"Miss Trans Israel":"Wir sind alle Königinnen"

In Israel treten bei der "Miss Trans Israel" zum ersten Mal elf transsexuelle Frauen zu einer Miss-Wahl an. Es geht also um viel nackte Haut, lange Beine, falsche Brüste. Und um ein normales Leben ohne Freak-Stigma.

Von Peter Münch

Am Ende sind alle Kameras nur noch auf sie gerichtet, die Fotografen stehen auf der Schleppe ihres Kleides, die Reporter bedrängen sie mit Fragen. "Das ist ein historischer Moment", sagt die glückliche Siegerin, und das goldene Krönchen glitzert im Haar. Über die Leinwand im Hintergrund zischen noch die letzten Raketen des künstlichen Feuerwerks, Fanfarenklänge untermalen dieses furiose Finale. Was für eine Geschichte: Eine 21-jährige christliche Araberin wird im jüdischen Staat zur Schönheitskönigin gekürt. Aber das ist nicht mal die Besonderheit. Taalin Abu Hanna aus Nazareth ist die "Miss Trans Israel 2016".

Es wird fröhlich mit Klischees gespielt an diesem Tag, an dem es darum geht, die Klischees zu überwinden. Denn im Habima, dem Nationaltheater von Tel Aviv, treten zum ersten Mal in Israel elf transsexuelle Frauen zu einer Miss-Wahl an. Inszeniert ist dies als Auftakt zur "Gay Pride"- Woche, in der sich die Mittelmeer-Metropole stets als Hort regenbogenbunter Toleranz im Nahen Osten präsentiert. "Frauen für den Wandel" heißt das Motto in diesem Jahr - und hier stehen also nun die Frauen, die den Wandel schon hinter sich haben. Die als Jungen geboren wurden und sich im falschen Körper gefangen fühlten.

Sie haben sich befreit, mit Hormonen und Operationen, und zelebrieren nun hier ihre dabei gewonnene Weiblichkeit im grellen Scheinwerferlicht. Natürlich zeigen sie viel Haut, viel Bein und Po und falsche Brüste. Aufgebaut aber ist diese Bühne vor allem deshalb, damit sie diese Weiblichkeit jenseits der Scheinwerfer und des Voyeurismus auch leben können - ohne Diskriminierung, ohne Freak-Stigma, "als Gleiche unter Gleichen", wie Israela Stephanie Lev sagt, die 55-jährige Organisatorin der "Miss Trans Israel"-Wahl, die zu den Veteraninnen der Transgender-Community in Tel Aviv zählt.

Am Tag des Auftritts aber dreht sich erst einmal alles um die vordergründige Schönheit. Die Vorbereitungen beginnen bereits am Morgen. In den Katakomben des Theaters werden die Kandidatinnen geschminkt und gepudert, Locken werden gewickelt, Locken werden geglättet, Haarspray-Wolken wabern durch die Räume. Elf potenzielle Schönheitsköniginnen üben Posen und Blicke, Augen auf, Brust raus, und sie repräsentieren in ihrer schillernden Besonderheit doch einen Querschnitt der israelischen Gesellschaft. Aus Haifa kommen sie, Jerusalem oder Beerscheva. Sie sind jüdisch, muslimisch oder christlich. Sie sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Und hinter jeder von ihnen liegt ein langer und dornenreicher Weg bis hin zu diesem Auftritt.

Locken werden gewickelt, Locken werden geglättet

Eileen Ben-Zaken zum Beispiel, blond und kurvig, stammt aus einer ultra-orthodoxen jüdischen Familie in Jerusalem. Drei Söhne, drei Töchter, sie gehörte zu den Söhnen. Die Sitten sind streng bei den Haredim, den Gottesfürchtigen. Männer blicken keine Frauen an, Frauen verhüllen sich und zeigen nicht einmal Haar. "Ich war immer in eine Ecke gedrängt", sagt sie. Mit 15 ist sie nach Tel Aviv geflohen, hat erst auf der Straße gelebt, heute arbeite sie als Konditorin.

