Schulhunde:Ein Lehrer namens Alfi

Schulhunde: Schulhund Alfi unterstützt die Kinder in der Klasse 3a an der Grundschule Erlenweg in Köln.

Schulhund Alfi unterstützt die Kinder in der Klasse 3a an der Grundschule Erlenweg in Köln.

(Foto: Nadja Lissok)

Macht ein Hund im Klassenzimmer pädagogisch Sinn? In einer Brennpunkt-Schule in Köln fällt die Antwort eindeutig aus.

Von Nadja Lissok, Köln

Nach dem 8-Uhr-Klingeln gehen in der Grundschule Erlenweg nur wenige Kinder in ihre Klassen. "Offener Anfang" heißt das pädagogische Konzept, bei dem die Kinder eine Viertelstunde Zeit haben, bis der Unterricht losgeht. Nur einer liegt schon in der Eulenklasse unter dem Tisch und erwartet die Schüler: Schulhund Alfi. Mit drei Jahren ist er der Jüngste und mit Abstand der Beliebteste in der Klasse 3a.

In der ersten Stunde der Eulenklasse, wie die 3a auch heißt, steht Freiarbeit auf dem Stundenplan. Jeder Schüler soll ruhig an seinem individuellen Wochenplan arbeiten. "Ruhig" ist in einem Raum voller Acht- bis Zehnjähriger ein dehnbarer Begriff. Es wird gelaufen, gekramt und vor allem geredet. "Ihr müsst leiser sein, sonst kann Alfi nicht schlafen", fordert Klassenlehrerin Judith Emonds ihre Schüler auf. "Und wer leise arbeitet, darf Alfi eine Möhre geben."

Der Schulhund ist Dezibel-Messgerät und Belohnung in einem. Und es funktioniert tatsächlich. Die Hinweisschilder "In der Schule gehe ich ruhig" oder "Ich schreie nicht", die überall im Gebäude hängen, sind nicht annähernd so wirkungsvoll wie der hellbraune Beagle-Mops-Mix, der sich auf seiner Decke zusammenrollt. Tatsächlich macht Alfi für ein paar Minuten die Augen zu, wenn er nicht gerade an einem Karottenstück kaut, mit dem ihn die Kinder zwischendurch füttern durften.

Alfi ist als Schulhund seit zweieinhalb Jahren eine feste Größe im Schulalltag an der Grundschule in Köln-Bickendorf. Eine staatlich anerkannte Prüfung gibt es für Schulhunde nicht, gemeinsam mit Lehrerin Emonds hat Alfi aber eine freiwillige Ausbildung in einem privaten Arbeitskreis gemacht. In der Ausbildung ging es neben Gehorsam und Unterordnung des Hundes vor allem darum, die Beziehung zwischen Alfi und seinem Frauchen zu festigen. Im Fall der Fälle müssen sie ohne viele Worte kommunizieren. Emonds muss zudem erkennen, wenn Alfi von seiner Arbeit gestresst ist. Außerdem werden verschiedene Einsatzmöglichkeiten des Hundes im Unterricht - wie Kennenlern- oder Suchspiele - erst einmal mit anderen Hundehaltern trainiert und in pädagogische Konzepte integriert.

Emonds hat Alfi damals speziell nach der Eignung als Schulhund ausgewählt. "Er durfte nicht zu groß und nicht zu klein sein, damit die Hemmschwelle für Kinder so niedrig wie möglich ist", erzählt Emonds. "Außerdem wirken helle Hunde freundlicher. Und natürlich musste er vom Wesen friedlich und sehr belastbar sein."

Alfi hilft beim Mathelernen

Und das ist Alfi auf jeden Fall. Zum Ende der ersten Stunde bildet sich eine lange Schlange an seinem Platz, später in der Pause stehen auch die Kinder aus anderen Klassen "Alfi" rufend in der Tür. Die Kinder der Eulenklasse verscheuchen sie: "Alfi hat Pause." Feste Regeln sind im Alltag mit dem Hund wichtig, und es hat lange gedauert, bis die Kinder sie verinnerlicht hatten. Emonds erinnert sich: "Am Anfang bin ich morgens mit Alfi über den Schulhof gegangen und 20 Kinder hingen über ihm und 30 haben seinen Namen gebrüllt." Mittlerweile wissen aber die meisten Schüler, dass auch Alfi das Recht auf Abstand hat.

In der Mathestunde kommt Alfi dann endlich aktiv zum Einsatz. Er bringt jedem Schüler ein Säckchen mit einer Zahl, die der Schüler dann an die passende Stelle an den Zahlenstrahl bis 1000 legen soll. Auch hier gilt: Nur wer ruhig bleibt, darf den Hund losschicken. Bis alle Kinder dran waren, ist die Unterrichtsstunde vorbei. Geht da für eine "Alfi-Stunde" nicht viel wertvolle Lernzeit verloren? "In den Alfi-Stunden ist das soziale Lernen mindestens genau so wichtig wie der Unterrichtsstoff", erklärt die Klassenlehrerin. "Und das ist bei unseren Schülern, von denen viele einen individuellen Förderbedarf haben, notwendig. Sie lernen, sich zu gedulden bis sie dran sind und den Hund dann mit fester und freundlicher Stimme anzusprechen. Außerdem ist der Alfi eine Motivation für diejenigen, die Angst haben vor der Klasse zu sprechen, oder für die Mathe-Hasser." Leandra aus der Eulenklasse stimmt zu. "Mit Alfi ist es einfach lustiger."

"Alfi wird als vollwertiger Kollege akzeptiert"

Wie viele Schulhunde es bundesweit gibt, ist in keiner Statistik erfasst. Ein Schulhund bedarf keiner speziellen Zulassung, die meisten Schulministerien liefern lediglich allgemeine Hinweise zu Sicherheit, Hygiene und Versicherung des Tieres. Auf Nachfrage heiß es aus dem NRW-Schulministerium, dass das Konzept der tiergestützten Pädagogik grundsätzlich befürwortet wird, da der verantwortungsvolle Umgang mit anderen Lebewesen das soziale Klima in den Klassen verbessere und die geistige Entwicklung der Kinder fördere.

Für Lydia Agsten, Organisatorin der Online-Plattform "Schulhundweb", greift die Handreichung des Ministeriums zu kurz: "Zwar weisen die Schulministerien darauf hin, dass Hunde nicht einfach mitgenommen werden dürfen, eine bestimmte Qualifikation des Tieres und der Lehrkraft wird aber nicht vorgeschrieben." Agsten engagiert sich seit Jahren in den regionalen "Arbeitskreisen Schulhund" für eine qualifizierte Weiterbildung in diesem Bereich. Nach Erzählungen ihrer Seminarteilnehmer schätzt sie die Zahl der Schulhunde in Deutschland insgesamt auf 2000 bis 3000.

Der Hund ist Teil des pädagogischen Konzepts

Die Grundschule Erlenweg liegt in einem sozialen Brennpunkt, in jeder Klasse sind mindestens zwei bis fünf Kinder, die einen emotionalen, kognitiven oder sprachlichen Förderbedarf haben. Die Schule hat im Viertel keinen guten Ruf, bei Infoveranstaltungen ist öfter das Gerücht zu hören, hier würden die Kinder generell weniger lernen und hätten es deshalb später schwerer, auf ein Gymnasium gehen.

Die Schule teilt sich das Gelände mit einer katholischen Grundschule, die solche Probleme nicht hat. "Wenn zwei Schulen nah beieinander sind, ist eine die angesehene Schule, die im Viertel empfohlen wird, und eine die Schule für die restlichen Kinder", weiß Schulleiter Mike Müller. "Dieser Ruf hält sich leider ewig, und als Schule haben wir trotz jeder Menge Angebote und motivierter Kollegen kaum Chancen, daran etwas zu ändern. Es müsste sich mal jemand trauen, sein Kind trotz bildungsbürgerlichem Hintergrund zu uns zu schicken."

Schulhund Alfi in Köln

Alfi bei der Leseförderung.

(Foto: Nadja Lissok)

Kann Alfi auch helfen, den Ruf der Schule aufzupolieren? "Ja, denn wir versuchen trotz schwieriger Bedingungen, den Kindern auf ihrem Niveau die beste Ausbildung zu bieten, und davon ist Alfi ganz klar ein Teil. Die Kinder sind stolz auf ihn." Schulleiter Müller stand dem Schulhunde-Konzept genau wie die meisten Kollegen von Anfang an positiv gegenüber. Natürlich sei nicht jeder ein Hunde-Mensch, aber die Pädagogen wissen, was ein Hund an der Schule leisten kann. "Alfi wird von allen als vollwertiger Kollege akzeptiert", lacht der Schulleiter. "Er hat eine Aufgabe und läuft nicht einfach nur mit."

Das ist auch Agsten vom Schulhundweb besonders wichtig: "Ein Hund an der Schule ist nur ein Gewinn, wenn er nicht einfach nur mitgenommen wird, sondern nach seinen individuellen Stärken und Schwächen eingesetzt wird. Sonst geht der Einsatz häufig zu Lasten des Tieres."

Auf Alfi wartet nach der zweiten Pause eine weitere Arbeitsstunde. Bei der Leseförderung lauscht er Elias, der ihm in der Bibliothek aus dem Buch "Fleckenteufel" vorliest. Während er in der Klasse Konzentrationsschwierigkeiten hat, klappt das Lesen mit seiner Hand auf Alfis Rücken besser - der Hund ist einfach ein guter Zuhörer.

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