Panama Papers:Kanzlei in Panama benutzte Rotes Kreuz als Tarnung

Panama Papers: Illustration: Peter M. Hoffmann

Illustration: Peter M. Hoffmann

Die Organisation wurde als angeblicher Empfänger von Geld eingesetzt, um fragwürdige Finanzflüsse zu verschleiern.

Von Catherine Boss, Bastian Brinkmann und Christian Brönnimann 

Die Helfer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz kamen spät in die belagerte Stadt Madaja in Syrien. Sie brachten Reis und Mehl, Zucker und Salz. Die vielleicht noch 40 000 Einwohner hungerten. Sie verbrannten Müll, um sich zu wärmen. Kinder sammelten Gras, damit die Eltern mit Wasser und Gewürzen daraus eine Mahlzeit kochen konnten. Manche traten dabei auf Landminen, ein Kind verlor beide Beine.

Das Schicksal der Stadt Madaja beschäftigte im Januar dieses Jahres die Welt. Die Helfer des Roten Kreuzes brachten damals Lebensmittel, Medizin und Decken, um die Not zu lindern. Sie taten dies unter dem Schutz der Genfer Konvention, jenes Abkommens also, das seit dem August 1864 dem Roten Kreuz (und heute auch dem Roten Halbmond) in Kriegen besonderen Schutz gewährt. Die 196 Staaten, die die Genfer Konvention unterzeichnet haben, verpflichten sich, die Helfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds nicht anzugreifen - egal, wie sehr der Krieg auch wütet. Die Helfer stehen für Neutralität, für Unbestechlichkeit, für Ehrlichkeit. Für Menschlichkeit.

Wer sich das Geschäft ansah, hätte denken können, das sei eine Wohltätigkeitsveranstaltung

Auch Panama hat die Genfer Konvention unterzeichnet, im Jahr 1907, und seit dem Zweiten Weltkrieg alle fünf Ergänzungen. Und als das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bekannt gab, ein eigenes Büro in Panama zu eröffnen, um die Aktivitäten der Hilfsorganisation in Lateinamerika zu koordinieren, war das eine große Sache: Auch Juan Carlos Varela Rodríguez, damals Vizepräsident und heute Präsident von Panama, war damals zugegen, um die frohe Botschaft zu verkünden.

Panama, ein scheinbar vorbildlicher Unterstützer des Roten Kreuzes.

Nicht ganz so vorbildlich ist jedoch der Umgang, den die Kanzlei Mossack Fonseca mit dem Roten Kreuz pflegt, die seit einer Woche im Mittelpunkt der Enthüllungen um die Panama Papers steht. Mossack Fonseca hat, wie aus den 11,5 Millionen Dokumenten hervorgeht, die der Süddeutschen Zeitung zugespielt wurden, seine Briefkastenfirmen vor allem auch jenen zur Verfügung gestellt, die schmutzige Geschäfte machten: Drogenhändlern und Mafia-Clans, korrupten Politikern und Oligarchen, Betrügern und zwielichtigen Geschäftsleuten; die Kanzlei aus Panama und ihre Helfer haben nahezu alles getan, um diese Geschäfte zu verschleiern - und sie haben dabei zur Tarnung auch den Namen des Roten Kreuzes benutzt, und zwar ohne dessen Wissen.

Den Namen jener weltberühmten Hilfsorganisation also, die einst von Henri Dunant gegründet wurde, einem Schweizer Geschäftsmann. Er hatte die Schrecken der Schlacht von Solferino erlebt, das Gemetzel in der Nähe dieses oberitalienischen Orts, all die Toten, Verwundeten, Leidenden. Und er hatte die Idee, diesen Menschen, Soldaten und Zivilisten , zu helfen: "Zivilisation", erklärte Dunant, "bedeutet, sich gegenseitig zu helfen von Mensch zu Mensch, von Nation zu Nation."

Helfen. Das will auch Mossack Fonseca. Aber ganz anders. Die Kanzlei nutzte ausweislich der Panama Papers den guten Ruf des Roten Kreuzes offenbar als unverdächtige Fassade, um dahinter Geschäftsleute zu verstecken, die geheim bleiben wollen. Dafür hat der Offshore-Dienstleister zwei Stiftungen mit Sitz in Panama gegründet, beide mit einem Anfangsvermögen von jeweils 10 000 Dollar: die Faith Foundation im Jahr 1998 und die Brotherhood Foundation im Jahr 2007.