Zwei Türen weiter sitzt Carolin Khoury in der Maske. Sie kommt aus Haifa, aus einem arabischen Elternhaus, muslimisch und traditionell. "Meine Familie hasst mich", sagt sie, "aber vielleicht sehen sie mich ja jetzt im Fernsehen." Seit Jahren schon lebt auch sie in Tel Aviv, Haifa sei "zu gefährlich". Nicht ums Gewinnen geht es ihr bei diesem Wettbewerb, versichert sie, sondern um etwas Größeres: "Ich will eine Botschaft an die arabischen Gesellschaften schicken. Jeder Mensch ist anders, wir haben viele Farben und müssen jeden akzeptieren, so wie er ist." An einer Halskette trägt Carolin Khoury, die als arabischer Junge geboren wurde, heute einen Davidstern. Es ist, so erklärt sie, ihr Dank an Israel für die Toleranz, die sie erfährt.

Der Preis: eine kosmetische Operation in einer thailändischen Klinik

Dass diese Toleranz auch hier erst wachsen musste - und immer noch nicht überall zu finden ist -, weiß Efrat Tilma aus vielfältiger Erfahrung. Sie ist eine elegante Frau und imposante Erscheinung, die bei der "Miss Trans Israel"-Wahl in der Jury sitzt und auf ein Leben zurückblicken kann, das mehr als eine Wendung nahm und Stoff bietet für mehr als nur ein Drama. In den Sechzigerjahren, noch als Teenager, zählte sie zu den ersten Transgendern, die sich öffentlich zeigten - und dafür Prügel einsteckten.

"Die Polizei hat eine Hexenjagd auf uns veranstaltet", erzählt sie, "die wollten so etwas nicht in Israel haben." Geflüchtet ist sie nach Berlin, ausgerechnet nach Deutschland, als Kind von Holocaust-Überlebenden. Einfach war auch dort nichts, in Casablanca hat sie sich schließlich einer Operation unterzogen. 23 Jahre lang hat sie in Deutschland als Stewardess gearbeitet, sie hat geheiratet und ist nach dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren nach Israel zurückgekehrt. Und der Kampf ging weiter.

Der Schönheitswettbewerb gilt ihr nun als Durchbruch, gegen die Diskriminierung, hin zur Normalität. "Transgender sind heute in Israel Richterinnen, Ärztinnen, Journalistinnen, sie sind überall", sagt sie. "Aber die Bevölkerung muss noch mehr tun, um uns zu akzeptieren. Wir sind keine Randgruppe, wir sind Teil der Gesellschaft." Weil die Gesellschaft, das weiß auch sie, sich gern von Glamour blenden und anziehen lässt, soll die Miss-Wahl mit praller Inszenierung der Sensibilisierung dienen. Sie selbst stellt an die "Miss Trans" eine doppelte Anforderung: "Wichtig ist die Schönheit, aber auch der Charakter."

"Die Krone ist nicht so wichtig"

Eröffnet wird der Abend vor vollen Rängen schließlich von Israela Stephanie Lev, die im gold-schimmernden Abendkleid auf die Bühne tritt, "glücklich und aufgeregt", wie sie erklärt. "Dies ist heute der Unabhängigkeitstag für die Transgender-Gemeinde", ruft sie - und los geht die Show. In einer körperbetonten Choreografie treten die Kandidatinnen im Badedress auf, in der Abendrobe und schließlich im Hochzeitskleid. Träume in Weiß, Tränchen bei den Ausgeschiedenen, und schließlich die Kür der Siegerin.

Taalin Abu Hanna weiß, wie sie sich auf der Bühne zu bewegen hat. Sie ist Ballett-Tänzerin, sie singt und spielt Trompete, und mit dieser Erfahrung war sie schon als Favoritin ins Rennen gegangen. Als Preisgeld erhält sie nun einen Scheck über 15 000 Dollar, umgerechnet ungefähr 13 500 Euro - nicht zur freien Verfügung allerdings, sondern als Gutschein für kosmetische Operationen in einer thailändischen Klinik. Im September soll sie Israel überdies beim internationalen "Miss Trans Star"-Wettbewerb in Barcelona vertreten.

Dass sie eine würdige und treffsichere Vertreterin sein wird, hat sie zuvor schon in einer Fragerunde des Wettbewerbs bewiesen. "Die Krone ist nicht so wichtig", hat sie da gesagt. "Wir brauchen niemanden, der uns sagt, wer schöner ist. Wir sind alle Königinnen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: