Lokale Netzwerke:Facebook für die eigene Straße

Webseiten und Nachbarschafts-Apps helfen bei der Kontaktaufnahme

Siedlung in Gelsenkirchen: Jeder fünfte Deutsche wünscht sich mehr Kontakt zu seinen Nachbarn. Webseiten und Apps helfen bei der Kontaktaufnahme.

(Foto: Hans Blossey/Imago)

Nachbarschafts-Apps sollen helfen, seine Menschen in der direkten Umgebung besser kennenzulernen und sich gegenseitig zu helfen. In diesen lokalen Netzwerken fallen aber besonders sensible Daten an.

Von Katharina Kutsche

Zwanzig Mal musste Christian Vollmann klingeln. Zwanzig Mal sich vorstellen und erklären, dass er schon seit knapp zwei Jahren in der Straße in Berlin wohnt. Und zwanzig Mal erklären, warum er gern die E-Mail-Adressen seiner Nachbarn haben möchte. Vollmann wollte ein Nachbarschaftsnetzwerk aufbauen, das sich im Internet organisiert. Dafür benötigte er die E-Mail-Kontaktdaten seiner Nachbarn, "das ist ja schon mal eine gewisse Hürde".

Die meisten Anwohner fanden es schön, jemanden aus der Nachbarschaft kennenzulernen, sagt Vollmann: "Bei manchen Nachbarn habe ich bis zu einer Stunde auf dem Sofa gesessen." Und das mit den E-Mail-Adressen klappte auch, mit 20 Anschriften von 19 Nachbarn ging Vollmann wieder nach Hause. Immerhin.

Apps sollen analoge Nachbarn auch zu digitalen machen

Dabei sind die Deutschen vorsichtig mit denjenigen, die sie in ihr Heim lassen, persönlich und per E-Mail. Doch Vollmanns Nachbarn gefiel die Idee, sich mit anderen in der Umgebung zu vernetzen, also entwickelte er einen Prototypen für seine Berliner Straße, der sich nach und nach zu dem entwickelte, was heute Nebenan.de ist: eine Internetseite, über die sich Menschen in Deutschland in ihrer Nachbarschaft austauschen und aushelfen können.

Der Wunsch und das Schätzen der nachbarschaftlichen Unterstützung ist allgemein groß: In einer Umfrage des Statistikportals Statista von 2016 gaben etwa 80 Prozent der Befragten an, dass man sich in der Nachbarschaft helfe. Etwa ein Drittel antwortete, man unternehme etwas gemeinsam mit den Nachbarn. Knapp 20 Prozent der Befragten wünschten sich mehr Kontakt mit den Bewohnern nebenan.

Hier setzen Webseiten und Apps wie Nebenan.de, Nachbarschaft.net und Allenachbarn.de an. Sie möchten analoge Nachbarn auch zu digitalen Nachbarn machen, ihnen Plattformen für Hilfe untereinander und Kontakt miteinander bieten. Dass die Nutzer tatsächlich im selben Viertel wohnen, muss mithilfe der Anschriften und eben der E-Mail-Adressen verifiziert werden. "Wir geben persönliche Daten niemals und zu keinem Preis heraus", versprechen die Betreiber von Nebenan.de. Wie also funktioniert das mit dem Datenschutz bei einem Konzept, das besonders eng mit den eigenen vier Wänden verknüpft ist?

"Wir löschen alle Daten, die wir nicht mehr brauchen"

Um den Missbrauch von gespeicherten Daten zu vermeiden, haben Vollmann und sein Team mehrere Prüfschritte eingebaut. Sowohl die Übertragung von Daten, als auch die von den Nutzern hinterlegten Daten sind verschlüsselt, etwa mit sogenannten Hashfunktionen, bei denen Zugangsdaten in Zahlen- und Buchstabenkombinationen umgewandelt werden. Würde ein Hacker Zugriff auf dieses Datenpaket erlangen, wäre es nutzlos, er könnte aus den Hashwerten keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Passwörter ziehen. "Wir arbeiten außerdem nach dem Prinzip der Datensparsamkeit", sagt Vollmann, "wir fragen nur das, was wir wirklich brauchen und löschen alle Daten, die wir nicht mehr brauchen."

Das funktioniert auch deswegen, weil das Berliner Start-up risikokapitalfinanziert, werbefrei und für die Kunden kostenlos ist. So werden keine werberelevanten Daten von den Nutzern benötigt. Was ein Kunde von sich preisgibt, entscheidet er selbst, je nachdem, wofür und wie intensiv er den Dienst nutzen möchte.

