Ulrich Tukur über "Gleißendes Glück":"Wir stehen unter einem Aktions- und Erfolgsdruck, der uns zerreibt"

Ulrich Tukur, links, und Martina Gedeck in "Gleißendes Glück".

"Sie ist wie er in einem schrecklichen psychischen Zustand." Eduard Gluck (Ulrich Tukur, links) und Helene Brindel (Martina Gedeck) in "Gleißendes Glück".

(Foto: Wild Bunch Germany)

In "Gleißendes Glück" spielt Ulrich Tukur einen seelisch Verwundeten, der nach außen den Erfolgreichen gibt. Ein Gespräch über Lebenslügen und die verstörenden Folgen.

Interview von Paul Katzenberger

Helene Brindel (Martina Gedeck) ist das Lebensglück abhanden gekommen. Selbst Gott, der ihr sonst stets zur Seite stand, scheint die in einer lieblosen Ehe verharrende Frau verlassen zu haben. Doch dann hört Helene eines Tages im Radio den Ratgeberautor und Kybernetik-Professor Eduard E. Gluck (Ulrich Tukur) sprechen und ist sofort von ihm und seiner Theorie über das Glück fasziniert. Sie sucht ihn bei einer Konferenz auf und schnell fühlen sich die beiden einander verbunden. Die Begegnung mit Helene zwingt Eduard, der seine Unsicherheit mit Selbstherrlichkeit überspielt, auch zu größerer Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Denn seine Probleme sind keineswegs kleiner als ihre.

SZ.de: Wer Sie in "Gleißendes Glück" gesehen hat, reibt sich erst einmal die Augen. So hat man Ulrich Tukur noch nie erlebt. Einen Protagonisten, der so schillernd ist wie Professor Eduard Gluck, haben Sie noch nie dargestellt.

Ulrich Tukur: Richtig. Aber verloren und abgründig waren viele der Figuren, die ich gespielt habe. Sie hatten häufig etwas in sich, was den sichtbaren menschlichen Überbau radikal in Frage stellte.

Aber wenn wir zum Beispiel den Erwin Rommel betrachten, als den man Sie 2012 gesehen hat: Dessen Abgrund versteht man als Zuschauer recht schnell - schon allein aus dem historischen Kontext heraus. Dass sich aber der seriöse und souveräne Professor Gluck als Pornografiesüchtiger erweist, verstört doch sehr.

Das Phänomen war mir, der ich manchmal etwas blauäugig neben der Realität herlaufe, auch neu. Nicht nur die Sucht nach Pornografie, aber vor allem die damit einhergehende Vereinsamung und Gefühlsverarmung in einer kalten, virtuellen Welt, in der alles käuflich und nichts mehr wirklich ist. Was das für die Seele bedeutet, ist kaum zu ermessen.

Da kommen jede Menge Stigmata zusammen. Als Sie die Rolle angeboten bekamen, haben Sie sofort gesagt: "Ja, das mache ich"?

Ich habe erst einmal abgesagt. Aber dann hat mich die Widersprüchlichkeit und Abgründigkeit des Professor Gluck doch zu sehr fasziniert. Ein erfolgreicher Hirnforscher und Lebenshelfer für viele Menschen, der kluge Bücher schreibt und mit sich selbst überhaupt nicht zurande kommt. Dass eine solche Lebenslüge funktioniert - zumindest eine Weile lang - das hat mich so interessiert an dieser Rolle, dass ich sie dann doch spielen wollte. Und die Beharrlichkeit der Produzenten trug auch ihren Teil dazu bei.

So interessant, dass sich Martina Gedeck als Ihr Gegenüber im Film mit der dankbareren Partie profilieren durfte?

Einer guten Schauspielerin und alten Freundin gönne ich das von Herzen. Ihre Frau Brindel ist ja ebenso kaputt, wenn auch ihre Verletzungen ganz andere sind als bei ihm. Sie versucht in ihrer Verzweiflung Halt bei Gott, der sie im Stich lässt.

Was nach allgemeiner Wahrnehmung aber ehrenwerter ist, als zum Pornografie-Süchtigen herabzusinken.

Das mag sein, aber für sich selbst ist sie wohl genauso unglücklich, wie er es für sich ist. Und das fand ich so hübsch an dieser Geschichte: das Aufeinandertreffen zweier, eigentlich sehr unterschiedlicher Menschen, die ihre Verzweiflung zusammenführt, und es entsteht eine zarte, sehr sonderbare Liebesbeziehung. Der Therapeut wird der Therapierte; in dem Maß, in dem er sich klein macht, wächst sie, beide ergreifen die Chance, die sich ihnen bietet. Sie erobern sich ihre Würde zurück und erlernen Liebe und Sexualität noch einmal ganz neu - wie Kinder. Das hat mich sehr berührt.

Vermutlich fanden Sie es dann auch gut, dass der Film die harte und abstoßende Seite der Pornografiesucht nur indirekt zeigt.

Bilder, die in der Phantasie des Zuschauers entstehen, sind oft stärker als das vorgefertige Bild, das uns wenig Spielraum lässt. Außerdem ist unsere Welt voll mit Abbildungen ausschweifender Sexualität. In unserem Fall bin ich froh, dass Sven Taddicken (der Regisseur, Anm. d. Red.) sich zum Spiel über die Bande entschlossen hat. Natürlich wird es Stimmen geben, die das als mutlos bezeichnen. Filme, die so etwas drastisch in Szene setzen, wie zum Beispiel "Shame" mit dem herausragenden Michael Fassbender (Regie: Steve McQueen, 2011, Anm. d. Red.), bleiben aber oft merkwürdig kalt. Da siehst Du es, das haut richtig rein, aber es berührt Dich nicht. Unser Film sucht eine poetischere Lösung, auch wenn das Thema verstörend ist.

