US-Präsidentschaftswahl:Was Clintons Lungenentzündung für den Wahlkampf bedeutet

Nachdem die Demokratin die 9/11-Feier frühzeitig verlässt, stellen nicht nur Republikaner Fragen zu ihrer Gesundheit. Der Vorfall macht klar: Die Senioren Hillary Clinton und Donald Trump schulden den Wählern Transparenz.

Von Matthias Kolb, Washington

Hillary Clinton überlässt die Schlagzeilen allzu gerne Donald Trump. Ihre Strategen sind überzeugt, dass sich der Republikaner um Kopf und Kragen redet und sie mit guter Organisation und sorgfältig geplanten Auftritten in den swing states den Grundstein für den Wahlsieg legen. Doch am 9/11-Wochenende drehte sich alles um die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten - und die Schlagzeilen können Clinton nicht gefallen.

Am Samstag wurde über ihre Aussage gestritten, wonach 50 Prozent der Trump-Fans aus Rassisten und Sexisten bestehe und in einen "Korb der Erbärmlichen" (Details in diesem SZ.de-Text) passe. "Respektlos", schrien die Republikaner und warfen Clinton vor, vor dem 15. Jahrestag der Terroranschläge das Land zu spalten. Und bei der Berichterstattung über die 9/11-Gedenkfeiern dominierte eine Frage: Was steckt hinter Clintons Schwächeanfall und ihrem übereilten Verschwinden?

Die Feier hatte gegen acht Uhr morgens Ortszeit begonnen und Clinton verließ die Gedächtnisstätte gegen 9:30 Uhr. Es dauerte 90 Minuten, bis ein Sprecher mitteilte, dass die 68-Jährige wegen "Überhitzung" vorzeitig aufgebrochen sei und sich in der nahegelegenen Wohnung ihrer Tochter Chelsea erholt habe. Clinton winkte später den Reportern zu und sagte, sie fühle sich "großartig".

Unterdessen wurde auf allen Kabelsendern und unzähligen Websites ein 20 Sekunden langes Video analysiert, in dem eine geschwächte Clinton in einen Van geführt wird, während Secret-Service-Agenten die Szene abschirmen (laut Buzzfeed verlor sie dabei einen Schuh).

Schon hier deutete sich ein mittelgroßes PR-Desaster an, weil das Clinton-Team völlig abtauchte. Es vergingen weitere sechs Stunden mit Spekulationen, bis eine Mitteilung der Ärztin Lisa Bardack Aufklärung brachte: Die Politikerin sei bei der Gedenkveranstaltung "überhitzt und dehydriert" gewesen. Die Medizinerin hatte Clinton in deren Haus in Chappaqua untersucht.

Erst jetzt wurde bekannt, dass bei Clinton bereits am Freitag eine Lungenentzündung diagnostiziert worden sei. Weil sie unter starkem Husten im Zusammenhang mit Allergien leide, seien ihr Antibiotika verschrieben worden. Sie habe der Kandidatin zu Ruhe und einem eingeschränkten Terminplan geraten, ließ Bardack mitteilen. Eine Kalifornien-Reise wurde daher abgesagt.

Bei Twitter lieferten sich Clinton-Fans ("dass sie trotz Krankheit keine Pause macht, zeigt doch, wie stark sie ist") und -Gegner ("Hillary ins Hospiz") stundenlang Duelle. Dass der monatelange Wahlkampf unfassbar anstrengend ist und Krankheiten normal sind und vorkommen, ging eher unter in der Debatte. Dies sind die drei wichtigsten Punkte rund um Hillary Clintons Schwächeanfall und ihre Lungenentzündung.

Die drei wichtigsten Punkte

1. Clintons Gesundheit beschäftigt nicht nur den rechten Rand. Seit Wochen spricht Donald Trump seiner Gegnerin die Tauglichkeit fürs Präsidentenamt ab: Es geht nicht nur um die Urteilskraft (sie war für den Irak-Krieg), sondern auch um körperliche Fitness. Clinton sei schwach, schlafe zu viel und habe nicht das nötige "Stehvermögen", ruft er. Dass Trump hier auch sexistische Vorurteile bedient (mehr bei Brian Stelter von CNN), wird den Alpha-Mann nicht stören.

