Donald Trump:Nicht die Wähler sind schuld an Donald Trump, sondern der kaputte Kapitalismus

Donald Trump Holds Town Hall In Wisconsin Ahead Of State Primary

Donald Trump hat dem Establishment den Rücken zugewandt - und umarmt die weißen Arbeiter.

(Foto: AFP)

Die Ungleichheit in den USA ist obszön, gefeuert werden Menschen aus der Mittelschicht ziemlich schnell. Und was machen sie? Wählen den Ober-Kapitalisten.

Analyse von Sebastian Gierke

Die Sprache des Mannes in dem Video klingt kalt, technisch. Auch beim entscheidenden Satz: "Um wettbewerbsfähig zu bleiben und unser Geschäftsmodell auf lange Sicht aufrechtzuerhalten, muss die Produktion von unserem Standort in Indianapolis nach Monterrey in Mexiko verlagert werden."

So erklärt der Manager seinen Mitarbeitern, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit bald arbeitslos sind. Die Arbeiter fangen an zu schimpfen. Der Manager fährt fort, ungerührt. Er spricht davon, dass man so einem "preissensitiven Marktumfeld" am besten "dienen" könne. 1400 Arbeitsplätze werden nach Mexiko transferiert.

Gefeuert werden auf die harte Tour, auf die US-amerikanische. Es gibt Hundertausende Betroffene im Land. Werden viele von denen, die da auf so erbarmungslose Art abserviert werden, Donald Trump, den bigotten, lügenden, rassistischen, hasserfüllten Demagogen wählen? Sehr wahrscheinlich. Und sind die, die das tun, dumm? Oder rassistisch, bigott, hasserfüllt?

Um den Erfolg von Donald Trump zu erklären, wird vor allem in den USA die Schuld oft bei den Wählern selbst gesucht. Hauptsache dagegen, das sei das Motto der Trump-Fans, gegen die Eliten, gegen das Establishment. Geborene Verlierer. Ungebildet und unverbesserlich. Aus diesem Sumpf gewinne Trump seinen Zaubertrank, daraus schöpfe er seine Kraft.

Der Postideologe Trump hat diese Menschen allerdings nicht erschaffen. Er macht sie vielmehr zum Zentrum seines Wahlkampfes. Die weißen amerikanischen Arbeiter. Er klingt dann oft wie ein Linker. Die Lage für die weiße untere Mittelschicht sei in Amerika so schlecht wie noch nie zuvor in ihrer Historie, klagt er. Trump hat nicht oft recht, aber in diesem Fall sprechen die Fakten ausnahmsweise für ihn. Es ist die kapitalistische Maschine, die in den USA nicht mehr richtig funktioniert. Das lässt sich belegen:

  • Die 20 reichsten Menschen Amerikas besitzen mehr als die arme Hälfte der gesamten Bevölkerung. Das sind 152 Millionen.
  • Die 400 Reichsten besitzen so viel, wie die unteren 61 Prozent(194 Millionen Menschen). Und zwar 2,34 Billionen Dollar.

Die Ungleichheit hat ein Ausmaß von solcher Obszönität erreicht, dass nicht wenige bereits auf lange Sicht das Ende des Kapitalismus ausrufen. Keine Gesellschaft hält eine solche Entwicklung auf Dauer aus.

Sterblichkeitsrate von weißen, mittelalten Männern steigt

So steigt zum Beispiel die Sterblichkeitsrate von weißen, mittelalten Männern. Auch die Drogenabhängigkeit unter ihnen nimmt immer weiter zu, ein Thema, das in den USA im Wahlkampf eine große Rolle spielt.

Ja, Trump ist ein Lügner, ein Rassist, ein Demagoge. Und einige seiner Fans wählen ihn genau deshalb. Viele aus Wirtschaft und Politik versuchen sich mit dem Verweis auf seine Wähler aus der Verantwortung zu stehlen. Die Schuld an seinem Aufstieg bei den Enttäuschten abzuladen, ist aber viel zu einfach.

Trump will eine ganz neue Wirtschaftspolitik

Denn die wichtige Frage lautet: Woher kommt die Angst der Trump-Wähler vor der Welt? Was steckt hinter ihrem Hass? Hinter dem Rassismus? Was hat sie zu Verlierern gemacht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten?

Die Antworten auf diese Fragen finden sich im Video. Darin liegt ein großer Teil der Erklärung, warum Trump mit großer Wahrscheinlichkeit Präsidentschaftskandidat der Republikaner werden wird - und warum er sogar Chancen auf das Weiße Haus hat.

Trump hat immer wieder auf den Fall aus dem Video, den Fall "Carrier Air Conditioner", einer Firma, die Klimaanlagen herstellt, in seinen Reden verwiesen. Er, der seinen Wahlkampf zu einem großen Teil selbst finanziert und deshalb behaupten kann, sich "nicht kaufen zu lassen", hat die Handelspolitik zu einem zentralen Thema seines Wahlkampfes gemacht. Er spricht darüber viel öfter als über die Mauer zu Mexiko, die er errichten will. Die Mauer taucht allerdings viel öfter in Berichten über ihn auf.

Trump will, und da ist er sich mit Bernie Sanders, dem Establishment-Schreck der Demokraten, verblüffend einig, eine ganz neue Wirtschaftspolitik. Handelsabkommen sind für Trump ein Problem. Er glaubt, dass das gewaltige Handelsdefizit der USA das Land zu "einem Verlierer" macht. Handel ist für ihn gleichbedeutend mit Wandel zum Schlechteren. Vor allem China hat er deshalb zum Feind erklärt.