Faith Foundation - das heißt auf Deutsch: die Glaubensstiftung. Der Glaube versetzt Berge, sagt man. Bei Mossack Fonseca versetzt der Glaube Millionen. Denn die geleakten Dokumente zeigen: Als Begünstigte der beiden Stiftungen hat die Kanzlei das Internationale Rote Kreuz eingesetzt. Die beiden Stiftungen wiederum tauchten bei zahlreichen Firmen als Aktionäre auf, allein die Faith Foundation wird in Dokumenten als Anteilseignerin von knapp 100 Gesellschaften genannt. Die wahren Eigentümer der Briefkastenfirmen bleiben dadurch fast immer im Dunklen; wer sich das Geschäft näher ansehen wollte, hätte denken können, das Ganze sei eine Wohltätigkeitsveranstaltung.

Unter dem Deckmantel der Helfer wurden wohl kriminelle Gelder verschoben

Am Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), in Genf in der Schweiz, ist man darüber empört. Das IKRK habe nie eine Geschäftsbeziehung zu Mossack Fonseca gehabt oder Geld von den beiden Stiftungen bekommen, sagt der Präsident des IKRK, Peter Maurer. Er spricht von Missbrauch, sieht den Ruf seiner Hilfsorganisation bedroht und will dagegen vorgehen: "Wir können nicht zulassen, dass wir mit Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, für die wir durch die Genfer Konventionen nicht mandatiert sind."

Mossack Fonseca wollte konkrete Fragen zum Roten Kreuz nicht beantworten. In einer allgemeinen Stellungnahme betont der Offshore-Dienstleister, es sei falsch zu behaupten, dass Mossack Fonseca Strukturen anbiete, die dazu dienten, die Identität der tatsächlichen Besitzer von Firmen zu verstecken.

Nach außen schützt der Name vor Fragen; was hintenherum läuft, ist eine andere Sache

In den Panama Papers tauchen die beiden Stiftungen, die angeblich dem Roten Kreuz dienten, auch in Fällen auf, in denen möglicherweise kriminelle Gelder oder gesuchte Vermögenswerte versteckt wurden. Etwa bei zwei Briefkastenfirmen namens Aldyne Ltd. und Gairns Ltd., die offenbar eine wichtige Rolle spielten in einem Korruptions- und Geldwäschefall, über den vor allem argentinische Journalisten seit 2013 berichten: Die ehemaligen Präsidenten Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner sollen, unter anderem mithilfe eines befreundeten Geschäftsmannes, Dutzende Millionen Dollar veruntreut und außer Landes gebracht haben. Was diese allerdings bestreiten. Laut dem ehemals zuständigen argentinischen Staatsanwalt hat der Geschäftsfreund über Panama und eine Vielzahl von Firmen, welche die Kanzlei Mossack Fonseca im US-Bundesstaat Nevada aufgesetzt hat, 65 Millionen Dollar gewaschen. In diesen Konstruktionen tauchten oft die beiden Briefkastenfirmen Aldyne Ltd. und Gairns Ltd. auf - und die wiederum gehörten der Faith Foundation, von der angeblich das Rote Kreuz profitierte.

Wer aber profitiert wirklich von solchen Tarnmanövern? In einem Gerichtsverfahren zum Argentinien-Fall, das in den USA stattfand, gab eine Mitarbeiterin von Mossack Fonseca zu Protokoll, weder Aldyne noch Gairns "gehören tatsächlich jemandem". Das hat Prinzip. Denn bei sogenannten Panama-Stiftungen sind offiziell keine Eigentümer eingetragen, sondern nur Begünstigte: Menschen oder Organisationen also, die das Geld aus der Stiftung angeblich bekommen.

Aber am Ende bekommt es natürlich jemand anderes.

In einem Schreiben an die Commerzbank in Luxemburg erklärte ein Mitarbeiter von Mossack Fonseca im Jahr 1998 recht unverblümt, wie diese Art der Stiftung funktioniert; er berief sich dabei auf Jürgen Mossack, einen der beiden Gründer der Kanzlei: "Als Begünstigter wird eine dritte Person (z. B. das Rote Kreuz), eingesetzt. Der Stiftungsrat wird von Mossack-Fonseca-Nominees gestellt. Der Stiftungsrat kann anschließend die Begünstigten abändern und die vom Privatkunden genannten Personen ernennen."

Mit anderen Worten: Nach außen schützt der Name des Roten Kreuzes vor unangenehmen Fragen; was hintenherum läuft, ist eine ganz andere Sache.

"So ist es nicht kompliziert"

Auch der amtierende Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan, hat offenbar von solch einer Konstruktion profitiert. Den Panama Papers zufolge hat eine Briefkastenfirma namens Mayfair Commercial Limited im Jahr 2005 in bester Lage in London Häuser gekauft. Die Bank of Scotland gewährte dafür ein zinsloses Darlehen von 292 Millionen Pfund. Hinter der Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln steht ein ganzes Netz von Offshore-Gesellschaften, und am Ende: die Faith Foundation und mit ihr das Rote Kreuz. Für Außenstehende ist somit nicht sichtbar, dass die Briefkastenfirma eigentlich mit einem Trust des Scheichs verbunden ist.

