Österreichische Literatur:Die Waffe der Lady

Marlene Streeruwitz lässt in ihrem Roman "Yseut" eine Frau gegen die Macht der Männer kämpfen. Einige sind nett, aber das sind die uninteressanten.

Von Meredith Haaf

Kleine Sensationsmeldung aus der Pop-Welt: Die nigerianische Bestseller-Autorin Chimamanda Ngozi Adichie hat sich erstmals ausführlich zu Beyoncé geäußert. Das ist deshalb wichtig, weil Beyoncé für ihren Hit "****Flawless" eine Rede Adichies gesampelt und deren Essay "Wir sollten alle Feministinnen sein" damit weltberühmt gemacht hatte. Adichie sagte nun, sie begrüße Beyoncés Bekenntnis zum Feminismus, aber: "Ihr Feminismus ist von der Sorte, die der Notwendigkeit von Männern zu viel Raum gibt, und dem, was Männer den Frauen antun: Hat er mir wehgetan, vergebe ich ihm, steckt er mir einen Ring an? (. . .) Ich finde, Frauen sollten zu zwanzig Prozent über Männer reden und den Rest der Zeit über ihre Sachen."

Bevor sich jetzt jemand im falschen Text fühlt: Es soll hier nicht um das alte Album der amerikanischen Sängerin Beyoncé gehen, sondern um den neuen Roman der österreichischen Autorin Marlene Streeruwitz, doch das eine hat tatsächlich etwas mit dem anderen gemeinsam. Zumindest, was die Problematik der Männerzentrierung in der weiblichen Selbstexegese betrifft.

Nirgends hat das Patriarchat seine Krallen so fest eingeschlagen wie im Nexus der Gefühle

Österreichische Literatur: Marlene Streeruwitz: Yseut. Abenteuerroman in 37 Folgen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 416 Seiten, 25 Euro. E-Book 22,99 Euro.

Marlene Streeruwitz: Yseut. Abenteuerroman in 37 Folgen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 416 Seiten, 25 Euro. E-Book 22,99 Euro.

Nach "Nachkommen", ihrem Roman über eine 20-jährige Star-Autorin, hat Streeruwitz nun den Prototyp einer starken Frau von Ende sechzig geschaffen: "Yseut", so heißt die Titelfigur, ist weit gereist, sprachgewandt, sehr attraktiv und überaus kunstsinnig. Am Anfang des Romans reist sie mit dem Auto von Wien aus nach Italien, in die Po-Ebene. In der Tasche führt sie eine Schusswaffe mit sich, und ziemlich bald wird deutlich, warum: Wer sich von der Welt so dermaßen angegriffen fühlt, entwickelt früher oder später den Drang, tätlich zu werden. Zweck von Yseuts Reise ist, sich Abstand von zu Hause zu verschaffen. Ein alter Freund hat ihr einen Liebesantrag gemacht, über den sie sich klar werden muss, leidet sie doch noch unter den Spätfolgen einer traumatischen Ehe. Wobei der neue Mann nach der Hälfte des Romans keine Erwähnung mehr findet. Zu sehr ist Yseut mit einer Verkettung grotesker Situationen beschäftigt: Ein paranoider Polizist, der sie für eine anarchistische Agentin hält, ein attraktiver Mafioso, der sie verführen will, ein amerikanischer Major ohne Kehlkopf und eine steinalte Contessa, die illegale Flüchtlinge versteckt - das sind lauter unwahrscheinliche und doch verdächtig zeitgemäße Figuren, die es aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen alle auf Yseut abgesehen haben.

Gut ein Drittel dieses "Abenteuerromans in 37 Folgen" besteht aus Rückblenden. Das liest sich assoziativ und unterhaltsam, wie beeindruckende Frauen eben von ihrem Leben erzählen. Die Gegenwartshandlung setzt sich aus Streeruwitz-typischen Super-Parataxen zusammen: keine Absätze, wenig Verben, viele Wiederholungen. Der fordernde Stil der Autorin macht ein Darüberfliegen undenkbar, die textliche Klaustrophobie ist enorm. Über 400 Seiten lang sind wir quasi eingeschlossen im Gehirn einer Frau, das auf Hochtouren um sich selbst kreist: "Sie hatte sich kaputtmachen lassen. Sie hatte nicht gewusst, dass es das war, was geschah. Sie hätte es aber wissen können. Während des Kaputtmachens. Und jetzt war alles vorbei, weil sie nun kaputtgemacht war. Und nicht weil sie alt war. Sie hatte es versäumt. Sie hatte nicht gelebt."

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Die Gründe für ihr Nicht-Leben liegen Yseuts Selbstinterpretation zufolge in ihrer familiären Vergangenheit und bei den Männern: Da ist der Alkoholikervater, der von seinem Stiefvater misshandelt wurde und im Krieg zu Arbeitsdiensten gezwungen wurde. Dann ein obszöner Kinderarzt. Und der erste Ehemann, ein Wiener Akademiker, der sich nach der Auswanderung nach Kalifornien als Schläger und Spießer entpuppt. Schließlich ein jüdischer Anthropologe, mit dem Yseut ein Kind bekommt, das sie zunächst nicht will, weil sie sich wegen des Holocausts schuldig fühlt. Diverse Liebschaften also, immer doof und schwer, bis zu dem betrügerischen Ehemann aus Frankfurt. Ja, das ist wirklich die ganze Parade an schuldhaftem Manntum der westlichen Welt, die aufgefahren wird. Es gibt schon auch nette Männer in Yseuts Leben, aber die sind weniger interessant. Yseuts ganze Existenz wird durch die Herrschaft des Mannes und des Liebeszwangs strukturiert: "Sie hatte sich immer freiwillig ergeben. Man hatte ihr das beigebracht. Aber sie hatte das weitergeführt. Perfektioniert. Es war versprochen gewesen, dass sie mit dieser Perfektion das ultimative Geschenk sein würde und ein Glück für sich selbst."

Womit wir wieder bei Chimamanda Ngozi Adichie und Beyoncé wären. Nach der Lektüre von "Yseut" muss man sich nämlich doch fragen: Warum zerfällt selbst das reichste Frauenleben in die Kapitel: vor Männern, mit Männern, nach Männern? Es könnte die selbstverschuldete Perspektivlosigkeit der übertherapierten und hypergeschlechtsbewussten Erzählerinnen ihrer selbst sein, die Frauen heute oft sind. Es könnte aber auch sein, dass das Patriarchat seine Krallen nirgends so fest eingeschlagen hat wie in den Nexus von Verführung, Verletzung, Vergebung und Versündigung. "Yseut" liefert keine eindeutige Antwort - und die kann es wohl auch nicht geben. Das weibliche Ausgeliefertsein an den Mann als emotionalen Ermöglicher und Zerstörer bleibt ein Fakt, das traurigerweise sämtliche Erzählungen von Autonomie untergräbt. Dass man da Lust bekommen könnte, sich wie Yseut zu bewaffnen, ist nicht von der Hand zu weisen.

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