Ex-Chef der Münchner Mordkommission:Schreib' das auf!

Josef Wilfling blickt in seinem Buch in die Abgründe der menschlichen Seele. Mit denen ist er als Ex-Chef der Münchner Mordkommission vertraut.

Susi Wimmer

"Zum Bettenaufschüttler werd' ich bestimmt nicht mutieren." Genau ein Jahr ist es her, dass Josef Wilfling diesen Satz in seinem heimischen Wohnzimmer geknurrt hat, aus Anlass seiner Pensionierung. Bloß nicht nach 42 Jahren im Polizeidienst in Trägheit verfallen, dachte sich der ehemalige Chef der Münchner Mordkommission.

Trägheit, eine der sieben Todsünden aus der Bibel, sinnierte er. Und schon war die Idee da: Die Todsünden sind den Motiven, warum Menschen morden, ziemlich ähnlich. Wilfling setzte sich hin und schrieb.

Heraus kamen 320 Seiten, auf denen der ehemalige Ermittler in die "Abgründe" der menschlichen Seele blickt, sieben authentische Fälle schildert, die er selbst bearbeitet hat. Nächste Woche geht der 63-Jährige mit seinem Erstlingswerk auf Deutschland-Lesetour.

Während Matthias A. mit einem Gewehrkolben auf den am Boden liegenden Rentner eindrischt, springt seine Freundin begeistert durch die Wohnung, hüpft freudig auf der Couch auf und ab und schreit: "Schlag ihn tot, die Drecksau, schlag ihn tot!"

Als das Opfer schwerstverletzt röchelt, "sein Kopf ein einziger blutiger Klumpen", rammt die Frau ihm mit aller Kraft einen Besenstil in den Hals. "Grausamkeit", mit diesem Titel ist das Kapitel überschrieben, in dem Wilfling den Besenstiel-Mord beschreibt.

Detailliert und für Zartbesaitete weniger geeignet, "das Leben ist so brutal", sagt Wilfling dazu. Er habe Fälle ausgewählt, die "jenseits der Vorstellungskraft liegen". Wo erfahrene Ermittler am Tatort stehen und einer sagt: "Das gibt's doch gar nicht."

Gibt es doch. Spannend und in prägnanter Sprache schildert Wilfling etwa den Fall einer gut situierten Dame, die offenbar von langer Hand den Tod ihres Ehemannes minutiös geplant und vorbereitet hatte, inklusive der Einbeziehung ihres illustren Damenstammtisches, "wo alle zusammengehalten haben".

Die Täterin wurde nicht wegen Mordes verurteilt, das Gericht wertete die Tat als Totschlag. Die Mordermittler hätten damals als juristische Laien das Mordmerkmal Heimtücke zu erkennen geglaubt. "Aber ich bin kein Jurist und ich beneide die Richter nicht", sagt Wilfling. Die Darstellungen in dem Buch seien allein seine Sicht der Dinge, "so wie ich es erlebt habe".

Täter und ihre Motive

Wobei sich die Realität zuweilen auch mit der Fiktion mischt, um Täter und Opfer unkenntlich zu machen. Generell hat Wilfling alle Personen anonymisiert, Familiengeschichten verändert oder Tatorte verlegt. Damit er sich ganz allein auf die Täter und ihre Motive konzentrieren konnte, auf die Frage, warum Menschen zu Mördern werden.

Wilfling rutscht am Essplatz kurz mit dem Stuhl zurück, zieht aus einer Ablage zwei Blätter und legt sie auf den Tisch. Seine Termine bis Mai. Am Montag liest er in der Rechtsmedizin, drei Tage später in Bad Langensalza, dann auf der Leipziger Buchmesse und so weiter.

Als er vor über einem Jahr den Polizeidienst quittierte, hätte er nicht im Traum an so etwas gedacht. Wobei, "das Schreiben hat mir schon immer gefallen", sagt er. Eigentlich wollte Wilfling ja Enthüllungs-Journalist werden, landete dann doch im sicheren Staatsdienst, konnte aber die Finger nicht ganz von der Feder lassen.

Für die hauseigene Polizeizeitung schrieb er immer wieder Glossen oder arbeitete spektakuläre Fälle auf. Als er dann in Pension gegangen sei, hätten einige Leute zu ihm gesagt: "Du hast so viel erlebt, schreib das doch auf." Als dann auch noch ein Literaturagent anrief und seine Dienste anbot, musste er Wilfling nicht lange überreden.

"Schreiben macht mir einfach Spaß, darin war ich schon in der Schule gut", erklärt der 63-Jährige. Mit seinem Laptop sitzt er am Esstisch, weil ihn im Arbeitszimmer sein Vogel "Bazi" störenderweise ins Ohrläppchen beißen würde, und tippt, "einfach so aus dem Gedächtnis heraus, ohne in Akten nachzuschlagen".

Und er sagt nicht ohne Stolz, dass jede Zeile von ihm stammt. Zwar habe ihm der Verlag einen Lektor zur Seite gestellt, der habe aber darauf Wert gelegt, dass Wilflings Stil erhalten bleibt und nicht viel verändert wird, "er hat höchstens mal was beim Aufbau verschoben".

Bewusst hat Josef Wilfling auf die spektakulären Fälle in seiner 22-jährigen Tätigkeit bei der Mordkommission verzichtet. Der Tod von Modezar Rudolph Moshammer beispielsweise sei für Abgründe nicht geeignet gewesen: "Ein normaler Raubmord", urteilt Wilfling.

Und der Fall Walter Sedlmayr schien ihm zu umfangreich und auch in den Medien zu lange präsent. Es musste etwas Besonderes sein. So wie bei einem möglichen zweiten Buch, das Josef Wilfling "nicht ausschließen" will. Auf alle Fälle besser als Trägheit. Oder Bettenaufschütteln.

Josef Wilfling: Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden, Heyne Verlag, 19,95 Euro, 320 Seiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: