US-Wahl:Trumps erste Tage als Bald-Präsident machen ratlos

Im ersten TV-Interview gibt sich der Republikaner plötzlich kompromissbereit - sogar bei Obamacare und Grenzmauer. Und seinen Anhängern, die Muslime und Latinos attackieren, ruft er zu: "Hört auf!"

Von Matthias Kolb, Washington

Das erste Treffen mit US-Präsident Barack Obama? "Er ist sehr smart und sehr humorvoll, ich hätte vier Stunden mit ihm reden wollen." Die Grenzmauer zu Mexiko? Könnte an manchen Stellen auch ein Zaun sein. Der Anruf von Hillary Clinton in der Wahlnacht? "Sie hätte nicht netter sein können." Die bei Republikanern verhasste Obamacare-Krankenversicherung? Teile von ihr sollen bestehen bleiben, aber eine Reform sei nötig. "Viel besserer Gesundheitsschutz für viel weniger Geld", das verspricht Donald Trump den US-Bürgern.

Es ist ein bemerkenswertes und sonderbares Interview, das der künftige US-Präsident dem TV-Sender CBS am Freitag im Trump Tower gegeben hat und das nun ausgestrahlt wurde. Interviewerin Lesley Stahl sitzt wie Trump auf einem goldenen Stuhl und fragt hartnäckig, welche seiner Ankündigungen der Republikaner nun umsetzen wolle.

Trump betont, dass es ihm am wichtigsten sei, die Grenze abzusichern und jene illegalen Einwanderer abzuschieben oder zu verhaften, die kriminell seien oder einer Gang angehören: Dies seien bis zu drei Millionen Menschen. Damit entfernt er sich von seiner Maximalposition, die er oft im Wahlkampf verbreitete - bei anderer Gelegenheit hatte er jedoch betont, dass es ihm vor allem darum gehe, Verbrecher zu deportieren.

Wer sich vom Interview mehr Klarheit erhofft hat, was der 70-Jährige vorhat im Weißen Haus, der wurde enttäuscht. Er habe vor, als Präsident "gute Manieren" zu beweisen, aber manchmal sei eben auch Härte und klares Auftreten nötig. Das Leitmotto solle "America First" sein und er wolle auf das ihm zustehende Gehalt von 400 000 Dollar verzichten und nur einen Dollar annehmen, aber viel konkreter wurde es nicht. Bleibt FBI-Chef Comey im Amt? Ändert er seine Hardliner-Haltung in Sachen Abtreibung? Trump legt sich nicht fest.

Erneut betonte Trump, dass die im Wahlkampf angekündigte Einsetzung eines Sonderermittlers, der Clintons Umgang mit vertraulichen E-Mails überprüfen soll, für ihn keine große Priorität habe. Auf die Frage, ob er den harschen Ton und all die Beleidigungen des brutalen Wahlkampfs bereue, antwortet Trump nach einigem Zögern: "Ich kann nichts bereuen, nein. Es war eine großartige Kampagne."

Trump ruft Anhänger auf, Gewalt gegen Latinos und Muslime zu stoppen

Dass seit Tagen in New York und Dutzenden anderen US-Städten Tausende gegen ihn protestieren ("Not my president") und Millionen US-Bürger Angst vor seiner Präsidentschaft haben, beschäftigt Trump offenbar nicht. "Die Demonstranten, die kennen mich einfach nicht. Und in einigen Fällen sind es professionelle Protestierer, die werden bezahlt", sagt er. Erst auf mehrmaliges Nachfragen wendet er sich mit "Habt keine Angst" an die Kritiker und beklagt danach den Doppelstandard der Medien.

Während des langen Gesprächs, zu dem später auch die künftige First Lady sowie vier seiner fünf Kinder hinzukommen, sieht der Zuschauer immer wieder einen sehr skeptisch-verwirrten Blick im Gesicht der erfahrenen Journalistin Lesley Stahl - etwa als Trump behauptet, er sei überrascht zu erfahren, dass einige seiner Anhänger Homosexuelle, Afroamerikaner und Latinos mit rassistischen Sprüchen beschimpft hätten (Details hier).

Er sei "traurig" über die Information, denn er höre so etwas nicht. Dann blickt Trump direkt in die Kamera und sagt: "Hört damit auf! Ich führe dieses Land doch zusammen. Wenn es hilft, dann sage ich es. Hört damit auf!"

