Obama und das US-Einwanderungsgesetz:"Es bricht Millionen Einwanderern das Herz"

Reaction to US Supreme Court immigration vote

Wie geht es weiter? Isabel Sandoval (rechts), eine Einwandererin ohne Papiere, und ihre Tochter Marisol, reagieren am Rande einer Mahnwache in Los Angeles auf die Supreme-Court-Entscheidung.

(Foto: Eugene Garcia/dpa)
  • Der Supreme Court hat entschieden, dass die Einwanderungspolitik von US-Präsident Obama rechtswidrig ist.
  • Obama wollte eine Reform des Einwanderungsrechts per Erlass durchsetzen und Milde zeigen gegenüber "illegalen" Einwanderern.
  • Der Fall offenbart vor allem, wie sehr sich die drei Staatsgewalten in Washington gegenseitig lähmen.

Von Nicolas Richter, Washington

Neun Wörter haben am Donnerstag gereicht, um Millionen Menschen in Amerika die Hoffnung zu nehmen. "Das Urteil wird bestätigt durch ein in der Mitte gespaltenes Gericht", erklärte der Supreme Court in Washington; er ließ damit die Entscheidung einer unteren Instanz durchgehen, welche die Einwanderungspolitik von US-Präsident Barack Obama für rechtswidrig erklärt hatte. In der Praxis bedeutet das, dass bis zu fünf Millionen Einwanderer ohne Papiere, "Illegale" genannt, keinen Schutz vor Abschiebung genießen. Selten seien die Hoffnungen so vieler von so wenigen Worten zerdrückt worden, sagte ein Beobachter.

Obama verliert damit ein Kernstück dessen, was sein politisches Erbe definieren sollte. Seit Jahren verlangt er eine Reform des Einwanderungsrechts, die Milde zeigen würde mit jenen, die ohne Aufenthaltserlaubnis in den USA leben. Ein entsprechender Reformentwurf ist im Parlament am Widerstand der Republikaner gescheitert. Also hat Obama versucht, das Problem selber zu lösen, per Erlass. Doch die Justiz hat ihm bescheinigt, dass er seine Kompetenzen überschritten hat.

Der Präsident reagierte enttäuscht. "Die heutige Entscheidung ist frustrierend für jene, die versuchen, unsere Wirtschaft anzukurbeln und Vernunft in unser Einwanderungssystem zu bringen", sagte er im Weißen Haus. "Und es bricht Millionen Einwanderern das Herz, die hier eine Existenz aufgebaut haben."

Obama hatte im Jahr 2014 verfügt, dass bis zu fünf Millionen Illegale unter gewissen Bedingungen im Land bleiben und eine Arbeitserlaubnis erhalten dürften. Die Regelung galt ausländischen Eltern, deren Kinder US-Bürger sind oder ein unbeschränktes Aufenthaltsrecht besitzen. Viele Familien werden auseinandergerissen, weil die Eltern ausgewiesen werden, während deren Kinder bleiben dürfen, weil sie in den USA geboren wurden und damit automatisch Staatsbürger sind. Obama erließ im Jahr 2014 neue Vorschriften, um diesen Missstand zu beseitigen.

26 Bundesstaaten warfen Obama vor, seine Macht missbraucht zu haben

Aber ein Bündnis aus 26 Bundesstaaten klagte gegen den Vorstoß aus Washington und warf Obama vor, seine Macht missbraucht zu haben. Viele republikanische Politiker hielten Obama vor, sich wie ein Kaiser zu benehmen. Den Widerstand führte der Staat Texas an; er machte geltend, dass er durch die Anordnung aus dem Weißen Haus einen Schaden erleide: Es werde viel Geld kosten, die Ausländer mit Führerscheinen auszustatten, wenn sie ein Bleiberecht erhalten hätten.

Der Justizminister von Texas, Ken Paxton, sah sich nun durch den Supreme Court voll und ganz bestätigt: "Eine einzelne Person kann nicht eigenmächtig das Gesetz ändern, selbst wenn es ein Präsident ist. Dies ist ein schwerer Rückschlag für die Versuche Obamas, die Macht der Exekutive auszuweiten, und ein Sieg jener, die an Gewaltenteilung und an die Macht des Gesetzes glauben."

Der Fall offenbart vor allem, wie sehr sich die drei Staatsgewalten in Washington gegenseitig lähmen. Schon seit Jahren blockieren der demokratische Präsident als Chef der Exekutive und das republikanisch beherrschte Parlament einander. Meist ist es dann der Supreme Court als oberstes Organ der Judikative, der über kontroverse Themen das letzte Wort spricht.

Allerdings ist das Oberste Gericht jetzt selber nicht voll entscheidungsfähig, weil Antonin Scalia, einer von neun Richtern, unlängst gestorben und nicht ersetzt worden ist. Weil die neunte Stimme fehlte, kam es nun zu einem Patt auf der Richterbank: Vier Richter entschieden für die Regierung, vier dagegen. In Wahrheit also hat der Supreme Court gar kein Urteil gefällt, sondern nur mitgeteilt, dass er mangels einer absoluten Mehrheit kein Urteil fällen kann. Obama hat zwar einen Kandidaten nominiert, um Scalia nachzufolgen, aber die Republikaner im Parlament weigern sich, die Personalie zu bestätigen.

Die Wähler müssen jetzt entscheiden

Eine Grundsatzentscheidung über die künftige Einwanderungspolitik müssen jetzt also die Wähler fällen. Das Thema beherrscht den Wahlkampf ohnehin schon seit einem Jahr: Der republikanische Kandidat Donald Trump hat von Anfang an Stimmung gemacht gegen Ausländer. Er verlangt, eine durchgängige Mauer an der mexikanischen Grenze zu bauen und elf Millionen Illegale abzuschieben. Dies kommt an der republikanischen Basis gut an, weil sich viele davor fürchten, ihre Arbeitsplätze an Ausländer zu verlieren. Außerdem stören sich viele daran, Illegale mit einem Bleiberecht zu belohnen, obwohl die ja eigentlich das Gesetz missachtet hätten. Trump erklärte, Obamas Erlass sei eine der verfassungswidrigsten Handlungen aller Zeiten.

Die demokratische Kandidatin Hillary Clinton dagegen setzt wie Obama darauf, jenen Illegalen zu helfen, die bereits im Land leben. Sollte sie die Wahl gewinnen, würde sie versuchen, Obamas Erlasse umzusetzen oder auszuweiten. Clinton warnte nach dem Patt am Supreme Court, das Ergebnis erinnere daran, welchen Schaden Trump Einwandererfamilien und dem Land zufügen würde. Clinton setzt auf die wachsende Wählergruppe der Latinos, die bei der Wahl 2012 mit sehr großer Mehrheit für Obama gestimmt haben.

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