Alzheimer:Neue Alzheimer-Therapie reduziert Ablagerungen im Gehirn

Alzheimer: Was tun bei Alzheimer?

Was tun bei Alzheimer?

(Foto: Stefan Dimitrov)

Viele Forscher sind begeistert - doch ob es Patienten dadurch tatsächlich besser geht, ist noch lange nicht klar.

Von Hanno Charisius

Seit mehr als einem Jahr sind Alzheimer-Experten wie elektrisiert. So lange zirkulieren bereits in den Fachkreisen die vorläufigen Ergebnisse einer Studie, die eine neue Therapie gegen Alzheimer untersucht hat. Der getestete Wirkstoff sollte nicht nur die Eiweißklumpen, die für die Entstehung der Alzheimer-Demenz verantwortlich gemacht werden, bei Patienten aufgelöst haben, auch der Verfall der geistigen Fähigkeiten schien bei einigen Probanden verlangsamt zu sein. Jetzt präsentiert das Wissenschaftsjournal Nature umfassende Daten der Untersuchung in seiner aktuellen Ausgabe und die Fachleute sind noch immer beeindruckt. "Solche Effekte hat es bislang noch nie gegeben", sagt Demenzforscher Christian Haass vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Aber er warnt auch vor verfrühter Hoffnung. Viele Wirkstoffe sind nach verheißungsvollen ersten Resultaten in späteren Entwicklungsphasen dann doch noch gescheitert.

Andere Experten reagieren ähnlich: angetan von den Daten aber zurückhaltend in der Frage, was deren Bedeutung für eine zukünftige Therapie sein mag. Auch die Forschergruppe, die den Bericht verfasst hat, betont, dass das Ziel der Studie lediglich war, die Sicherheit des Wirkstoffs an einer kleinen Patientengruppe zu testen und zu kontrollieren, ob er einen Effekt im Gehirn zeigt. Das sei gelungen. Die Daten zum geminderten Verfall der geistigen Leistungskraft hätten allerdings nur geringe statistische Aussagekraft, weil die Studie nicht auf diese Fragestellung zugeschnitten war. Diese Ergebnisse sollten daher "vorsichtig interpretiert werden".

22 Versuchsteilnehmer schieden vorzeitig aus dem Test aus wegen schwerer Nebenwirkungen

Wie Alzheimer entsteht, ist nach mehr als hundert Jahren Forschung in diesem Gebiet noch immer nicht bewiesen. Die meisten Wissenschaftler ziehen jedoch inzwischen die "Amyloid-Hypothese" als Erklärung heran, nach der sich Proteine namens Amyloid-beta (Abeta) im Gehirn über Jahrzehnte hinweg zu Plaques verklumpen und schädliche Entzündungsprozesse auslösen, die schließlich zur Alzheimer-Demenz mit Gedächtnis-, Sprach- oder Denkstörungen führen.

Der Wirkstoff, den das amerikanische Biotechunternehmen Biogen an 165 Menschen mit leichten Alzheimer-Symptomen testen ließ, baut auf diese Hypothese und zielt darauf ab, die Eiweißklumpen aufzulösen. Deshalb waren auch nur solche Patienten zur Studie zugelassen, die neben milden Demenzsymptomen auch bereits nachweislich Abeta-Plaques im Hirn hatten. Der Wirkstoff ist ein Antikörper namens Aducanumab, der den Patienten über ein Jahr hinweg einmal pro Monat per Infusion verabreicht wurde.

Die Versuchsteilnehmer waren in fünf Gruppen aufgeteilt worden. In vier davon bekamen die Probanden den Wirkstoff in unterschiedlich hoher Konzentration verabreicht, in der Kontrollgruppe wurde ein Scheinmedikament injiziert. Je höher die Wirkstoffkonzentration war, desto mehr Abeta-Plaques verschwanden aus dem Gehirn der Studienteilnehmer. Diese Wirkung kontrollierten die Wissenschaftler durch Hirnscans, bei denen das Abeta-Protein durch eine schwach radioaktive Substanz sichtbar gemacht wurde. Auch der kognitive Verfall scheint bei höchster Dosierung am stärksten gebremst zu werden. Diese Probanden hatten allerdings auch die heftigsten Nebenwirkungen. Zehn Versuchsteilnehmer aus dieser ursprünglich 32 Personen umfassenden Gruppe schieden deshalb frühzeitig aus dem Test aus. Die häufigste Nebenwirkung waren Ödeme, Wassereinlagerungen im Gehirn, es kam jedoch auch in einigen Fällen zu Blutungen.

Eine erfolgreiche Therapie müsste im Frühstadium der Krankheit ansetzen

Insgesamt beendeten 22 Probanden wegen Nebenwirkungen die Studie. "An diese hohe Dosierung hätten sich andere Gruppen wahrscheinlich nicht herangetraut", sagt Christian Haass zu dem riskanten Vorgehen der Kollegen. Doch nur wenn viele Antikörper durch die Adern der Patienten strömen, gelangen auch ein paar in das gut abgekapselte Gehirn und können dort mutmaßlich ihre Wirkung entfalten. Für Haass ist die Studie vor allem aus zwei Gründen wertvoll: Erstens bestätige sie die Amyloid-Hypothese. Zweitens zeige sie, wie frühzeitig sich die Krankheit im Gehirn einnistet, und dass man Resultate offenbar nur erzielen kann, wenn die Behandlung frühzeitig startet. In vielen früheren Studien waren Patienten mit fortgeschrittener Demenz rekrutiert worden. In solchen Fällen könnten die Antikörper die Plaques zwar vielleicht wegräumen, doch seien die Schäden im Gehirn zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich bereits zu groß, um den Verfall noch aufzuhalten, vermutet Haass.

Eine erfolgreiche Therapie müsse deshalb im Frühstadium der Krankheit ansetzen, am besten noch bevor sie beginnt. An einem dazu notwendigen Verfahren zur Früherkennung arbeiten Haass und seine Kollegen. Alle Experten sind sich einig darin, dass Aducanumab seine Wirkung erst in größeren Tests bestätigen muss, bevor man therapeutische Konzepte entwickeln kann. Zu diesem Zweck hat Biogen bereits Studien gestartet, in denen die Wirkung des Antikörpers auf die geistigen Fähigkeiten genau untersucht werden soll - denn darum geht es im Kampf gegen die Demenz, nicht um das Verschwinden von Plaques auf Hirnscans. Bis die ersten Ergebnisse vorliegen, werden noch viele Jahre vergehen. Das gilt auch für ähnliche Wirkstoffe, die andere Herstellern zurzeit erproben.

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