Wer gerne joggt, bekommt Mit-Läufer vorgeschlagen

Das trifft im Grundsatz natürlich auch auf andere Anbieter zu. Die Betreiber der App Nachbarschaft.net garantieren mithilfe von Verschlüsselung und Firewalls "höchstmögliche Datensicherheit". Die eingegebenen Profildaten können nur angemeldete und verifizierte Nutzer sehen, dabei ist der Radius der Nutzer, bezogen auf den Wohnort, auf 2,5 Kilometer beschränkt. Wer möchte, kann zusätzlich zu den Pflichtangaben (Name, Geschlecht, Wohnort) noch Hobbys und Beruf eingeben.

Das ist auch der Schwerpunkt von Nachbarschaft.net, Nutzer anhand ihrer privaten Interessen zu verbandeln: Joggt jemand gern, schlägt ihm die App potenzielle Mitläufer aus der Umgebung vor. Doch während sich die Nebenan.de-Nutzer direkt beim Anbieter registrieren, bietet Nachbarschaft.net zusätzlich die Anmeldung mit dem eigenen Facebook-Profil an - das soziale Netzwerk ist nicht gerade für seinen sensiblen Umgang mit Nutzerdaten bekannt.

Die Plattform Allenachbarn.de aus Nürnberg dagegen möchte "weder Datenkrake noch Werbemonster sein", heißt es über den Datenschutz. Der Dienst versteht sich als soziales, lokales "Mitmach-Netzwerk nach dem Wiki-Prinzip": Tauschbörse, Suchanzeigen nach der entlaufenen Katze, Termine fürs Straßenfest. Wer die Seite nutzen möchte, muss dafür keine personenbezogenen Daten angeben. Die Plattform finanziert sich durch Spenden und Fördermitgliedschaften, werben dürfen in der jeweiligen Nachbarschaft nur Kleinunternehmer wie der Bäcker ums Eck und Bauern aus der Region.

Zum Registrieren müssen Nachbarn Adresse nachweisen

Wer sich innerhalb der Nachbarschaft datensicher vernetzen möchte, sollte daher nicht nur auf die technische Absicherung, sondern auch auf die Verknüpfung mit anderen Dienstleistern und die Finanzierung des Angebots achten. Ebenfalls wichtig ist die Verifizierung der Nutzer. Damit etwa Nebenan.de-Gründer Vollmann und seine Kollegen sicherstellen können, dass sich nur echte Nachbarn bei ihnen registrieren, fordern sie die Nutzer per E-Mail auf, ein Foto vom Adressfeld im Personalausweis zu übersenden oder das obere Drittel eines Versorger-Briefs, einer Strom- oder GEZ-Abrechnung etwa. "Wir schauen das manuell an", sagt Vollmann, "ein Restrisiko können wir natürlich nicht ausschließen". Sollte sich ein Hacker doch Zugriff auf die Webseite verschaffen, ist seine Datenbeute ohnehin beschränkt: Die Mitglieder sind nur in ihren jeweiligen digitalen Nachbarschaften organisiert, die auch den kartografischen Gegebenheiten entsprechen.

Ein Nutzer aus Gräfelfing Süd-West hat also keinen Einblick in die Gruppe von Hannover Döhren-Nord. Dadurch kann ein Datendieb zwangsläufig nur eine begrenzte Mitgliederschaft angreifen. Auch die Mitarbeiter des Start-ups haben keinen Zugriff auf alle Daten, sondern nur entsprechend ihrer Aufgaben. Sollte jemand einen Mitarbeiter-Zugang hacken, kann er so nicht das ganze System kompromittieren. "Wir laden jeden ein, der bei uns eine Sicherheitslücke aufgedeckt hat. Und wir belohnen seine Hinweise auch", sagt Vollmann. Zudem habe das Team eine externe Datenschutzbeauftragte engagiert und arbeite gerade die Liste mit deren Empfehlungen ab.

Die digitale Nachbarschaft ist offenbar beliebt, allein auf Nachbarschaft.net sind mehr als 20 000 Nutzer aktiv. Bei Nebenan.de haben sich bundesweit schon mehr als 2000 Nachbarschaften gegründet, davon hat die Mehrzahl der Gruppen mehr als 100 Mitglieder. Gerade das Teilen von nützlichen Dingen wie Bohrmaschine und Rasentrimmer, oder auch soziale Aktivitäten wie die der Lebensmittelretter werden über die Dienste organisiert.

Das digitale nachbarschaftliche Miteinander funktioniert also unabhängig vom Datenschutz nach den gleichen Regeln wie das analoge - so wie es auch die drei goldenen Regeln auf Nebenan.de fordern: Sei nett. Sei hilfsbereit. Und sei ehrlich.

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