Theaterpremiere:Mahnung ohne Zeigefinger

Mit "Ein Exempel" inszeniert die Garchinger Laientheatergruppe des Vereins "Zeitkind" kritisches zeitgenössisches Theater. Dabei gelingt es Regisseur Werner Högel, die großen Fragen von Schuld und Verantwortung auch mit Humor aufzuwerfen

Von Franziska Gerlach, Garching

Da steht er nun also, ein deutscher Durchschnittsbürger namens A, und hat nicht die leiseste Ahnung, was mit ihm geschieht. Denn seit er wegen eines dummen Zufalls vor Gericht steht, ist in seinem bislang ganz normalen Leben plötzlich gar nichts mehr normal: Die Nachbarn tuscheln, wenn er des Weges kommt, sein Kind wird von anderen Kindern gemieden, und seine Frau, die hübsche B, ist innerlich total zerrissen. A bereut offenbar dennoch nichts, null. "Keine Reue", sagt Ulrich Luttner alias A und legt eine winzige, dramatische Pause ein: "Nur die Erkenntnis, dass alles, was man getan hat, falsch verstanden werden kann."

"Okay!", ruft Werner Högel und federt von seinem Regiestuhl hoch. Er eilt zu der kleinen Pyramide, zu welcher die sechs Schauspieler der Garchinger Laientheatergruppe des Vereins "Zeitkind" ihre Gliedmaßen ineinander verkeilt haben. Nun, da der Regisseur vor ihnen steht und seine Korrekturen anbringt, kullern sie auseinander wie Murmeln auf frisch gewienertem Parkett. "Ab der Stelle ,. . . und plötzlich fühle ich mich schuldig' musst du Gas geben", sagt der Regisseur zu Luttner. Der Schauspieler nickt. Das Ensemble bringt sich wieder in Position, spielt die Szene von vorne.

An diesem Donnerstagabend bleiben noch gut fünf Wochen bis zur Premiere von "Ein Exempel" am Freitag, 7. Oktober, in Garching. Das Stück, das 2014 seine Uraufführung erlebte, hat Lutz Hübner gemeinsam mit Sarah Nemitz geschrieben. Das Landestheater Dresden hatte die beiden bekannten Gegenwartsdramatiker damit beauftragt. Politisch, aber auch unterhaltsam sollte das Stück sein, das Högel in diesem Jahr mit den Laiendarstellern inszenieren wollte. "Ein Statement gegen Rassismus", wie er sagt. Und da er nicht "zum 532. Mal" Andorra habe machen wollen, erstand er die Rechte an Hübners Stück.

Theaterpremiere: Das Stück beginnt damit, dass das Leben von A durcheinander gerät. Als vor der Tür eines Veranstaltungszentrums Neonazis pöbeln, greift er ein.

Das Stück beginnt damit, dass das Leben von A durcheinander gerät. Als vor der Tür eines Veranstaltungszentrums Neonazis pöbeln, greift er ein.

(Foto: Robert Haas)

Die Handlung beginnt mit einem Rückblick auf jenen Abend, an dem das Leben von A aus den Fugen gerät. Eigentlich hatte der nämlich nur den Kassendienst in einem linksalternativen Veranstaltungszentrum in Dresden übernommen. Als vor der Tür eine Gruppe Neonazis zu pöbeln beginnt, greift er ein, stellt sich den Störenfrieden entgegen. Er ist sich sicher, nicht nur richtig gehandelt zu haben. Sondern auch beherzt.

Doch dann gerät die Situation außer Kontrolle, es kommt zu einem Gerangel - und plötzlich findet sich A, der brave, unauffällige Familienvater mitten in einem Polizeiverhör wieder. Vorsätzliche Gewaltausübung, so lautet der Vorwurf. Er soll Bierdosen geworfen haben, einen Polizisten abgeschüttelt, den Tumult überhaupt erst in Gang gebracht haben. Und außerdem gerufen haben: "Los, rein jetzt!" Stimmt schon, das hat er. Aber mit einer völlig anderen Intention.

Zugegeben, es dauert einen Augenblick, bis man sich als Zuschauer in der Geschichte zurecht findet, bis man sich auskennt bei den Charakteren, die alle eine schwarze Hose und ein weißes T-Shirt tragen. Hat man aber einmal begriffen, dass eine Baseballmütze einen Polizisten symbolisiert und ein Jackett den Richter, dann beginnt das Stück zu wirken, peu à peu.

"Ein Exempel" gängelt das Publikum nicht in seinen Gedanken, es hat nichts von der Dominanz, die linksautonomen Bühnenstücken manchmal anhaftet. Doch wenn man anschließend zu Hause auf der Couch sitzt, sich fallen lässt in die Behäbigkeit der eigenen vier Wände, entfaltet das Stück seine volle Kraft. Dann kommt man einfach nicht mehr umhin, sich zu fragen: Wer lügt, wer spricht die Wahrheit? Vor allem: Könnte mir das auch passieren?

Die Antwort muss im Grunde jeder für sich selbst finden. Auch deshalb halten die Garchinger das Stück bewusst minimalistisch, nichts soll den Zuschauer ablenken, die eigentliche Botschaft überdecken: Paletten zum Beispiel dienen als Sofa und Richterbank gleichermaßen. "Das reicht", sagt Högel. "Es muss reichen."

Nach Jahren am Theater weiß Högel, der an der Münchner Schauspielschule studiert und das Münchner Improvisationstheater Tatwort mitinitiiert hat, dass es keine großartige Kulisse braucht, um den Zuschauer dort zu erreichen, wo die Botschaft von Toleranz und Akzeptanz am nachhaltigsten wirkt: im Herzen. Überzeugen, das kann ein Bühnenspiel nicht, und es ist auch nicht seine Aufgabe. "Aber zur Reflexion anregen", sagt Högel, "das schafft das Theater."

Theaterpremiere: Regisseur Werner Högel will mit dem Gegenwartsdrama "Ein Exempel" ein Statementgegen Rassismus setzen.

Regisseur Werner Högel will mit dem Gegenwartsdrama "Ein Exempel" ein Statementgegen Rassismus setzen.

(Foto: Robert Haas)

Bei allem Willen zum Wandel, etwas bewegen zu wollen in der Gesellschaft, bringen die Garchinger aber auch Humor auf die Bühne. Etwa, wenn sie in einem Intermezzo "Paint it Black" von den Rolling Stones singen. Eine Reminiszenz an jenen Pfarrer, der vor einigen Jahren bei einer Antinazi-Demonstration in Dresden das Stück der Rolling Stones in seinem VW-Bus gespielt hatte - und deswegen des schweren Landfriedensbruchs bezichtigt worden war. "Mit Lachen kann man viel mehr transportieren", sagt Högel. Dann springt er auf, unterbricht die Szene, ein weiteres Mal gibt er Anweisungen. Der Regisseur rudert mit den Armen, als wolle er eine schwere Schiebetür auseinander drücken, das Recht von jenem Unrecht teilen, das A widerfahren ist. "Mutmaßungen über die sächsische Demokratie", lautet der Untertitel des Schauspiels. Passieren könne so etwas freilich auch anderswo, sagt Högel. In München genauso wie in Garching. "Überall."

Aufführungen von "Ein Exempel" sind am 7./8. und 9. Oktober sowie am 14./15. und 16. Oktober jeweils von 20 Uhr an im Theater im Römerhof, Riemerfeldring 2, in Garching zu sehen. Eintrittskarten sind über das Rathaus, Telefon 089/32 08 91 38, oder an der Abendkasse erhältlich.

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