Kampagnen gegen rechte Hetzvideos:Wer auf Youtube rechte Propaganda sehen will, muss zuerst einem Flüchtling zuhören

Search racism. Find truth.

"Glaubt ihr wirklich, es geht mir ums Geld?", fragt Najlaa aus Syrien in einem Kampagnen-Video von "Search racism. Find truth."

(Foto: Screenshot Search racism. Find truth.)

Auf der Suche nach fremdenfeindlichen Inhalten stoßen Betrachter seit heute zunächst einmal auf Statements von Flüchtlingen. Was steckt dahinter?

Von Luise Checchin

Lutz Bachmann ist ein verurteilter Straftäter und 99 Prozent der Menschen, die nach Deutschland fliehen, sind nicht kriminell. Das sind Tatsachen, die der durchschnittliche Pegida-Anhänger freilich nicht besonders gerne hören wird. Wer eine Rede von Lutz Bachmann auf Youtube anschauen will, kommt allerdings seit heute schwerlich darum herum.

Verantwortlich dafür ist die Initiative "Search racism. Find truth", die gegen rechte Hetze im Internet angehen möchte. Nun gibt es etliche Aufklärungskampagnen für mehr Toleranz und gegen Fremdenhass. "Search racism. Find truth" zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass sie ausgesprochen zielgruppenoptimiert ist. Die Kampagne bucht ihre Spots in einem Werbeumfeld, das ansonsten nicht unbedingt als begehrt gilt: vor Videos, die gegen Flüchtlinge, Migranten oder den Islam wettern.

Wer Gauland sehen will, muss vorher Hakim sehen

Dafür nutzt die Initiative das sogenannte "Channel- und Keyword-Targeting". Das heißt, die Initiatoren erstellten eine Liste von Suchbegriffen und Youtube-Kanälen, unter denen potenziell fremdenfeindliche Inhalte firmieren könnten. Zum Beispiel: "Pegida live vom Altmarkt Dresden", "Die absolute Wahrheit über Flüchtlinge", "Flüchtlinge Terroristen", "Flüchtlinge raus", "Islamisierung Deutschlands", "Lutz Bachmann", "Deutschland wehrt sich". Wenn man diese Schlagworte bei Google eingibt, bekommt man nun Werbung von "Search racism. Find truth." angezeigt. Vor Videos, die man unter solchen Stichwörtern bei Youtube sucht, schaltet die Kampagne ihre Aufklärungsspots.

Darin entkräften Flüchtlinge genau die Argumente, die im darauffolgenden Video verbreitet werden. Wer heute beispielsweise "Rede Alexander Gauland" in das Suchfenster eingibt, der muss sich vielleicht ein Video von Hakim aus Syrien ansehen, in dem dieser daran erinnert, dass Gauland selbst als Jugendlicher aus der DDR flüchtete. Der Zuschauer muss, denn die Werbespots von "Search racism. Find truth." sind sogenannte "unskippable Ads", man kann sie nicht nach ein paar Sekunden wegklicken - wer Gauland reden hören will, muss vorher eine halbe Minute lang Hakim zuhören. Oder Taim oder Aglia oder Yasmin.

Das Kalkül: Rechte Kanäle müssen auf Werbung verzichten

Einfach und unaufgeregt sind die Videos gehalten: Die Flüchtlinge schauen frontal in die Kamera, sprechen freundlich, aber bestimmt. Sie widerlegen gängige Vorurteile, erzählen, warum sie ihre Heimat verlassen mussten oder was sie sich für die Zukunft wünschen. Am Ende jedes Spots gibt es den Verweis auf ein zusätzliches Video, in dem man mehr über die Geschichte des einzelnen Menschen erfahren kann.

Hinter "Search racism. Find truth" steht die Organisation "Flüchtlinge Willkommen", die geflüchteten Menschen private Wohngemeinschaften vermitteln möchte. Im Zuge ihrer Arbeit seien die Helfer selbst mit rechter Hetze konfrontiert worden, erzählt Mareike Geiling von "Flüchtlinge Willkommen". Eine Kommunikationsagentur bot dann vor ein paar Monaten an, zusammen mit der Organisation ein Projekt zu entwickeln, das dem etwas entgegen setzt.

Einen Haken hat das Konzept freilich: Der Betreiber eines Youtube-Kanals verdient Geld mit der Werbung, die vor seine Videos geschaltet wird. Man könnte also sagen, "Search racism. Find truth" finanziert zu einem gewissen Teil die Verbreitung des rechten Gedankenguts, das die Initiative aufhalten möchte. Geiling sieht dieses Problem auch, glaubt aber nicht, dass es große Auswirkungen haben wird, schließlich handele es sich um sehr geringe Geldbeträge. Ohnehin sei das Kalkül der Kampagne, dass sie auf eine kurze Zeit begrenzt bleibe: "Wir gehen davon aus, dass die Kanäle schnell für Werbung gesperrt werden", erklärt Geiling. "Weil die Leute sagen: 'Wir wollen so eine Art von Werbung nicht bei uns laufen lassen'.

Einmal die Perspektive wechseln

Aber wie soll ein 30-sekündiges Video eine Person zum Nachdenken bringen, die ein gefestigtes rechtes Weltbild vertritt? Wird so jemand die Videos nicht schlicht als gutmenschelnde Flüchtlingspropaganda abtun?

"Wir glauben nicht, dass sich ein Hardcore-Nazi umstimmen lässt", räumt Geiling ein. Bei dem Projekt gehe es viel eher darum, Menschen zu erreichen, die sich ansonsten in einer geschlossenen Welt bewegten, in der fremdenfeindliche Hetze auf der Tagesordnung stünde. "Wir erhoffen uns, dass die Konsumenten von diesen Hetzvideos zumindest einmal mit der Perspektive von Geflüchteten konfrontiert werden", so Geiling.

In diesem Punkt könnte die Kampagne tatsächlich verfangen. Denn ob man nun will oder nicht: Es macht etwas mit einem, wenn man eine halbe Minute in ein freundliches, kluges Gesicht schaut.

Zum Beispiel in das der 23-jährigen Syrerin Najlaa, die erst erzählt, dass man ihr Haus bombardiert und drei ihrer Cousins getötet hat und anschließend fragt, ob der Zuschauer ernsthaft glaube, sie sei ein Wirtschaftsflüchtling, dem es nur ums Geld ginge.

Vielleicht fällt es danach wirklich ein bisschen schwerer, pauschal über die Horden gieriger Ausländer zu schimpfen, die Deutschland angeblich überrennen. Womöglich klingt im Hinterkopf doch leise der Satz von Firas aus Syrien nach: "Egal ob ich Flüchtling oder Deutscher bin, ich bin zuerst und zuletzt einfach ein Mensch."

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