Das neue Fernsehen:Klick-Trance vor dem Monitor

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Vordergründig geht es um Tantiemen, doch hinter der Einigung zwischen der Gema und Youtube steckt mehr: Die Plattform gibt jetzt den Ton an.

Von Jens-Christian Rabe

Sogar Branchenkenner waren überrascht als am vergangenen Dienstag bekannt wurde, dass sich die amerikanische Online-Video-Plattform Youtube und der deutsche Rechteverwerter Gema ihren jahrelangen Streit beigelegt haben. Youtube zahlt also wieder Gema-Gebühren für die Musik in ihren Clips. Und das deutsche Youtube-Publikum ist nach gut sieben Jahren die lästigen Sperrtafeln mit dem zerknirscht blickenden Emoticon wieder los, die bei einem guten Teil der Musikvideos auf der Plattform darauf hinwiesen, dass der gewünschte Clip in Deutschland leider nicht verfügbar sei, "da es Musik enthalten könnte, über deren Verwendung wir uns mit der Gema bisher nicht einigen konnten". Man kann jetzt also auch als Deutscher Youtube wieder schrankenlos nutzen.

Beide Parteien feierten den Vertragsabschluss erwartungsgemäß überschwänglich, Youtube nannte ihn "bahnbrechend", die Gema einen "Meilenstein". Von der Seitenlinie aus gesehen blieben allerdings doch mehr Fragen als Antworten: Wieso etwa ging es plötzlich so schnell? Immerhin zog sich der Konflikt deutlich über mehr als fünf Jahre hin, und Youtube wähnte sich als Google-Tochter stets selbstbewusst am längeren Hebel? Wie hoch ist die Gebühr für Youtube? Ist es eigentlich wünschenswert, dass mit dem Lizenzvertrag auch sämtliche Gerichtsprozesse enden, die die Gema und Youtube gegeneinander führten? Und vor allem: Muss man jetzt noch einmal ganz neu über Youtube als kulturelle Kraft nachdenken?

Die Sperrungen waren kein Vorteil im Wettbewerb mit den Streaming-Diensten

Dafür, warum es nun doch viel schneller zu einer Einigung kam, gibt es natürlich weder von Youtube noch von der Gema Auskünfte. Ebenso wenig wie zur Höhe der Zahlungen. Man dürfte aber wohl nicht ganz falsch liegen, wenn man vermutet, dass die Sperrungen auf die Dauer für Youtube alles andere als ein Vorteil gewesen sind im Wettbewerb mit den inzwischen höchst etablierten Musikstreaming-Diensten wie Spotify. Deutschland ist nach den USA, Japan und Großbritannien immerhin der viertgrößte Musikmarkt der Welt.

Historische Reden wie von Steve Jobs, legendäre Interviews wie das der Philosophin Hannah Arendt, Musikvideos - das bietet Youtube schon länger. Doch inzwischen entwickelt der Kanal seine eigenen Stars, Video-Blogger erreichen ein Millionenpublikum. (Foto: Youtube)

Dass mit dem Kompromiss auch die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Youtube und der Gema enden, ist wiederum ein Nebeneffekt, der Youtube Zeit verschafft. Die Prozesse kreisten in ihrem Kern nämlich um die Frage, was Youtube eigentlich juristisch für ein Unternehmen ist: nur ein "Host-Provider" oder doch ein "Service Provider"? Ist die Plattform also bloß eine technische Infrastruktur und daher für die Inhalte, die ja die Nutzer hochladen, nicht verantwortlich oder ist es wie etwa ein klassischer Fernseh- oder Radiosender doch selbst für sein Programm verantwortlich? Youtube wollte sich bis zuletzt aus der Verantwortung ziehen und beharrte hartnäckig darauf, nur ein Host-Provider zu sein.

Der Streit um die Gema-Gebühren ist in diesem Zusammenhang eigentlich immer schon nur ein Nebenschauplatz gewesen. Denn anders als so manche Berichte zum Thema suggerieren, sind die Einnahmen aus der Rechteverwertung nicht das wirklich Entscheidende.

Die Gema vertitt zwar treuhänderisch die Urheberrechte von 70 000 Textdichtern, Komponisten und Musikverlegern und weiteren rund zwei Millionen Urhebern weltweit. Worum es für die Musikindustrie aber vor allem geht, ist der Anteil an den Werbeerlösen Youtubes. Die Beträge, die davon bei den Labels landen, sind bislang nämlich deutlich kleiner als die Überweisungen von anderen Musikstreaming-Diensten. Mit anderen Worten: Für 1000 Streams eines Songs gibt es bei Spotify und Co. derzeit rund sechs Euro, bei Youtube jedoch gerade einmal um die 60 Cent.