"Jeder hat mal Angst und ist schwach"

'Gleissendes Glueck' Essen Premiere

"Professor Gluck ist auch eine Art Hochstapler, und das sind wir ja heute alle." Ulrich Tukur bei der Premiere von "Gleißendes Glück" in Essen.

(Foto: Getty Images)

Aber das ist er ja nicht nur. Die Szene, in der er ihr das erste Mal am Telefon von seinen Fantasien erzählt, habe ich auch als verstörend empfunden.

Die sexuelle Beichte des Professor Gluck auf dem Gesicht von Martina Gedeck abzubilden, war eine gute Entscheidung. Aber ich war mir nicht sicher, ob es funktionieren würde. Denn die Szene kurz davor reizt das Publikum noch zum Lachen. Weil es einfach liebenswert ist, wie die beiden einander umschleichen - mit all den kleinen Holprigkeiten und Missverständnissen in ihren Gesprächen. Und ich dachte: "Wenn der jetzt bei ihr anruft, und die Leute weiterlachen, dann haben wir verloren." Aber als ich den Film das erste Mal sah, hat das Publikum nicht weitergelacht. Das Telefonat wirkte wie eine kalte Dusche, ein kleiner Schock. Die waren richtig erschrocken, und man merkte, der Film läuft in eine ganz andere Richtung.

Tiefenpsychologisch lässt sich die Verwundung des Professor Gluck sicher auch dadurch erklären, dass er sich fragt, ob er es wert ist, geliebt zu werden. Ist das ein Phänomen der modernen Gesellschaft, dass es scheinbar immer mehr Menschen gibt, die Nähe nicht zulassen können?

Ich glaube schon, denn die moderne Gesellschaft verlangt uns immer öfter ab, uns zu verstellen und Rollen zu spielen, und die Kommunikation verlagert sich immer mehr in den virtuellen Bereich. Der Professor Gluck spielt die Rolle des Machers, des Erfolgreichen, der alles weiß und alle kann. Das tut heute jeder Politiker, jeder Manager, jeder Sportler oder Fernsehmoderator. Wenn Sie da mal hinter die Fassade schauen, dann merken Sie auf einmal, wie ratlos und verstört sie alle sind. Die wissen mit der Komplexität, man könnte auch sagen mit dem Irrsinn all dessen, was mit der Globalisierung und Automatisierung über uns hereinbricht, genauso wenig umzugehen wie Sie und ich.

Das klingt beunruhigend.

Professor Gluck ist nicht nur ein wandelnder Widerspruch, er ist auch eine Art Hochstapler, und das sind wir ja heute alle. Wir behaupten auf der Höhe der Zeit zu sein, wollen dynamisch und erfolgreich sein, haben aber insgeheim eine schreckliche Angst, nicht mehr hinterher zu kommen. Wir schlagen eine Geschwindigkeit an, die unsere alten Seelen überfordert und zerfleddert.

Und das ist der Grund, dass man etwa pornografiesüchtig wird?

Wenn Sie nicht mehr mitkommen, greifen Sie irgendwann zu Hilfsmitteln und flüchten sich in Scheinwelten. Wenn Sie Ihre Mitte verloren haben, füllen Sie halt die Ränder auf bis nichts mehr geht. Die öffentliche Person, die unter ständiger medialer Beobachtung steht, muss glänzen und vor Selbstsicherheit strotzen. In der Politik, im Sport, der Wirtschaft und Industrie, im Film- und Fernsehgeschäft - überall das Gleiche. Man zerbricht aber, wenn Angst und Verzweiflung ständig überspielt werden.

Weil man Schwäche nicht zeigen darf?

Es ist nicht gut Schwäche zu zeigen, da reagiert das System gnadenlos. Obwohl Schwäche das natürlichste der Welt ist, jeder hat mal Angst und ist schwach. Irgendwann fangen Sie an Ihre lahmende Kraft mit künstlicher Energie zu versorgen, ob das nun Drogen, Tabletten, Pornografie oder was weiss ich sind, und dann ist der Schritt in den Abgrund nur ein ganz kleiner. Haben Sie mitbekommen, was Ewald Lienen im Sommer während der Fußball-Europameisterschaft gesagt hat?

Sie meinen den Trainer des FC St. Pauli? Das ist mir entgangen.

Der ist ein ziemlich kluger Mensch, und der sagte sinngemäß: Diese Fußballer, wieviel die jetzt spielen - in der Europameisterschaft und der Bundesliga, Träger einer Massenunterhaltung, die immer höhere Leistungen abverlangt, unter ständiger Beobachtung und Beurteilung, das ist von den Spielern irgendwann nicht mehr zu schaffen. Die gehen kaputt. Das hält kein Mensch zehn Jahre aus, ohne physisch Schaden zu nehmen - und auch psychisch. Lienen hat vollkommen recht. Wir stehen unter einem Aktions- und Erfolgsdruck, der uns zerreibt.

Und wie ist das im Filmgeschäft?

Auch ich mache zu viel. Möglicherweise aus Angst, ich könnte bald keine Rolle mehr spielen. Aber mein Gott, das Leben ist kurz und eine Karriere noch viel kürzer und irgendwann ist halt Schicht. Für jeden von uns. Mich rettet die Musik, das ist die beste Droge der Welt in einer Welt, die sich an die Wand fährt.

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