Vom Malz zur Mass:Ein ehrsames Handwerk

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Einst gab es 22 Brauereien allein in Tölz, auch in Wolfratshausen wurde Bier gebraut - bis die Konkurrenz aus München zu übermächtig wurde

Von Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Noch um 1830 war das Tölzer Bier wegen seiner ausgezeichneten Qualität in der bayerischen Residenzstadt gefragt: Am Oktoberfest wechselten die Münchner von Bude zu Bude - zumindest am Rande des Festgeländes wurde Tölzer Bier ausgeschenkt - und probierten, welches Bier besser schmeckt. Journalisten empfahlen den Münchner Großbrauereien sich ein Beispiel an den kleinen Betrieben von Bad Tölz zu nehmen. So berichten es damalige Zeitungen. Gleichzeitig wird daran die große Bedeutung des Bieres im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen mit zahlreichen Brauereien in Bad Tölz, Wolfratshausen, den Klöstern und den Hofmarken deutlich.

In Bad Tölz blühte das Brauerei-Handwerk bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Vor 1800 waren allein 22 Brauereien in der Stadt angesiedelt. Sie lieferten ihr Bier bis ins Tegernseer und Loisachtal und nach München - auf Pferdefuhrwerken und mit Flößen auf der Isar. 1792 zahlten die Tölzer Brauer direkt nach München den zweithöchsten Anteil an Biersteuer im bayerischen Herzogtum.

"Die Keller im Mühlfeld waren der Wettbewerbsvorteil der Tölzer", sagt Claus Janßen, Heimatforscher und Vorsitzender im Tölzer Historischen Verein. Denn weil es damals verboten war, von Georgi (23. April) bis Michaeli (29. September) Bier zu brauen, brauchten die Betriebe kühle Lagerstätten für die warme Jahreszeit. Die konnten die Brauer ohne großen Aufwand in den Tuffstein des Tölzer Mühlfelds schlagen. Um den Gerstensaft über den Sommer frisch zu halten, schlugen sie im Winter Eisblöcke aus den umliegenden Weihern und lagerten diese dort ein. So blieb das stärkere Märzenbier - es wurde eigens für die Sommersaison eingelagert - noch vor der Existenz moderner Kühlmethoden länger kühl und haltbar. Als Carl von Linde 1876 die Kompressions-Kältemaschine entwickelte, war der Wettbewerbsvorteil der Tölzer Brauer endgültig dahin. Ohnehin hatte im 19. Jahrhundert deren langsamer wirtschaftlicher Niedergang eingesetzt. Nach und nach schlossen immer mehr gewerbliche Betriebe. Gegen die Konkurrenz der Münchner Großbrauereien konnten sie nicht mehr bestehen.

Im Bierkeller der Aktienbrauerei am Tölzer Bräustüberl wurde im Jahr 1928 das Bier in riesigen Holzfässern gelagert. (Foto: privat)

Ebenso brauten die Hofmarken in Hohenburg und Eurasburg sowie die Klöster in Reutberg - die Brauerei existiert heute noch als Genossenschaft - sowie Dietramszell und Benediktbeuern Gerstensaft. Um ihre Absatzmärkte stritten sich Klöster und Tölzer Brauer sogar wiederholt vor Gericht. So hatten die Tölzer früher die fünf Benediktbeurer Hofmarkstavernen beliefert, was dem Abt des örtlichen Klosters missfiel. Als er schließlich die Baupflicht für die Brücke und die Straße am Kesselberg übernahm, übertrug der bayerische Herzog den Mönchen das Recht, die Hofmarkstavernen mit Bier zu beliefern.

Bevor Bier zum Volksgetränk wurde, musste es sich aber erst gegen den auch in Altbayern angebauten Wein durchsetzen. Noch 1577 existierten im Tölzer Markt zehn Weinwirte und vier Bierbrauer, 1631 waren letztere schon 22. Sie waren in Tölz vor 1800 in einer Zunft organisiert. Im 17. Jahrhundert gab es in der Stadt sogar kurzzeitig Hopfengärten. Bierbrauer besaßen Äcker, Wald, Wiesen, ein paar Kühe und einige Pferde zum Biertransport auf Fuhrwerken. Die zum Bierbrauen nötige Gerste kauften sie auch auf der Münchner Schranne. Schon vor 1600 existierten in Tölz sogar hölzerne Wasserleitungen, worüber Brauer frisches Quellwasser direkt in ihre Betriebe leiten konnten.