Fox News nahm das Thema ebenso dankbar auf wie Breitbart News und analysierte per Ferndiagnose jedes Husten. Rudy Giuliani, New Yorks Ex-Bürgermeister, fordert in Interviews und bei Auftritten seit Tagen, die Wähler sollten "Clinton" und "Krankheit" googeln und sich selbst ein Bild zu machen. Diese Dauer-Attacken mögen die Demokratin bewogen haben, sich nicht zu schonen - doch der Schwächeanfall in New York sorgt nun dafür, dass Clintons Fitness zu einem "legitimen Wahlkampf-Thema" wird, wie etwa Politico schreibt.

2. Zu viel Vorsicht schadet Hillary Clinton - mal wieder. Dass so viel über die Gesundheit der Kandidatin geredet wird, liegt auch an ihrer mauernden Informationspolitik. Die Journalisten stellten viele Fragen: Warum wurde die Öffentlichkeit (also auch die Medien) nicht schon am Freitag von der Diagnose informiert? Und hätte Clintons Presseteam nicht wenigstens Sonntagmittags über die Lungenentzündung sprechen sollen, nachdem es die Reporter 90 Minuten im Unklaren über Clintons Aufenthaltsort ließ?

Das Verhältnis zwischen der Ex-Außenministerin und den Journalisten ist von Misstrauen geprägt: Clinton hielt monatelang keine Pressekonferenzen ab und gewährt den mitreisenden Reportern wenig Zugang. Die Abneigung, persönliche Informationen (und Krankenakten sind sehr intim) offenzulegen, schadet der Kandidatin nun erneut, da so munter überall spekuliert werden kann (weil Clinton 2012 ein Blutgerinnsel in Folge einer Gehirnerschütterung erlitt, wird über Spätfolgen orakelt). Und da Clintons Ehrlichkeitswerte nach der E-Mail-Server-Affäre im Keller sind, verfängt das Geraune "Sie muss doch etwas zu verbergen haben, wenn sie nichts preisgibt" bei vielen Wählern.

3. Die Senioren Trump und Clinton müssen alles offen legen. Vor der 9/11-Gedenkfeier, an der auch Trump teilnahm, veröffentlichte die Washington Post einen Beitrag von David Scheiner, dem Arzt von Barack Obama. Scheiner beschrieb 2008 die Gesundheit des Kandidaten als "exzellent" - was auch daran lag, dass Obama 47 Jahre alt war (Gegner John McCain hingegen 71).

Scheiner, selbst über 70, appelliert an Clinton und Trump, die Wähler genau über ihre Gesundheit zu informieren, denn beide seien in einem Alter, "in dem Dinge passieren". Wie stressig der Job im Weißen Haus ist, zeigt nicht nur Obamas Alterungsprozess. Der Mediziner spricht einen Punkt an, den auch viele Clinton-Fans seit Monaten anführen: Anstatt die Fitness seiner Rivalin anzuzweifeln, solle der 70 Jahre alt Trump lieber seine Krankenakten veröffentlichen (mehr über Trumps obskuren Leibarzt).

Nach Clintons Schwächeanfall hält es sogar Trumps wichtigster Lautsprecher Rudy Giuliani (mehr über dessen Rolle hier) für richtig, dass der Immobilien-Mogul alle Informationen über seine eigene Fitness offenlegt. Der Geschäftsmann selbst hatte via Twitter Ende August ähnliches angeboten.

Was der Präsidentschaftskandidat der Republikaner selbst von der Angelegenheit hält, ist noch unbekannt. Seine Berater haben ihm sowie seinen wichtigsten Sprechern an 9/11 ein Interview- und Twitter-Verbot erteilt. Konservative Analysten hoffen unterdessen, dass sich der Milliardär zusammenreißt und höchstens "Ich wünsche meiner Gegnerin gute Besserung" twittert.

Doch ob Donald Trump so viel Selbstdisziplin beweist und nicht durch provokante Sprüche wieder alle Schlagzeilen dominiert, scheint nach allen Erfahrungswerten zweifelhaft.

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