ARD-Krimi:"Tatort" aus Kiel - Relevanz erheblich, Handlung mittelgut

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Blasser als gewohnt: Kommissar Borowski mit der jungen Julia, die zum Islam konvertiert. (Foto: NDR/Christine Schroeder)

Ein deutsches Mädchen bricht Richtung "Islamischer Staat" auf. Leider ist der "Tatort" ein Krimi - und das Thema wird mit einer zähen Mörderjagd verknüpft.

TV-Kritik von Holger Gertz

Diese Episode aus Kiel ist ein Themen- Tatort, also ein Kandidat aus jener Kategorie, in der - wie in der Fernsehzeitung dann gern steht - die ganz heißen Eisen angefasst werden. Der eine oder andere Finger wird bei der Gelegenheit natürlich auch in die Wunde gelegt. Hier geht es also um das deutsche Mädchen Julia, das sich ein Kopftuch überzieht und Richtung "Islamischer Staat" aufbricht. Um ihre Entschlossenheit zu betonen, spricht sie beständig im Tagebuchsound auf das Publikum ein: "Die Welt ist ein Durchgangsort", sagt sie, "ich werde einen Gott finden, der meine Wunden heilt."

Julia ist schon sehr weit weg, und natürlich reagiert die Umgebung entsprechend. Ein Mann rotzt ihr in der Innenstadt vor die Füße, außerdem wird darauf hingewiesen, dass es mit ihr - Achtung, Finger/Wunde - womöglich so enden könnte wie bei der IS-Braut, die im real existierenden Hannover einen Polizisten angegriffen hat.

Mala Emde spielt dieses radikalisierte Mädchen Julia sehr präzise, und als Studie über das Verlorengehen hätte das Stück von Regisseur Raymond Ley sicher gut funktioniert, vor allem, wenn auch der Ursprung von Julias Wucht und Wut Teil der Erzählung gewesen wäre. Weil der Tatort aber ein Krimi ist, wird die Charakterstudie der Frau verknüpft mit einer zähen Mörderjagd, die vieles enthält, was man aus Gebrauchsfilmen kennt. Eine IT-Checkerin - hier Borowskis Assistentin Sarah Brandt - hackt sich gleich irgendwo ein und entdeckt Brisantes. Im Drehbuch steht ein bezeichnender Satz für einen klassischen Krimi des Jahres 2016, der zeitgemäß und relevant sein will: "Das Handy hat sich im Bereich der Moschee eingeloggt." Der Staatsschutz kommt den Kommissaren mal wieder in die Quere. Daraus leitet sich ein Loyalitätsgeplänkel zwischen Kommissar Borowski und dem Kriminalrat Schladitz ab: Nicht mal ein Lamm mag man dann noch gemeinsam verspeisen.

Wie so oft, wenn die Kieler Ermittler nicht von Autor Sascha Arango geführt werden, bleiben sie blasser als gewohnt und wirken ihrerseits verloren. Dieser Kieler Tatort erinnert trotz Möwenschreierei an Folgen aus dem Stuttgarter Binnenland: Relevanz erheblich, Krimihandlung so mittelgut.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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