In den letzten Jahren wurde die Masche offenbar immer wichtiger, denn viele Staaten verschärften ihre Gesetze gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Banken müssen seither in vielen Ländern mehr Informationen über ihre Kunden erfassen als zuvor. Bei Mossack Fonseca ließ man deshalb ein Zertifikat vorbereiten, das - so schreibt eine Mitarbeiterin in einer internen E-Mail - "in solchen Fällen normalerweise verwendet wird". Das Zertifikat weist das Internationale Rote Kreuz als Begünstigten der Faith Foundation aus; Kunden von Mossack Fonseca können es bei ihrer Bank vorlegen, wenn sie ein geheimes Konto für eine Firma eröffnen wollen. Die Gesetzesverschärfungen, die den wahren Eigentümer eines Kontos eigentlich entlarven sollen, laufen so ins Leere. Eine Mitarbeiterin der Niederlassung in Jersey schreibt dazu in einer E-Mail an einen Kollegen im Jahr 2009: "Das ist der Grund, weshalb wir diese Struktur mit dem Roten Kreuz aufgebaut haben. So ist es nicht kompliziert."

Mitarbeiter von Mossack Fonseca sind sich ausweislich der Panama Papers bewusst, dass das Rote Kreuz von all dem nichts weiß. In einem Schreiben heißt es: "Bitte beachte, dass gemäß Gesetzgebung in Panama Begünstigte einer Stiftung ohne deren Wissen eingesetzt werden können. Das Internationale Rote Kreuz ist sich dieser Abmachung nicht bewusst."

Rotes Kreuz: "Das gefährdet Menschenleben"

Für Peter Maurer, den Präsidenten des IKRK, ist das ein ernsthaftes Problem, denn seine Organisation wird dadurch - ohne dass sie es will - in die Nähe von globalen Korruptionsfällen und Rechtsstreitigkeiten gerückt. Das Rote Kreuz könnte sogar als Partei in solchen Konflikten erscheinen: "Wenn die Reputation des IKRK leidet, gefährdet das Menschenleben", sagt Maurer. Und die Reputation ist in der Tat gefährdet, wenn der Name des Roten Kreuzes als vermeintlicher Geschäftspartner einer Kanzlei auftaucht, die zum Beispiel auch Briefkastenfirmen für Handlanger des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad oder andere Potentaten aufsetzt.

Wer seine Geldverschiebereien tarnen will, der kann ihnen - nach ähnlichem Modell wie beim Roten Kreuz - auch einen grünen Anstrich geben. Hierfür hielt man bei Mossack Fonseca ebenfalls einen Namen parat: den World Wildlife Fund (WWF), der sich dem Natur- und Umweltschutz verschrieben hat. "Wenn unsere Kunden die Anonymität der Begünstigten einer Stiftung bewahren wollen, dann benennen wir den World Wildlife Fund als Begünstigten", schreibt eine Mitarbeiterin in einer E-Mail vom Frühjahr 2013.

Mit dem WWF als Begünstigten tarnte ein reicher Kunde aus Frankreich fast zehn Jahre lang eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln, die ein Bankkonto mit rund drei Millionen Franken bei der HSBC in Genf führte. Für den Franzosen hatte die Wahrung seiner Anonymität offenbar höchste Priorität. Er setzte nicht nur den WWF als Begünstigten seiner Firma ein. Er zeichnete eine E-Mail an die HSBC und an Mossfon auch mit seinem Tarnnamen "L'oiseau", der Vogel.

Doch solch eine Tarnung kann auch zum Problem werden. Als der Franzose seine Firma im Jahr 2013 auflösen wollte, brauchte er dafür eigentlich auch die Unterschrift des Begünstigten: des WWF. Was also tun? Er konnte ja deswegen schlecht beim WWF nachfragen. Kurzerhand unterschrieb er die Formulare selber, "für den und im Namen von World Wildlife Fund". Damit dürfte der vermögende Franzose im Verdacht stehen, sich der Urkundenfälschung strafbar gemacht zu haben.

Auch der WWF hatte von all dem keine Ahnung. "Wir wussten nicht, dass unser Name von Stiftungen in Panama genutzt wird, und gaben auch nie unsere Zustimmung dafür", sagt Maria Boulos, Direktorin bei WWF International. Die Organisation sei entsetzt darüber. "Wir prüfen rechtliche Schritte, um solche betrügerischen Machenschaften künftig zu verhindern."

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