Attentat:Mord an Abgeordneter erschüttert Großbritannien

Nach dem tödlichen Angriff auf die Labour-Politikerin Helen Joanne "Jo" Cox setzen vorübergehend alle Seiten ihre Kampagnen zum Referendum über den EU-Austritt aus.

Von Christian Zaschke, London

In Westminster und ganz Großbritannien herrschten am Donnerstagabend Trauer, Entsetzen, Fassungslosigkeit, als sich die Nachricht verbreitete, dass die 41 Jahre alte englische Parlamentsabgeordnete Jo Cox umgebracht worden ist. Sie war gegen 13 Uhr in ihrem nordenglischen Wahlkreis in Birstall in der Nähe von Leeds attackiert worden. Die Hintergründe der Tat waren am Abend noch unklar. Sowohl die Gegner als auch die Befürworter der EU haben ihre Kampagnen für das in der kommenden Woche anstehende Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft aus Respekt bis auf Weiteres gestoppt.

Jo Cox war eine große Befürworterin der britischen EU-Mitgliedschaft, ob der Mord an ihr damit in Zusammenhang steht, blieb vorläufig offen. Die britische Polizei hat einen 52 Jahre alten Mann als Täter festgenommen, der offenbar aus der Gegend stammt. Es gebe keine weiteren Verdächtigen, teilte die Polizei mit. Der Daily Telegraph berichtete, einem Zeugen des Angriffs zufolge habe der Täter gerufen: "Britain first", Großbritannien zuerst. Britain First heißt auch eine rechtsextreme Partei, die die Verteidigung britischer und christlicher Werte als ihre Hauptziele nennt.

Was am Donnerstag in Birstall genau geschehen ist, darüber gab es zunächst keine klaren Angaben, auch eine Pressekonferenz der Polizei am Abend lieferte keine weitreichenden Erkenntnisse. Sicher ist: Helen Joanne "Jo" Cox hatte am Donnerstag ihre wöchentliche Wahlkreissprechstunde als Abgeordnete in Birstall abgehalten. Anschließend geriet sie auf der Straße vor der örtlichen Bücherei in einen Streit. Ob der Täter sie gezielt attackieren wollte oder zunächst mit einem anderen Passanten stritt, darüber wichen die Aussagen der Augenzeugen voneinander ab. Offenbar schoss der später Festgenommene mehrmals auf Cox, traktierte sie dann mit einem Messer und trat schließlich auf sie ein. Cox erlag ihren Verletzungen kurz nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus.

Sie wurde erst 2015 für die Labour-Partei ins Unterhaus gewählt und hat sich dort schnell einen Namen gemacht, mit funkelndem Intellekt und als Politikerin, die über die Parteigrenzen hinaus nach Lösungen sucht. Sie galt als "künftiger Star" der Labour-Partei, weil sie in der Lage war, in allen politischen Lagern zu überzeugen. Mehrere Abgeordnete aller Parteien sagten am Donnerstag, Jo Cox sei unbestritten eine der beliebtesten Politikerinnen des Unterhauses gewesen und das vielleicht größte Versprechen der Labour-Partei für die Zukunft. Sie hinterlässt einen Ehemann und zwei kleine Kinder. Ehe sie Abgeordnete wurde, hatte Cox für Hilfs- und Wohltätigkeitsorganisationen gearbeitet, darunter Oxfam, Save the Children und die Bill and Melinda Gates Foundation.

Premierminister David Cameron zeigte sich am Abend tief bewegt von Cox' Tod. Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn gab seiner Trauer Ausdruck. Selten hat sich die politische Klasse in Westminster in der jüngeren Vergangenheit so vereint gezeigt.

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