Bislang kann sich Youtube dabei noch auf die sogenannte Safe-Harbour-Regelung und die daran angelehnte, 2001 verabschiedete Urheberrechtslinie der EU berufen, die aus der Zeit stammt, als das Internet Welpenschutz bekam, weil seine Protagonisten noch nicht milliardenschwere Konzerne auf dem Weg zur Weltherrschaft waren. Die Regelung ermöglicht es der Plattform, Labels und Künstler nicht grundsätzlich für deren gestreamte Musik zu bezahlen, sondern erst in dem Moment, in dem sie diese vermarktet, also Werbung vor- oder hineinschaltet. Die Lobby der Musikindustrie kämpft hinter den Kulissen seit Jahren gegen die Safe-Harbour-Regelung und hat im EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft Günter Oettinger einen engen Verbündeten.

Der Kampf ums Geld und den rechtlichen Status ist für die breitere Öffentlichkeit aber im Grunde nicht das Interessanteste am Fall Youtube. Die Bereitschaft, endlich Gema-Gebühren zu bezahlen, ist vielmehr Ausdruck eines veränderten Selbstbildes und Selbstbewusstseins der Online-Video-Plattform. In Anbetracht der Tatsache, dass Youtube nicht irgendeine Video-Plattform im Netz ist, sondern die mit Abstand bekannteste und meistgenutzte, also letztlich der Ort für Videos im Netz, ist das alles andere als eine Kleinigkeit. Es ist eine kaum zu unterschätzende Koordinaten- und Kräfteverschiebung der Gegenwartskultur, die längst viel weiter fortgeschritten ist, als viele glauben.

Der Gema-Deal verweist nur noch auf den traditionellen Teil von Youtube: die Bedeutung der Plattform als Abspielstation für aufwendig produzierte Musikvideos. Dass das die Wahrnehmung des Phänomens noch dominiert, ist natürlich kein Zufall. In der Liste der 40 meistgesehenen Videos auf Youtube befinden sich exakt 38 aufwendig produzierte klassische Musikvideos. Ganz oben steht der südkoreanische Sänger und Produzent Park Jae-sang alias Psy mit seinem 2012 veröffentlichten Über-Hit "Gangnam Style", gefolgt vom gesamten jüngeren Pop-Hochadel der Gegenwart von Wiz Khalifa (mit "See You Again", 2,15 Milliarden Views), Justin Bieber ("Sorry", 1,95 Milliarden Views), Mark Ronson und Bruno Mars ("Uptown Funk", 1,94 Milliarden Views) bis Taylor Swift ("Blank Space", 1,83 Milliarden Views) und Adele "Hello", 1,77 Milliarden Views).

Die neue Youtube-Welt erhält mehr Aufmerksamkeit als die etablierten Medien

Im Schatten dieses Höhenkamms allerdings hat Youtube die Unterhaltung längst selbst in die Hand genommen. Denn neben seinen guten alten Funktion als grandioses Fernseh- und Filmarchiv (von alten Interviews mit der Philosophin Hannah Arendt bis zu Steve Jobs' berühmter Stanford-Rede und den allerneuesten Trump-Gags der amerikanischen Late-Night-Könige wie Stephen Colbert oder John Oliver) gibt es längst eine Youtube-Welt, die insbesondere in den Generationen bis zu den heute 40-Jährigen längst mehr Aufmerksamkeit bekommt als die etablierten Medien. Viel, viel, viel mehr. Es sind die Filme der Video-Blogger, in denen Videospiele kommentiert, Freunde reingelegt und Kosmetik- und Mode-Tipps gegeben werden, in denen neue Technik getestet, von 30 Meter hohen Klippen gesprungen, Comedy gemacht, professionell getanzt, das eigenen Leben erzählt oder die Weltlage analysiert wird. Nicht selten mit einem neuen Video an jeden Tag. In Deutschland haben die Youtube-Kanäle bekannter Blogger wie Florian Mundt alias LeFloid, Julien Bam oder Erik Range alias Gronkh längst drei bis vier Millionen Abonnenten. Amerikanische Youtube-Stars wie Casey Neistat haben sogar weit über fünf Millionen und der derzeit erfolgreichste Youtuber, der 1989 geborene Schwede Felix Kjellberg hat sogar über 49 Millionen. Jedes einzelne neue Video dieser Blogger erreicht innerhalb kürzester Zeit mindestens mehr als eine Million Views - und damit eine Aufmerksamkeit, von der die meisten Fernsehsendungen, Zeitungen und Magazine nur noch träumen können.

Längst schickt Youtube seine Stars gezielt als Botschafter um die ganze Welt, um auf ausverkauften Youtube-Konferenzen von ihrer Arbeit zu berichten und neue Blogger für das Portal zu rekrutieren. Der einst verachtete Hinterhof der Medienwelt hat begonnen, den Ton anzugeben. Die gute alte Couch Potato sitzt jetzt in Klick-Trance vor dem Computer oder stolpert auf dem Smartphone von Videoclip zu Videoclip.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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