Kommentar:Mehr für die Mehrheit

Es hilft nichts, Abstiegsängste kleinzureden. Die Politik hat Mittel gegen Populismus: Sie muss Erbschaften höher besteuern und endlich die Mittelschicht entlasten.

Von Alexander Hagelüken

Die Epoche der Renaissance wird gerne golden genannt. Vor 500 Jahren erschien sie manchem Zeitgenossen wenig golden. 2016 assoziiert jemand mit der Renaissance vielleicht Michelangelo, Innovationen wie den Buchdruck und neuartige Geschäfte, die einige fantastisch reich machten. Aber viele Zeitgenossen fremdelten mit dem großen Umbruch, der ihr Leben durcheinanderbrachte. "Sie fanden, dass ihre Qualifikationen nicht länger gebraucht wurden oder sie in abgehängten Regionen lebten, sodass die Ungleichheit zunahm", so der Historiker Ian Goldin.

Auch heute machen digitale Innovationen einige fantastisch reich. In 500 Jahren assoziiert jemand mit unserer Epoche vielleicht, dass die Globalisierung Wohlstand schuf. Aber viele Zeitgenossen fremdeln mit dem großen Umbruch, der ihr Leben durcheinanderbringt. Ihre Qualifikationen werden nicht länger gebraucht und die Ungleichheit nimmt zu. Nach dem Brexit haben die Unzufriedenen mit Donald Trump nun zum zweiten Mal den Populismus an die Macht gewählt. Plötzlich steht, auch in Deutschland, viel auf dem Spiel: Eine offene Gesellschaft ebenso wie die Globalisierung, gegen die Populisten die Unzufriedenen mit Handelsmauern abschotten wollen.

Die besten Instrumente in diesen Zeiten: gerechte Steuern, Entlastung der Mittelschicht

Der Vergleich mit der Renaissance zeigt, dass Zeiten des Umbruchs Zeiten der Unruhe sind. Hier enden die Parallelen. Damals hatte das Volk wenig zu melden. Die Demokratien von heute dagegen sollten die Unzufriedenen ernst nehmen. Sie sollten die Früchte der Globalisierung besser verteilen, um den Populismus aufzuhalten, der die Quellen des Wohlstands zu verstopfen droht. Bei Frankreichs Präsidentenwahl will Marine Le Pen den Trump machen. In Deutschland zog die AfD seit 2014 bei jeder von zehn Landtagswahlen ins Parlament ein.

Es bringt nichts, die Unzufriedenen abzutun, wie es auch in Deutschland geschieht. Das beginnt mit der Verniedlichung ihrer materiellen Sorgen. Viele Bundesbürger haben unsicherere Jobs und weniger im Geldbeutel als vor der Jahrtausendwende. Nach Jahren des Booms besitzt die halbe Bevölkerung ein paar Tausend bis höchstens 20 000 Euro Vermögen - während andere immer reicher werden. Die Verniedlicher reden das klein: Die Einkommen entwickelten sich seit zehn Jahren kaum auseinander. Anders gesagt: Arm und Reich sind wieder so weit auseinander wie in den Sechzigern, aber der Graben wächst kaum. Hurra!

Ebenso wenig bringt es, Abstiegsängste zu verharmlosen. Auch in Deutschland schrumpft die Mittelschicht. Es ist schwieriger, in die Mitte aufzusteigen, seit Nachkriegsende das erklärte Ziel der Massen, die ein Reihenhaus im Grünen wollen und eine bessere Zukunft ihrer Kinder.

Es bringt auch nichts, die Unzufriedenen wegen ihrer Vorbehalte gegen Ausländer zu ignorieren. Eine offene Gesellschaft verdammt diese Vorbehalte, aber sie kann Ursachen zu verstehen suchen. Wenn Umbrüche das Leben durcheinanderbringen, suchen Menschen Halt, auch in der Abneigung gegen Fremde, zumal ihnen Populisten diese Sündenböcke soufflieren. Macht Politik das Leben sicherer, finden zumindest manche anders Halt.

Die etablierten Parteien in Deutschland unterschätzen, was sich Bürgern im vergangenen Vierteljahrhundert alles an Enttäuschungen eingegraben hat. Das begann mit der Wiedervereinigung, die Ostdeutschen mehr Wohlstand bescherte, aber vielen die Stelle nahm, ohne die eine Leistungsgesellschaft sie als Außenseiter abtut. Es setzte sich für alle Deutschen mit der Erosion der lebenslangen Anstellung fort, die vielen Sicherheit gab. Es gipfelte in der Finanzkrise, als die Allgemeinheit den Schaden der entfesselten Banker bezahlte, die nicht mal die Boni ihrer halsbrecherischen Geschäfte zurückerstatten mussten.

Die Abkehr von vulgärliberaler Politik ist das wirksamste Instrument gegen den Populismus. Große Vermögen und Erbschaften müssen wieder besteuert und Schlupflöcher für Firmen gestopft werden. Mit den Einnahmen lässt sich mehr Netto für Normalverdiener finanzieren: Weniger Steuern für die Mittelschicht und weniger Sozialabgaben für Geringverdiener. Dazu müsste die Politik mehr Tarifverträge allgemein verbindlich erklären und all die Mini- und Zeitweise-Jobs unattraktiver machen. Das Ergebnis wäre mehr Geld und mehr Sicherheit für die Mehrheit in einer Epoche des Umbruchs.

Zwei von fünf AfD-Wählern fühlen sich von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt. Bei der Berlin-Wahl 2016 wählten 18 Prozent der Arbeiter SPD - und 27 Prozent AfD. Deutschland braucht eine fairere Politik, um zumindest manche von ihnen dem Populismus zu entreißen.

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