Open Data in der Verwaltung:Auf Schatzsuche im Amt

Wie läuft der Verkehr? Wo entstehen Wohnungen? Die Antworten stecken in Behördendaten. Die große Koalition will nun mit einem Gesetz die staatlichen Statistiken für Firmen öffnen.

Von Sebastian Jannasch

Es sieht ziemlich genau so aus, wie man sich ein Treffen unter Hackern vorstellt. Dutzende, vor allem bärtige, Menschen lümmeln auf weichen Sofas, sie tippen eifrig auf ihren Laptops herum und werfen sich Begriffe wie "Raspberry Pi" und "AP-Schnittstelle" zu. Doch die etwa 40 IT-Experten, die sich im Bonner Stadtteil Beuel zum "Hackathon" versammelt haben, wollen nicht in Firmendatenbanken eindringen oder Regierungsseiten lahmlegen. Im Gegenteil. Sie hacken mit staatlicher Lizenz.

Geladen haben die Stadt Bonn und die Initiative Code for Germany. Ziel ist es, die digitale Szene von Bonn zusammenzubringen, "damit Ideen und Projekte entstehen, die auf Basis offener Daten Nützliches für die Stadtgesellschaft ermöglichen", sagt Sven Hense, Leiter der Abteilung für IT-Anwendungen der Stadt. Findige Menschen sollen aus den Verwaltungsdaten Anwendungen entwickeln, die Bürgern zum Beispiel helfen, mit einer App einen freien Parkplatz zu ergattern, per Mausklick den richtigen Kindergarten zu finden oder Baustellen zu umfahren.

Ein Open-Data-Gesetz soll noch vor der nächsten Bundestagswahl kommen

Geht es nach den Fraktionen von SPD und CDU/CSU im Bundestag, sollen in Zukunft noch viel mehr Daten für kreative IT-Tüftler zur Verfügung stehen. Am Mittwoch bekräftigten sie bei einer Koalitionsrunde, dass die Bundesregierung ein Open-Data-Gesetz vorlegen soll. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) soll nun bis zum Ende des Sommers Eckpunkte erarbeiten. "Wir brauchen eine Umkehr des Veröffentlichungsprinzips: Alle öffentlichen Daten ohne Personenbezug sollen online bereitgestellt werden. Abweichungen müssen begründet werden", sagt Thomas Jarzombek (CDU). "Ich bin optimistisch, dass wir noch vor der nächsten Bundestagswahl ein Open-Data-Gesetz auf den Weg bringen können", sagt der netzpolitische Sprecher der SPD, Lars Klingbeil.

Buerokratie

Die Deutschen müssen die meisten Behördengänge noch analog erledigen - Aktenberge inklusive.

(Foto: Ulrich Baumgarten/picture alliance)

"Open Data" ist zum Schlagwort in deutschen Ämtern geworden. Gemeint ist, dass der Bund, Länder und Kommunen ihre digitalen Aktenordner öffnen, kostenfrei behördliche Statistiken und Datenerhebungen im Internet zur Verfügung stellen - und dadurch ein Konjunkturprogramm für die Start-up-Szene auflegen. Denn in den Behördenarchiven schlummert ein Milliardengeschäft. Aus den öffentlichen Daten zu Mobilität, Kataster, Wetter, Bevölkerungsentwicklung, Immobilienmarkt bis hin zu täglichen Wasserstandsmeldungen, können findige Entwickler lukrative Web-Anwendungen erstellen. "Die Bereitstellung der Daten kann einen wirtschaftlichen Schub auslösen und Innovation anregen", sagt Pencho Kuzev von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die CDU-Denkfabrik hat vor Kurzem eine Studie vorgelegt. Sie gibt das jährliche wirtschaftliche Potenzial, das in den Statistiken und Tabellen der Behörden steckt, mit zwölf bis 130 Milliarden Euro an. Eine weite Spanne, die davon abhängt, wie intensiv die Bundesregierung die Transparenz-Offensive verfolgt. Wenn die Behörden proaktiv alle Daten ohne Personenbezug veröffentlichen, könnten bis zu 20 000 Arbeitsplätze entstehen, schreiben die Autoren.