In der Tölzer Marktstraße war bald jedes zweite Haus ein Bräu. (Foto: Manfred Neubauer)

Vor 1800 stellten die Brauer nur untergäriges Braunbier mit dem Grundgetreide Gerste her. Mit untergärigen Hefen lässt sich laut Janßen höchstens bei Temperaturen bis zu zehn Grad arbeiten, weswegen im Sommer ohnehin nicht gebraut werden konnte. Nur das bayerische Herzogshaus durfte dank seines Monopols Weißbier mit Weizen brauen. Das als Sommerbier ausgeschenkte Märzenbier wurde im Frühjahr gebraut, hatte zur längeren Haltbarkeit einen höheren Alkoholgehalt und musste nach dem Brauen erst noch einige Wochen lagern. Nur jeweils zwei Brauer durften das Märzenbier im Sommer gleichzeitig ausschenken. Das kennzeichneten sie mit einem Kranz an der Hausfassade. Die Reihenfolge wurde ausgelost.

Noch heute erinnern in Bad Tölz etwa das Hotel Kolberbräu, das Starnbräu oder das Tölzer Bräustüberl mit ihren Namen an die früheren Braubetriebe. Am Areal des Bräustüberls versuchte sich Anton Höfter (1889 bis 1974) noch 1924 gegen die wachsende Konkurrenz aus München zu stemmen. Der Chef des Klammerbräu fasste 1924 seinen Betrieb mit dem Kolber- und Bruckbräu zur Tölzer Aktienbrauerei zusammen. Vier Jahre später bot Höfter die Aktienbrauerei dem Münchner Löwenbräu zum Kauf an. Mit der Grüner-Brauerei schloss nach der Jahrtausendwende die letzte der alten Traditionsbetriebe. Heute wird im neu gegründeten Mühlfeldbräu, dem Binderbräu und Stegbräu in Bad Tölz wieder Bier gebraut.

Vom Biergarten des Wolfratshauser Haderbräus schaute man um 1900 auf die Loisach. (Foto: Stadtarchiv Wolfratshausen)

In Wolfratshausen existiert dagegen schon seit mehr als 100 Jahren keine Brauerei mehr. Als letzte schloss der im Jahr 1619 erstmals als Brauerei urkundlich erwähnte Humplbräu am Marienplatz. Am 1. Juli 1909 hatte die Kochelbrauerei aus München das Anwesen gekauft. Die neuen Inhaber stellten den Braubetrieb ein und errichteten ein Bierdepot. Wenige Jahre später erwarb die Familie Fagner den Komplex und betreibt dort bis heute ein Hotel und ein Gasthaus.

In einer Grundbeschreibung für den Markt Wolfratshausen von 1633 sind zwölf Bräubehausungen aufgelistet. Im 17. Jahrhundert zählten die Besitzer zu den reichsten Einwohnern. Sie stifteten häufig für kirchliche Zwecke. 1803 waren der Humplbräu mit rund 77 000 Litern und der Haderbräu mit rund 70 000 Litern im Jahr die größten Wolfratshauser Betriebe. Der Besenbräu stellte beispielsweise nur etwa 20 000 Liter jährlich her. Laut dem früheren Wolfratshauser Stadtarchivar existierten in demselben Jahr in München 71, in Bad Tölz 21 und in Wolfratshausen zwölf Brauereien. Insgesamt führen Archivunterlagen sogar 13 Brauereien in Wolfratshausen an. Dazu zählte um 1900 auch die Weißbierbrauerei "beim Kellerbauern" außerhalb des Marktes an der Geltinger Straße.

Genauso wie in Bad Tölz konnten auch die im Vergleich dazu wirtschaftlich weniger bedeutsamen Wolfratshauser Betriebe gegen die Konkurrenz aus München kaum bestehen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts schlossen immer mehr, bis 1841 etwa der Ochsen- und Lochbräu sowie der Weilheimer Bräu. Um 1880 brauten nur noch drei Betriebe Bier. Der jetzige Wolfratshauser Stadtarchivar Peter Bergmann-Franke begründet den Niedergang damit, dass die Münchner Großbetriebe rationeller arbeiten konnten. Zudem habe die Flößerei im 19. Jahrhundert ihre einstige Bedeutung als Transportgewerbe verloren. Negativ wirkte sich ebenso die Eröffnung der Isartalbahn von München nach Wolfratshausen aus. Denn auf der Schiene ließ sich der Gerstensaft schnell und unkompliziert bis zur Loisachstadt transportieren. So kauften die Münchner Brauereien nach und nach die alten Braugaststätten auf und gelangten so an deren Lieferverträge.

Vorträge zur Bier-Historie: Claus Janßen, "Ein ehrsames Handwerch derPierpreuen zu Töltz" - Zur Geschichte des Tölzer Brauereiwesens (20.September)/Karl Gattinger, "Der Landesherr als Bierbrauer" (25. Oktober)/Lothar Ebbertz, "Das Bier und sein Reinheitsgebot (22.November), jeweils 19.30 Uhr, Eintritt frei, Historischer Ratssaal, Bad Tölz

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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