Das kommt bei den Arbeitern, zum Beispiel im industriellen Nordosten der USA, gut an. "Carrier Air Conditioner" zum Beispiel will Trump mit hohen Steuern belegen, wenn sie ihre Klimaanlagen wieder in die USA einführen. (Eine ausführliche Analyse über die Handelspläne von Trump und Sanders finden Sie in diesem Text von US-Korrespondent Nicolas Richter.)

Ob Trumps wirtschaftspolitische Medizin wirksam sein kann, spielt hier keine Rolle. Wie viel davon umsetzbar ist, was es bringt oder zerstört, das ist nicht wichtig zur Erklärung seines Erfolges. Dafür sind die Krankheitssymptome entscheidend.

Chancengleichheit ist ein verblassender Mythos

In den USA können es schon lange nicht mehr alle schaffen. Chancengleichheit ist ein immer weiter verblassender amerikanischer Mythos. Die soziale Mobilität, ein Maß dafür, wie viele Menschen es in ihrem Leben nach oben schaffen, ist in den USA sehr viel geringer als in Europa. Wer arm geboren ist, bleibt das ziemlich sicher auch. Und der, der gerade noch dachte, ökonomisch abgesichert zu sein, muss um seine Position fürchten.

Sicher sind die Jobs der Mittelschicht schon lange nicht mehr, selbst zwei dieser unsicheren reichen oft nicht mehr aus. Die Löhne fallen, der Konkurrenzdruck aus dem Ausland wächst, die Altersvorsorge ist unsicher.

Der Unterschied zu früher, als das vor allem die Minderheiten betraf, die Schwarzen, die Latinos: Seit einigen Jahren bekommt auch die weiße Mittelschicht die Folgen zu spüren, die sogenannten blue-collar worker, Industriearbeiter und Handwerker, die immer noch 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Eine Studie des Pew-Forschungszentrum zeigt: 75 Prozent derer, die Trump voll unterstützen, sagen, dass das Leben für Menschen wie sie selbst schlechter geworden ist.

Die amerikanische Arbeiterklasse hat den Glauben an die Agenda der Parteiführer verloren. Ungeachtet aller Krisensymptome kämpfen die Republikaner seit Jahrzehnten für ein neoliberales, möglichst staatsfernes System.

Trump wird zum Profiteur des Scheiterns

Doch das Versprechen, dass wirtschaftsliberale Umbauarbeiten zu Prosperität führen, die auch am unteren Ende der Gesellschaft wachsenden Wohlstand mit sich bringt, hat sich als Lüge entpuppt. Die Reichen würden mehr investieren, je mehr Geld und Macht sie zur Verfügung hätten, wurde versichert. Löhne und Absicherung wurden deshalb abgeschmolzen, immer mit dem Versprechen: Je weniger ihr jetzt habt, desto mehr habt ihr später.

Selbst auf dem Höhepunkt der Finanz- und Bankenkrise traten die Republikaner für Steuersenkungen nur bei den Reichen ein. Soziale Programme, selbst Gesundheitsvorsorge verteufeln sie. Wohlstand durch Verzicht, so das Motto. Und: Mund halten, erdulden. So konnte sich das schädlich-asoziale Verhalten einiger Weniger hemmungslos entfalten. Ein Verhalten, für das Donald Trump das beste Beispiel ist. Illegale polnische Arbeiter hat er am Trump Tower schuften lassen. An seiner früheren Universität soll er Studenten um Millionen Dollar betrogen haben. Die Liste ist endlos.

Doch ausgerechnet er, der Ober-Kapitalist, der Immobilien-Milliardär, wird jetzt zum Profiteur des Scheiterns, Leichenfledderer eines Systems, das ihn zu dem gemacht hat, der er ist. Trump profitiert, auch wenn natürlich keineswegs sicher ist, dass er Hillary Clinton schlagen wird und auch sein republikanischer Rivale Ted Cruz noch eine kleine Chance hat, ihn als Präsidentschaftskandidaten zu verhindern. (Die heutigen Vorwahlen in Wisconsin sind dafür allerdings noch nicht entscheidend.)

Es ist paradoxerweise nicht die Wall Street, es sind nicht die großen Banken, die die Menschen für ihre Lage verantwortlich machen. Sondern die anderen, die Fremden, die Muslime, die Mexikaner. Die sind es, die ihnen vermeintlich die Jobs wegnehmen. Und die, die nichts dagegen tun, das sind die Politiker, das Establishment. Die Parteiführung der Republikaner.

Womit wir wieder bei Trump sind. Seinen Ressentiments, seinem Rassismus. Und seinem Erfolg. Der große Vereinfacher Trump, der ohne jede Rücksicht auf Fakten Dinge behauptet, von denen er glaubt, dass sie ihm Wähler bringen, hat längst erkannt: dass der freie Markt, dass freier Handel, dass diese seit Jahrzehnten von den Republikanern und in fast genauso großem Maße von den Demokraten propagierten ökonomischen Prinzipien vielen Menschen mittlerweile suspekt sind.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist Freiheit bei vielen umgeschlagen in Angst. Die Menschen fühlen sich verraten, betrogen um den amerikanischen Traum. Sie wollen ihn zurück: "Make America great again."

Der Manager des Klimaanlagenbauers sagt zum Abschluss: Solange noch in den USA gefertigt werde, müssten die Arbeiter die Qualität des Produkts gefälligst weiterhin sicherstellen.

"Yeah, fuck you", schallt es ihm da entgegen. Es ist das gleiche "Fuck you", das Donald Trump von Sieg zu Sieg trägt.

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