Supreme Court:Trumps Richter: Freundlich im Umgang, konservativ im Denken

Mit Neil Gorsuch nominiert US-Präsident Trump einen bestens ausgebildeten Juristen, der die US-Verfassung wörtlich auslegen will - und am liebsten einen toten Europäer zitiert.

Porträt von Matthias Kolb, Washington

Ohne Überraschung geht es nicht bei Donald Trump. Zu Wochenbeginn hatte der US-Präsident auf Twitter angekündigt, am Dienstag seinen Kandidaten für das Oberste Gericht zu präsentieren. Dann wurde bekannt, dass zwei Juristen nach Washington gereist waren und der Republikaner sich zwischen Neil Gorsuch und Thomas Hardiman entscheiden werde. Zum Zeitvertreib wurde viel spekuliert: Wird Trump beide auf die Bühne holen und dann seinem Favoriten eine Rose geben (wie bei The Bachelor) und zum Verlierer "You're fired!" sagen, wie einst in seiner Reality-TV-Show The Apprentice?

Der neue US-Präsident wählt dann das Standardprogramm: Zügig verkündet Trump, dass er Neil Gorsuch als Nachfolger der konservativen Ikone Antonin Scalia für den vakanten Posten am Supreme Court vorschlägt. Ein bisschen Selbstlob darf natürlich nicht fehlen ("das war die transparenteste Richter-Suche aller Zeiten"), doch Trump überlässt schnell dem Kandidaten das Rednerpult.

Neil Gorsuch gibt sich zur besten TV-Sendezeit bescheiden. Er dankt Trump und nennt den im vergangenen Februar verstorbenen Verfassungsrichter Scalia "einen Löwen des Rechts". Der Protestant (Episkopaler) bedankt sich bei "meiner Familie, meinen Freunden und meinem Glauben": Diese Dinge würden ihm helfen, die Höhen und Tiefen des Lebens zu meistern. Nichts an diesem Auftritt spricht dafür, dass er die Erwartungen des konservativen Amerikas enttäuschen wird.

Gorsuchs Lebenslauf ist beeindruckend, seine Überzeugung konservativ

Obwohl Präsident Trump seit Monaten gegen die Eliten des Landes wettert und ankündigt, den "Sumpf trocken zu legen", hat er mit Gorsuch ein Mitglied dieser Oberklasse ausgewählt. Gorsuch wuchs in Washington auf (seine Mutter leitete die EPA-Umweltbehörde), besuchte zunächst die New Yorker Columbia University und dann die Harvard Law School - zeitgleich mit Ex-Präsident Barack Obama. Es folgte ein Doktortitel der britischen Elite-Hochschule Oxford, bevor er für zwei Verfassungsrichter arbeitete - unter anderem für Anthony Kennedy, dessen Kollege er nun werden könnte.

Einige Zeit war er in einer großen Kanzlei sowie im Justizministerium tätig, bevor er mit 39 von George W. Bush für das Berufungsgericht in Denver nominiert wurde. Bei seiner Amtseinsetzung versicherte ein ehemaliger Kollege, Gorsuch habe sich nicht die Haare gefärbt, um älter zu wirken: "Neil hatte schon graue Haare, als er vor zehn Jahren zu uns kam. Er wurde schon mit silbernen Haaren geboren - und einem unerschöpflichen Fundus an Zitaten von Winston Churchill."

Die Verehrung für den britischen Kriegspremier ist nicht das Einzige, was Gorsuch zum überzeugten Konservativen macht. Wie Scalia, den er im Falle einer Bestätigung durch den Senat ersetzen würde, ist er ein Originalist. Er vertritt die Meinung, die US-Verfassung möglichst wörtlich auszulegen: "Text, Struktur und Geschichte" des Texts müssten beachtet werden. Abgeordnete könnten sich durch ihre Überzeugungen beeinflussen lassen, wenn sie gesellschaftliche Veränderungen durch Gesetze festschreiben wollen, sagt Gorsuch im Frühling 2016: "Richter sollten das nicht tun in einer Demokratie."

Republikanern gefällt diese Haltung. Gorsuch hat die Religionsfreiheit oft verteidigt und etwa im "Hobby Lobby"-Fall argumentiert, dass von Arbeitgebern bezahlte Krankenversicherungen die Ausgaben für Verhütungsmittel nicht übernehmen müssen, wenn die Firmenbesitzer dies aus religiösen Gründen ablehnen.

