Toxikologie:Selbst die Tiefsee ist mit Schadstoffen verseucht

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Flohkrebse fressen so gut wie alles, was von der Wasseroberfläche nach unten sinkt - darunter auch etliche Schadstoffe (Foto: Dr. Alan Jamieson, Newcastle University)
  • Forscher haben bei Flohkrebsen, die in elf Kilometern Tiefe leben, besorgniserregend hohe Konzentrationen zweier Schadstoffe gefunden.
  • Die Tiere waren mit den giftigen organischen Verbindungen PCB und PDBE belastet.
  • Das deutet darauf hin, wie schwerwiegend das Problem mit diesen Schadstoffen ist. Die Forscher vermuten als Quelle unter anderem Plastikmüll in den Ozeanen.

Von Hanno Charisius

Elf Kilometer unter dem Meeresspiegel ist es dunkel, kalt und es herrscht ein höllischer Druck. Als in den 1960er Jahren die ersten Tiefseeexpeditionen in diesen unwirtlichen Lebensraum vordrangen, waren die Wissenschaftler überrascht, dass es dort unten überhaupt Leben gibt. Von solchen vereinzelten Kurzbesuchen einmal abgesehen, blieb die Tiefsee jedoch die letzte vom Menschen unberührte Region auf diesem Planeten. Jedenfalls dachte man das bislang.

Eine neue Tauchfahrt in zwei Tiefseegräben zeichnet jetzt ein anders Bild. Der Biologe Alan Jamieson von der englischen Newcastle University schickte autonome Tauchapparate hinab in den 11 033 Meter tiefen Marianengraben und den 10 047 Meter tiefen Kermadecgraben im Pazifik. Die Apparate fingen Flohkrebse ein, die Jamieson mit seinen Kollegen später im Labor genauer untersuchte. Dabei entdeckten die Forscher große Mengen zweier giftiger organischer Verbindungen: PCB (polychlorierte Biphenyle) und PDBE (polybromierte Diphenylether).

Die Konzentration des Schadstoffs PCB im Gewebe einiger Marianengrabenbewohner war fünfzigmal so hoch wie in Krabben, die in dem stark belasteten chinesischen Fluss Liao He leben, schreiben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Nature Ecology & Evolution. Der Fund dieser gefährlichen Industriechemikalien in einem bislang als unberührt geltenden Lebensraum macht deutlich, wie schwerwiegend das Problem mit diesen Stoffen ist, schreibt die australische Umweltwissenschaftlerin Katherine Dafforn von der University of New South Wales in einem Begleitkommentar.

Der Fund in elf Kilometern Tiefe zeigt, dass auch die letzten Winkel der Erde kontaminiert sind

PCB sind giftige und krebserregende organische Chlorverbindungen, die einst als Isoliermaterial verwendet und als Weichmacher in Lacke und Kunststoffe gemischt wurden. Ihr Gebrauch ist seit 2001 durch die Stockholmer Konvention verboten, der von PBDE seit einigen Jahren stark eingeschränkt. Doch der Fund in der Tiefsee zeigt, wie allgegenwärtig diese Chemikalien noch heute sind. Sie zersetzen sich in der Natur extrem langsam und verteilen sich rasch um den ganzen Globus.

Über die Herkunft der Schadstoffe in der Tiefsee lasse sich nur spekulieren, schrieben Jamieson und seine Kollegen in ihrem Fachaufsatz. Für sie kommen die vielen Millionen Tonnen Plastikmüll als Quelle infrage, die sich im Pazifik angesammelt haben. Aus diesem Müllstrudel könnten Plastikteilchen in die Tiefe sinken und die giftige Fracht von der Oberfläche mit hinab nehmen. Eine andere Quelle könnten alte Schiffswracks sein.

Während das generelle Vorkommen dieser Schadstoffe am tiefsten Punkt der Erde keinen Experten überrascht, gibt es Zweifel an den enormen Konzentrationen. "Es fehlen Angaben zu Referenzproben, mit denen man die Identität der untersuchten Stoffe eindeutig belegen kann", sagt Meeresforscher Oliver Wurl von der Universität Oldenburg. Ohne diese Daten könnten sich die gemessenen Werte auch auf andere Substanzen zurückführen lassen.

Eric Achterberg vom Geomar-Forschungszentrum in Kiel bemängelt zudem die schwache statistische Auswertung. Die Genauigkeit der eingesetzten Methode sei so nicht nachvollziehbar. In den Fettpolstern alter Pottwale habe man zudem weniger PCB gefunden als in den Tiefseeflöhen, sagt Wurl. Erstaunlich, weil sich der fettlösliche Stoff in der Nahrungskette anreichert. Tiere wie die Flohkrebse stehen darin weit vorne, der Pottwal fast am Ende. Deshalb würde man in seinem Gewebe höhere Werte erwarten. Ob es sich um einen Messfehler handelt oder Jamieson ein neues Phänomen entdeckt hat, müssen weitere Tests zeigen.

© SZ vom 14.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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