Internetkonzerne:Raus aus der Parallelwelt

Apple, Google & Co. haben die US-Wirtschaft neu belebt. Doch die Tech-Industrie hat auch ihre Schattenseiten - gegen die sich jetzt Widerstand regt.

Von Claus Hulverscheidt

Wer in der Region rund um San Francisco wohnt, über ordentlich Kleingeld verfügt und seinen Kindern eine abwechslungsreiche Freizeit bieten will, der konnte sich bisher vertrauensvoll an Mercedes-Benz wenden. "Boost" hieß das vor drei Jahren gegründete Start-up des Stuttgarter Autoherstellers, das es Eltern im Silicon Valley ermöglichte, die lieben Kleinen während der eigenen Arbeitszeit zu Freunden, zum Fechten, zum Ballett oder zum Sportplatz chauffieren zu lassen: Einfach per App den Kleinbus mit Fahrer und Betreuerin bestellen, schon war der Nachmittag organisiert.

Gegen eine sinnvolle Freizeitgestaltung von Kindern hat gewiss auch Maria Poblet nichts einzuwenden - und doch war die Gründung von "Boost" für sie wohl ein Paradebeispiel für jene Parallelwelt, in die sich gut verdienende Mitarbeiter örtlicher Internetfirmen aus der Sicht von Kritikern immer häufiger verabschieden. Es sei toll, wenn sich Unternehmenschefs "in der einen Woche um Kinder aus Ghana und in der anderen um Delfine kümmern", hat die Aktivistin des Bündnisses Causa Justa/Just Cause jüngst gegenüber der New York Times erklärt. "Die Menschen, die in San Francisco vom Wohnungsmarkt verdrängt werden, verdienen aber genauso viel Aufmerksamkeit."

Causa Justa/Just Cause hilft Bürgern, die sich die dramatisch gestiegenen Mieten in der Stadt nicht mehr leisten können oder gar obdachlos werden. Die Stadtoberen werden mit dem Problem finanziell nicht mehr fertig, weshalb jetzt überlegt wird, Tech-Firmen mit einer Zusatzlohnsteuer in Höhe von 1,5 Prozent zu belegen. Das könnte 140 Millionen Dollar pro Jahr bringen. Drei der elf Mitglieder des elfköpfigen Aufsichtsrats der Stadt haben sich spontan hinter die Initiative gestellt, auch Poblet unterstützt sie.

"Wettbewerb in Amerika ist unabdingbar für Freiheit in Amerika."

Dass der Aufstieg von Google, Apple, Amazon, Facebook, Twitter & Co. den nötigen Strukturwandel in den USA wesentlich befördert hat, ist unbestritten. Und doch gibt es auch andernorts zunehmend Kritik an den Begleiterscheinungen. In Washington etwa hat jetzt die streitbare demokratische Senatorin Elizabeth Warren gefordert, Macht und Einfluss der Tech-Giganten mithilfe eines deutlich verschärften Kartellrechts zu begrenzen. Kritisch sieht sie vor allem die Tatsache, dass die Firmen ihre starke Stellung im Stammgeschäft nutzen, um weitere Märkte unter ihre Kontrolle zu bringen. So versuche etwa Apple, über seine Position im Handymarkt dem eigenen Musik-Streamingdienst Vorteile gegenüber Konkurrenten zu verschaffen. Ähnlich der Suchmaschinen-Gigant Google, der seine Algorithmen so programmiere, dass firmeneigene Inhalte eher die Chance hätten, nach oben gespült zu werden als die von Rivalen. "Wettbewerb in Amerika ist unabdingbar für Freiheit in Amerika", so Warren in einer Rede. "Die Märkte, die uns so viel gegeben haben, funktionieren nicht mehr, wenn wir den Gedanken des Wettbewerbs nicht hochhalten."

Warren ist nicht irgendwer in dieser Debatte - sie könnte unter einem Staatsoberhaupt Hillary Clinton die nächste Vizepräsidentin des Landes sein. Und sie ist auch nicht allein: Der Ökonomiebeirat des Weißen Hauses hatte erst vor wenigen Wochen geklagt, dass die wirtschaftliche Konzentration im Land zunehme und der Wettbewerbsdruck nachlasse. Das Ergebnis sei weniger Innovation.

"Boost", der rollende Kindergarten von Mercedes-Benz, musste im Übrigen in der vergangenen Woche seinen Dienst einstellen. Auch in der Parallelwelt rund um San Francisco geht also nicht immer alles glatt.

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