Interview:Perfektion braucht kleine Fehler

Lesezeit: 2 min

Jörg Trempler, 45, ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Passau. Im Rahmen der Festspiele hält er am 21. Juni, 20 Uhr, an der Passauer Uni einen Vortrag mit dem Titel: "Dies Bildnis ist bezaubernd schön". (Foto: privat)

Ist wahre Schönheit objektivierbar? Oder ist auch sie inszeniert, gar stilisiert? Kunsthistoriker Jörg Trempler über Schönheit und deren Wahrnehmung im Wandel der Zeit.

Interview von Andreas Glas

Geht es um Geschmacksfragen, geht es immer auch um die Frage nach Schönheit. Ein Gespräch mit Kunsthistoriker Jörg Trempler über Schönheitsideale in der Kunst - und den Wandel der Schönheit im Laufe der Zeit.

SZ: Herr Trempler, was empfinden Sie persönlich als schön?

Jörg Trempler: Ich mag die Malerei der Frührenaissance, die ist einfach wunderschön. Aber das ist ja gerade die Schwierigkeit: Nicht jeder Mensch empfindet die gleichen Dinge als schön, reine Geschmackssache eben. Die Schönheit ist ein Begriff wie die Liebe oder der Schmerz. Das können Sie niemals ganz erklären.

Klingt frustrierend.

Nur auf den ersten Blick. Weil es keine feste Definition gibt, ist es umso interessanter, sich über den Wandel des Schönheitsideals Gedanken zu machen. Warum kann es nicht sein, dass wir ein Ideal haben, das für alle Zeiten gültig ist? Das Gegenteil ist ja der Fall: Unser Schönheitsideal ist permanent im Wandel.

Gibt es in der Geschichte Wegmarken, an denen sich das Schönheitsideal ganz fundamental verändert hat?

Das klassische Beispiel ist der Barock, die Rubensfrauen. Damals wurde eine gewisse Körperfülle als schön empfunden, das ist heute anders. Interessant ist auch die Renaissance, die sich an der Antike orientiert hat, am Goldenen Schnitt und der Harmonielehre. Diese Harmonie in Kunst und Musik wurde damals auch auf menschliche Gesichter übertragen, die nur als schön galten, wenn sie ebenmäßig waren.

Im Gegensatz zur klassischen Malerei werden Bilder heute oft digital bearbeitet. Ist die wahre, die natürliche Schönheit bedroht?

Nein. Wenn die wahre Schönheit bedroht ist, dann war sie schon immer bedroht. In der Rokokozeit zum Beispiel gab es einen Riesenwandel des Schönheitsideals, man muss da nur an Madame Pompadour denken, an das Ölgemälde von François Boucher in der Alten Pinakothek in München. An der regungslos schönen Madame Pompadour kann man gut sehen, dass eine gewisse Künstlichkeit auch früher schon ein Ideal war. Das ging so weit, dass man Rosen naturalistisch aus Porzellan nachgebildet und mit Rosenwasser besprüht hat.

In der Geschichte gab es aber immer auch Phasen, in denen die Natürlichkeit als Schönheitsideal galt.

In der Zeit der Französischen Revolution zum Beispiel. Mit Rousseau gab es ein solches Zurück zur Natürlichkeit. Da wurden die Frauen in der Kunst zwar nicht mehr geschminkt und mit weniger aufwendigen Frisuren dargestellt. Aber eben trotzdem sehr stark stilisiert.

Eine Natürlichkeit, die so stark inszeniert ist, dass man sie schon wieder als künstlich bezeichnen kann?

Auch hinter einem natürlichen, scheinbar nachlässigen Schönheitsideal steckt eine Art von Perfektion, ein gewisser Stil und es steckt Arbeit dahinter, diesen Stil mit einer gewissen Perfektion zu pflegen.

Dann gibt es ja vielleicht doch eine einheitliche Definition von Schönheit: Es geht immer um Perfektion.

Aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Es gibt Studien, die zeigen, dass wir fremdeln, wenn wir Gesichter sehen, die ganz perfekt sind, ganz symmetrisch. Wir fremdeln, weil wir das nicht so menschlich finden. Eine gewisse Asymmetrie ist für unser Schönheitsempfinden also förderlich.

Wie beruhigend.

Letztlich ist das Schönheitsideal nur ein Rahmen, der sich innerhalb der Zeit verschiebt. Innerhalb dieses Rahmens empfindet jeder etwas anderes als schön. Die Schönheit ist immer eine Mischung aus Zeitgeschmack und individuellem Geschmack.

© SZ vom 11.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: