Urteil nach Zugunglück:Nicht tragisch, sondern schlichtweg fahrlässig

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Das Urteil nach dem Zugunglück von Bad Aibling ist eine Warnung: In einer hoch technisierten Gesellschaft ist Selbstüberschätzung lebensgefährlich.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Ein tragischer Unfall, so wird das genannt, was am 9. Februar in Bad Aibling passierte: zwei Züge stießen zusammen, zwölf Menschen starben, über 80 wurden schwer verletzt. Doch tragisch ist das falsche Wort dafür. Es impliziert, dass dieser Unfall unausweichlich, vorherbestimmt, Fügung war. Aber das war er nicht. Das Unglück von Bad Aibling hätte bis zum Schluss verhindert werden können, wenn der zuständige Fahrdienstleiter seinen Job getan hätte.

Das hat er aber nicht. Er hat sich die Zeit im Dienst mit einem Handyspiel vertrieben, er war so versunken in seine Fantasy-Welt, dass er Fehler machte. Und als er die Fehler bemerkte, nahm er sich noch Zeit, das Spiel ordnungsgemäß zu beenden und setzte erst dann den Notruf ab. Nichts zeigt mehr als diese zeitliche Abfolge, wo für den verantwortlichen Fahrdienstleiter die Priorität lag. Auf jeden Fall nicht bei seiner Arbeit.

Das ist nicht tragisch, das ist fahrlässig. Umso mehr, als im Prozess deutlich wurde, dass es eben kein "Augenblicksversagen" des Fahrdienstleiters war, kein einmaliger Blackout, kein Versehen. Der Mann hat seit Anfang Januar immer mehr und immer länger gespielt, bis er am Tag des Unfalls fast 70 Prozent seiner Dienstzeit mit dem Fantasy-Spiel verbrachte. Das ist nichts, was man unter "Menschlich-allzu-Menschlich" subsumieren kann, das ist keine lässliche Sünde. Hier hat jemand seine Aufgabe sträflich vernachlässigt.

Das Gericht hat sehr deutlich gemacht, dass der Fahrdienstleiter von Bad Aibling das Leben seiner Fahrgäste über Wochen aufs Spiel gesetzt hat. Und wäre nicht Faschingsdienstag gewesen, es wären in diesem Zug noch sehr viel mehr Menschen gesessen.

Natürlich leidet der Mann nun unter seiner Schuld, unter den Folgen seines Tuns, auch unter der Verurteilung zu dreieinhalb Jahren Haft. Man muss diesen Mann nicht verdammen, er ist nicht kalt und steht zu seiner Schuld. Aber ihn nur als Opfer zu sehen, das verkehrt die Verhältnisse und verwischt die Verantwortung: Er ist nicht in erster Linie Opfer, er ist für die Opfer verantwortlich. Vor ihm saß am Tag der Urteilsverkündung eine Witwe, ihre zwei kleinen Kinder warten zuhause, der Vater wird nie wieder kommen. Vor ihm saß auch ein 18 Jahre alter junger Mann, dessen Beine im Zug eingequetscht waren und der nicht weiß, ob er je wieder ohne Krücken gehen kann. Diese Menschen würden sich schwer tun, in Michael P. ein Opfer zu sehen. Der Unfall war keine göttliche Fügung, der Fahrdienstleiter kein Werkzeug der Vorsehung. Auch wenn ihm viele der Opfer nichts Böses wollen.

Von jedem Piloten, von jedem Aufseher im Kraftwerk, von jeder Krankenschwester und jedem Kranführer wird verlangt, dass sie ihren Dienst aufmerksam und pflichtgetreu versehen, dass sie nicht Kreuzworträtsel lösen oder dauertelefonieren oder eben am Handy spielen. Dass das trotzdem vorkommt, entschuldigt nichts. Fast jeder hat sich schon einmal dabei ertappt, wie er beim Autofahren ins Handy tippt. Es ist reines Glück, wenn dabei nichts passiert. Das Verfahren über das Bahnunglück von Bad Aibling zeigt auch jedem einzelnen, wie wichtig es ist, seinen Job so zu machen, dass man sich nichts vorwerfen lassen muss: zum Beispiel Auto zu fahren, wenn man im Auto sitzt. Oder Züge zu überwachen, wenn man im Stellwerk sitzt.

In einer hoch technisierten Gesellschaft wird es schnell lebensgefährlich, wenn man sich an diese Vorschriften nicht hält oder versucht, Rekorde in Multitasking aufzustellen - auch weil der Mensch dazu neigt, sich selbst zu überschätzen. Diese hohe Verantwortung jedes Einzelnen hat das Landgericht Traunstein mit der Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten für den Fahrdienstleiter unterstrichen.

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