und vor allem zur Linken. Die Linke hat über viele Jahre im Osten den Protest gebunden, in jener Zeit nämlich, in der die soziale Frage hauptsächlich eine von Arm und Reich war. Nun aber ist der Protest von Fragen nach Identität getragen. Die Linke blieb beim Thema Zuwanderung bei ihrer klaren Position - auch deswegen verlor sie überproportional an die AfD.

Die Kenia-Verhandlungen könnten schwierig werden

Die SPD blieb unter Katrin Budde ebenso deutlich - sie verlor die Hälfte der Stimmanteile, allein 20 000 Wähler an die AfD. Mehr noch, bei der SPD ließ sich dieser Effekt sogar vor der Wahl messen: Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper forderte einen Kurswechsel in der Asylpolitik, er überwarf sich mit Budde und trat aus der Partei aus. Die SPD? Sackte in den Umfragen ab. Und nun? Trümper soll zurückkommen, tuscheln einige bereits.

Katrin Budde trat am Montagabend schon mal vom Parteivorsitz zurück.

Die Asylpolitik ist es, die diese Wahl massiv beeinflusst hat, und sie wird listigerweise auch bei den am Mittwoch beginnenden Sondierungen zwischen CDU, SPD und Grünen mit am Tisch sitzen. Sollte es bei diesen Sondierungen Knatsch geben, dann kann die AfD in Abwesenheit einen kleinen zweiten Wahlsieg feiern. Rechnerisch und vor allem politlogisch gibt es kaum eine andere Möglichkeit als die Kenia-Koalition. Inhaltlich aber wird es gerade beim Thema Asyl einige Gräben zu überbrücken geben.

Von rechts Richtung Kenia kommen Ministerpräsident Reiner Haseloff und die CDU. Im Wahlkampf hatte sich Haseloff in zentralen asylpolitischen Fragen von Kanzlerin Angela Merkel abgesetzt, er forderte ein klares Nicht-weiter-so. Im Ergebnis: geringe Verluste und ein Ministerpräsident, der zügig seine Losung für den Wahlabend findet und diese wiederholt vorträgt - es müsse nun aber wirklich allen klar sein, dass es rechts von der CDU keine demokratische Alternative geben dürfe.

Schrumpfkur für die SPD

Das würde bedeuten: nach rechts abdichten, und zwar in genau der Phase, in der es eine neuartige Koalition zu bilden gilt, mit den von links nach Kenia einreisenden Sozialdemokraten und Grünen. Der Erfolg der AfD erschwert ein solches Zusammenfinden also auf mittelbare Weise - paradoxerweise könnte dieser gleichzeitig dazu beitragen, das Zusammenfinden zu erleichtern. 24,2 Prozent, dieser Wert ist auch ein Signal an alle künftigen Koalitionäre: Es ist nicht die Zeit für Eitelkeiten.

Die SPD wird nach der unfassbaren Schrumpfkur das Personal sortieren, um herauszufinden, wer sie jetzt überhaupt noch ist und wieder sein möchte. Die Grünen werden sich einen Plan überlegen, wie sie aus möglichen Gesprächen mit einem zweiten Ressort herausgehen könnten, und ob das denn unter allen Umständen sein muss. Die CDU wird einen Weg zu finden versuchen, ihre Stärke zu behaupten, ohne die Verhandlungen zu gefährden.

Vor allem aber werden die drei Parteien sich angesichts einer starken AfD auf eine alte Rangfolge besinnen. Vor dem eigenen politischen Wohl und dem der Partei rangiert ja noch ein übergeordnetes Gut, nämlich der Staat.

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