Wie man öffentliche Daten zu Geld macht

Wie man öffentliche Daten zu Geld machen kann, zeigt die Firma Parkpocket. Mit einer App können Nutzer in Echtzeit sehen, in welchem Parkhaus ihrer Stadt Plätze frei sind. Die Daten dafür laufen automatisch von den Betreibern, darunter viele öffentliche Einrichtungen, ins System. "Die App ist kostenlos, aber wir verkaufen die Anwendung an Autohersteller und Entwickler von Kartendiensten", sagt Geschäftsführer Stefan Bader.

Erfolgreiche Start-ups, die mit Behördendaten arbeiten, sind in Deutschland eine Seltenheit. Beim Global Open Data Index steht die Bundesrepublik abgeschlagen auf den 26. Platz. Ganz vorn bei der Veröffentlichung von Daten ist Großbritannien, wo die Regierung von David Cameron die Öffnung der Behörden zu einer Priorität erklärt hat. In Deutschland enthält das bundesweite Datenportal Gov-Data bisher nur einen Bruchteil aller behördlichen Daten, sechs Bundesländer liefern gar keine Informationen. "Es besteht ganz eindeutig Aufholbedarf. Deutschland droht international beim Thema Open Data den Anschluss zu verlieren", sagt der netzpolitische Sprecher der Grünen Konstantin von Notz. Die Grünen fordern die Bundesregierung diese Woche in einem Antrag auf, die Bereitstellung von offenen Daten auf dem zentralen Portal deutlich zu verstärken.

Viele Behörden betrachten Daten als ihr Eigentum

Zurzeit entscheidet jedes Bundesland und jede Kommune eigenständig, welche Daten herausgegeben werden. "Viele Verwaltungen betrachten Daten immer noch als ihr Eigentum, obwohl die Daten mit Steuermitteln erhoben wurden", sagt Open-Data-Forscher Pencho Kuzev. Auch in Bonn musste Sven Hense viel Überzeugungsarbeit leisten, nicht zuletzt deshalb, weil Kommunen mit dem Verkauf von Daten wie Kartenmaterial die klammen Kassen aufbessern. Auch die Befürchtung von Beamten, gegen den Datenschutz zu verstoßen, sieht Hense als "Haupthindernis bei Open Data". Doch gemeint sind nur Daten, die keine Rückschlüsse auf einzelne Bürger zulassen. "Grundsätzlich begrüßen wir es, wenn die öffentliche Hand Daten proaktiv zur Verfügung stellt", sagt auch der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar. "Das trägt dazu bei, Politik transparenter zu machen."

Damit es nicht von netzaffinen Beamten wie Hense in Bonn abhängt, ob es Deutschlands Verwaltung ins digitale Zeitalter schafft, fordern Netzaktivisten schon lange ein eigenes Open-Data-Gesetz mit einem klaren politischen Auftrag zur Datenveröffentlichung. "Andernfalls werden Verwaltungen nicht die nötige Zeit und die Ressourcen aufbringen, um Daten bereitzustellen", sagt Forscher Kuzev.

Maut-Daten könnten helfen, den Verkehr besser zu regeln

Ein solches Gesetz könnte nun kommen. In einem Positionspapier der Unionsfraktion präzisieren die Netzpolitiker ihre Leitlinien der Open-Data-Initiative. Verwaltungen, aber auch öffentliche Unternehmen wie Verkehrsbetriebe, müssen alle nicht-personengebundenen Daten zugänglich machen. Dass Kommunen Informationen in unterschiedlichen Formaten bereitstellen, ist ein großes Hindernis für Entwickler, die bundesweite Apps anbieten. "Mit dem Gesetz müssen einheitliche Datenstandards für Kommunen, Länder und die Bundesverwaltung festgelegt werden", fordert deshalb CDU-Netzpolitiker Marian Wendt. Als konkrete Anwendungen schlägt die Union vor, anonymisierte Maut-Daten bereitzustellen, um Verkehrsströme besser lenken und Investitionen frühzeitig absehen zu können.

Doch auch eine gesetzliche Verpflichtung kann den Kulturwandel nicht ersetzen, den Verwaltungen durchlaufen müssen, um die Datenveröffentlichung in den Alltag zu integrieren. In Bonn klappt das schon gut. "Inzwischen kommen sogar Kollegen zu mir, weil sie Daten von sich aus online stellen wollen", sagt Hense.

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