Viele konservative Amerikaner und weiße Evangelikale hatten Trump bei der Präsidentschaftswahl unterstützt, damit dieser einen konservativen Richter an den Supreme Court schickt. Trump und sein Vize Mike Pence hatten der Pro Life-Bewegung der Abtreibungsgegner versprochen, einen Juristen zu nominieren, der das umstrittene Roe v. Wade-Urteil ablehnt, das das Recht auf Schwangerschaftsabbruch garantiert. Gorsuch hat zur Abtreibung keine Urteile gesprochen, doch in einem Buch über Euthanasie sprach er sich gegen jegliche Tötung menschlichen Lebens aus.

Gorsuch polarisiert nicht so stark, aber Bestätigung durch Senat unsicher

Der Vater zweier Töchter, der gerne Ski fährt und angelt, wird als höflich und freundlich im persönlichen Umgang beschrieben. Verglichen mit anderen Kandidaten wie William Pryor (er setzte die Homo-Ehe mit Sodomie und Pädophilie gleich) polarisiert Gorsuch also nicht so stark.

In seiner kurzen Rede an der Seite seiner Frau Laurie betonte Gorsuch, dass er sich auf die Gespräche mit den Senatoren beider Parteien freue. Er sei kein Ideologe: "Ein Richter, der mit jedem seiner Urteile zufrieden ist, macht einen schlechten Job." Der texanische Senator Ted Cruz und andere Republikaner verweisen darauf, dass Gorsuch 2006 einstimmig vom Senat bestätigt wurde. Es wäre also unfair, ihn nun abzulehnen.

Allerdings trifft diese Umschreibung auch auf Merrick Garland zu, jenen ebenfalls in Harvard ausgebildeten und vom politischen Gegner hochgelobten Richter, den Obama im März vorgeschlagen hatte. Die Republikaner hatten Garland im Senat nicht mal eine Anhörung gewährt und argumentiert, das Nominierungsrecht stehe dem nächsten Präsidenten zu. So wurde der Supreme Court zum Wahlkampfthema.

Gorsuch ist relativ jung und könnte das Gericht lange prägen

Im oft von politischem Stillstand geprägten Washington treffen die neun auf Lebenszeit ernannten Richter wichtige Entscheidungen, etwa zuletzt zur Homo-Ehe, Obamacare oder Wahlkampfspenden. Die Republikaner stellen 52 der 100 Senatoren - wenn die 46 Demokraten und zwei Unabhängigen geschlossen bleiben und eine "Filibuster"-Dauerrede abhalten, könnte Trumps Kandidat scheitern.

Um den "Filibuster" zu brechen, sind 60 Stimmen nötig. Allerdings ist offen, ob die Demokraten wirklich Rache für die Blockade von Obamas Kandidat Garland nehmen wollen - das angespannte Verhältnis zu Trump würde weiter eskalieren. Zugleich kommt Druck von der Straße: Minuten nach Ende der Zeremonie im Weißen Haus versammelten sich die ersten Demonstranten vor dem Supreme-Court-Gebäude, um gegen Trumps Bewerber zu protestieren.

Im Falle einer Bestätigung wäre Gorsuch mit 49 Jahren ein sehr junger Verfassungsrichter, der mehrere Jahrzehnte Urteile fällen dürfte. Da drei der liberalen Richter um die 80 Jahre alt sind, hoffen viele Konservative darauf, dass Trump noch mehrmals Juristen auswählen kann. Erst dann würde sich die Machtbalance verändern: Wenn Gorsuch Scalias Nachfolger werden sollte, stünde er mit drei Konservativen vier liberalen Richtern entgegen, die oft versuchen müssen, die "swing vote" Anthony Kennedy zu überzeugen.

Ob es bei neuen Kandidaten-Präsentationen mehr Spektakel geben wird, bleibt offen: An diesem Dienstag waren für Gorsuch und den unterlegenen Thomas Hardiman vorab eigene Twitter-Accounts (@JusticeGorsuch und @JusticeHardiman) angelegt worden.

Der aus einfachen Verhältnissen stammende Hardiman kann sich Hoffnung machen, das nächste Mal ausgewählt zu werden. Er ist mit 51 ebenfalls jung, und sehr häufig wählen US-Präsidenten jene Kandidaten als nächste aus, die vorher Nummer zwei waren. Und Hardiman hat eine sehr wichtige Fürsprecherin: Donald Trumps Schwester Maryanne Trump Barry ist zwar bereits emeritiert, sitzt mit ihm aber auf der Bank des Berufungsgerichts in Philadelphia.

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