Die Signale des Bald-Präsidenten sind widersprüchlich

In gewisser Hinsicht ist dieses erste TV-Interview ein guter Abschluss für diese verkürzte Woche, in der die USA und die Welt begonnen haben, sich an die Worte "US-Präsident Donald Trump" zu gewöhnen. Denn die Signale des Bald-Präsidenten sind widersprüchlich. Seine Siegesrede in New York war ebenso staatsmännisch wie das Zusammentreffen mit Vorgänger Barack Obama - Trump überschüttet den Mann, dessen amerikanische Herkunft er jahrelang angezweifelt hatte, mit Lob.

Dass er seinen Vize Mike Pence damit beauftragt, das Übergangsteam zu leiten, deutet an, dass er bereit ist, mit jenem Establishment zu kooperieren, das er monatelang als Wahlkämpfer verdammt hat. Genau so ist die erste Personalentscheidung zu sehen: Mit Reince Priebus macht er einen Washingtoner Insider zum Stabschef im Weißen Haus (hier ein Porträt), der künftig regelt, wer Zugang zum Oval Office erhält.

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Gleichzeitig ernennt Trump Stephen Bannon zu seinem "Chef-Strategen", der "gleichwertiger Partner" von Priebus sein soll. Zur Erinnerung: Bannon war bis August Chef der ultrarechten Website Breitbart News, wo Verschwörungstheorien verbreitet und die Arbeit der Frauenorganisation "Planned Parenthood", die auch Abtreibungen durchführt, mit dem Holocaust verglichen wird. Wem Präsident Trump künftig Gehör schenkt und ob Bannon Trumps Ziel unterstützt, die polarisierte US-Gesellschaft zu einen, ist völlig schleierhaft.

Wird Präsident Trump twittern? Warum nicht

Nachdem Trumps Berater ihm in den letzten Tagen vor der Wahl das Twittern verboten hatten, hat er nun offenbar wieder zeitweise die Kontrolle über sein Smartphone. Nachdem er sich am Donnerstagabend über die "unfairen Proteste" beschwert hatte, kritisierte er am Sonntag die New York Times für ihre "sehr armselige" und "höchst fehlerhafte" Berichterstattung. Es ist - milde formuliert - ungewöhnlich, dass der künftige Präsident einem wichtigen Medium unterstellt, es werde weiterhin "auf schlechte Art" über ihn berichten.

Das Thema Social Media kam auch im CBS-Interview zur Sprache. Einerseits betonte Melania Trump, dass sie sich als First Lady dem Thema Cyber-Bullying widmen wolle. Auf den Hinweis von Lesley Stahl, dass ihr eigener Mann im Wahlkampf "eine Reihe gemeiner Tweets" verbreitet habe, entgegnet Melania Trump: "Ich sage ihm, wenn er es in meinen Augen übertreibt. Aber er ist erwachsen und entscheidet selbst."

Donald Trump lässt es unterdessen offen, wie oft er als Präsident twittern werde. "Ich werde mich sehr zurücknehmen, aber ich finde diese moderne Kommunikation einfach fantastisch. Es sollte nichts geben, wofür man sich schämen muss." Sollte er wieder Artikel oder Berichte lesen, die falsch seien, dann sei es aber gut möglich, dass er Facebook, Twitter und Instagram nutze, um seine 28 Millionen Follower zu informieren.

Eine Frage wurde immerhin geklärt: Weder Ivanka Trump noch ihre Brüder Eric und Donald jr. wollen als Minister Teil der Trump-Regierung werden. Sie wollen sich um die Geschäfte kümmern, während der Vater das Land regiert. Allerdings findet es im goldenen Trump Tower niemand seltsam, dass alle drei trotzdem im Übergangsteam sitzen und daher mitreden, wer jene Ministerien (Arbeit, Handel und Finanzen) besetzt, deren Entscheidungen die Trump-Hotels und -Immobilien betreffen.

Wenn das Image der Marke Trump wegen der Kampagne gelitten habe, dann sei das nicht so schlimm, sagt Ivanka: "Hier geht es um etwas Wichtigeres und Ernsteres." Hier unterbricht ihr Vater: "Unserem Land geht es schlecht. Wir werden unser Land retten, da interessiert mich die Auslastung der Hotels überhaupt nicht." Daran besteht kein Zweifel: An Selbstbewusstsein mangelt es dem President-Elect Trump weiterhin nicht.

Linktipps: Eine vollständige Mitschrift des "60 Minutes"-Interviews mit Donald Trump können Sie auf der Website von CBS News nachlesen.

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