Kindeswohl:Die Jugendämter kontrollieren häufiger

Die Sensibilität in der Bevölkerung hat deutlich zugenommen, es gibt mehr Anzeigen an die Jugendämter. Trotzdem sterben in jeder Woche durchschnittlich drei Kinder an den Folgen von Gewalt oder Vernachlässigung.

Von Ulrike Heidenreich

In jeder Woche sterben laut Deutschem Kinderschutzbund durchschnittlich drei Kinder an den Folgen von Gewalt oder Vernachlässigung. Auf diese Zahl weist die Organisation regelmäßig hin - verbunden mit dem Appell an Politik und Behörden, Kinder besser zu schützen. Dass die Sensibilität in diesem Bereich stetig wächst, zeigen wiederum Zahlen, die das Statistische Bundesamt am Dienstag veröffentlichte: Demnach prüfen Jugendämter in Deutschland immer häufiger, ob das psychische oder körperliche Wohl eines Kindes in Gefahr ist. Im vergangenen Jahr kam es in 129 000 Fällen zu Überprüfungen des Kindeswohls. Dies ist eine Steigerung um mehr als vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Fast jedes vierte überprüfte Kind war jünger als drei Jahre, 14- bis 17-Jährige machen knapp 17 Prozent aus. Rund 20 800 Mal stellten die Fachleute eine akute Gefährdung fest - durch Misshandlung oder Vernachlässigung - und handelten, indem sie die Kinder aus den Familien nahmen. In etwa 43 000 Fällen stellten die herbeigerufenen Mitarbeiter des Jugendamtes zwar keine Gefährdung des Kindeswohls fest, organisierten jedoch notwendige Beratung und Unterstützung der Familien. Zwei Drittel der gefährdeten Kinder wiesen Spuren von Vernachlässigung auf, jedes vierte wurde psychisch misshandelt, Zeichen für sexuelle Gewalt gab es bei knapp vier Prozent. Es sind in mehr als zwölf Prozent der Fälle Nachbarn, Bekannte, Schulen oder Kitas, die den entscheidenden Tipp geben. Jeder zehnte Hinweis kommt anonym. Am häufigsten bitten Polizei, Gerichte und Staatsanwaltschaften die Jugendämter einzuschreiten.

Es ist dies, was Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamtes, eine "Aufhellung des Dunkelfeldes" nennt. Denn auch in der Kriminalstatistik geht die Kurve der misshandelten Kinder nach oben, etwa 4000 sind es mittlerweile pro Jahr. Die meisten Taten passieren im vertrauten Umfeld, oft in der Familie. Weshalb die Dunkelziffer höher als bei anderen Delikten ist. Dass die Zahl der Anzeigen steigt, macht laut BKA nicht nur das wahre Ausmaß besser erkennbar, sondern zeigt auch, dass die Sensibilität in der Gesellschaft steigt. Man schaut nicht mehr weg, verschließt seltener die Ohren, wenn in der Wohnung nebenan ein Kind geschlagen wird. Man geht zur Polizei - oder gibt dem Jugendamt einen Tipp.

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