Nukleare Rüstung:Die Atommächte rüsten wieder auf

Atomwaffen werden weniger aber moderner

Die Staaten Russland und USA verfügen zusammen über mehr als 90 Prozent des globalen Atomwaffenarsenals.

(Foto: Sergei Ilnitsky/dpa)
  • Die Konfliktlinie um Atomwaffen verläuft wie im Kalten Krieg wieder zwischen USA und Russland.
  • Das Misstrauen zwischen den beiden Ländern ist kein neues Phänomen, seit der Jahrtausendwende wächst es schrittweise.
  • Zeitgleich stimmten bei der UN-Vollversammlung 123 Staaten für Verhandlungen für einen Verbotsvertrag von Atomwaffen.

Von Tobias Matern

Wie ein verheißungsvolles Versprechen wirkte es, zumindest klang es nach mehr als nur einem Hoffnungsschimmer. Schließlich redete hier ein Mann, der selbstkritisch eingestand, Anführer des einzigen Landes der Erde zu sein, das tatsächlich den Tabubruch begangen und 1945 in Hiroshima und Nagasaki Atombomben eingesetzt hatte. Also, sagte der damalige US-Präsident Barack Obama in seiner Prager Rede im April 2009, müssten die Vereinigten Staaten jetzt die Initiative ergreifen und mit gutem Beispiel vorangehen, um "eine Welt ohne Atomwaffen" zu ermöglichen. Diese Rede: Sie hätte einmal in den Geschichtsbüchern stehen können als der Anfang des Abrüstungs-Wettlaufs. Doch sie wird nur eine Fußnote bleiben. Geschliffen formuliert, aber ohne Folgen.

Denn die nukleare Gefahr, der sich die Weltgemeinschaft ausgesetzt sieht, ist acht Jahre nach Obamas Prager Rede wieder deutlich gestiegen. Einerseits gibt es nach wie vor ein paar Grundkonstanten nuklearer Bedrohung: Ein unberechenbarer Diktator wie Kim Jong-un besitzt die Chuzpe, regelmäßig Raketen zu zünden. Indien und Pakistan misstrauen sich nach wie vor so massiv, dass ihre gegenseitige Abschreckung auf Nuklearwaffen beruht. Israel sieht sich als inoffizielle Atommacht nach wie vor von vielen Feinden umgeben und in seinem Existenzrecht bedroht. Aber die zentrale Konfliktlinie um Atomwaffen verläuft nun wieder dort, wo sie schon zu Zeiten des Kalten Krieges lag: Zwischen den USA und Russland. Beide Staaten verfügen zusammen über mehr als 90 Prozent des globalen Atomwaffenarsenals.

Die Nato ist seit seit der Annexion der Krim in Aufruhr

Das Misstrauen zwischen Moskau und Washington in Atomfragen ist kein neues Phänomen, es ist seit der Jahrtausendwende schrittweise gewachsen. Russlands Präsident Wladimir Putin fühlte sich bereits 2002 von George W. Bush hintergangen, als dieser ein Raketenabwehrschild in Osteuropa auf den Weg brachte. Moskau verstand das als direkte Einschränkung seines strategischen Machtbereichs, gab nicht viel auf Washingtons Versicherung, das System richte sich doch ausschließlich gegen Iran. Zudem sind die USA auch nicht von den Plänen abgerückt, obwohl die Obama-Regierung einen Nukleardeal mit Iran geschlossen hat - der allerdings nun unter dem neuen Präsidenten Donald Trump wieder infrage steht.

Die Nato ihrerseits ist in Aufruhr, seit Putins Russland mit der Annexion der Krim eigentlich seit Jahrzehnten akzeptierte Regeln außer Kraft gesetzt hat - und auch die nukleare Option wieder offen für Drohungen nutzt und gar Nuklearschläge gegen Dänemark übt. Sowohl Washington als auch Moskau modernisieren eifrig ihre Waffensysteme.

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SZ-Karte; Quelle: ISW

Die Lager beäugen sich also argwöhnisch, ein permanenter Grundton des Misstrauens ist zu hören. Die Nato beispielsweise verfolgt mit Argwohn, ob Russland Nuklearwaffen in der Exklave Kaliningrad stationiert hat, in direkter Nachbarschaft zu den Mitgliedstaaten Polen und Litauen. Russland wiederum fühlt sich von der militärischen Überlegenheit der Nato seit Jahren provoziert, kritisiert auch die Stärkung der Ostflanke des Bündnisses durch die Verlagerung von Truppen ins Baltikum.

Trumps Tweets gefährden die nukleare Balance

Und die direkte Kommunikation zwischen Washington und Moskau in Sachen Atom? Wird auch in dieser komplexen Materie durchaus mal auf 140 Twitter-Zeichen verdichtet: "Die USA müssen ihre nuklearen Fähigkeiten stärken und ausbauen, bis die Welt in Sachen Raketen zu Sinnen gekommen ist", teilte Donald Trump kürzlich mit. Wenn er aus dieser Aussage reale Politik machen sollte, könnte die nukleare Balance zwischen den USA und Russland noch erheblich stärker gestört werden. Ein Sprecher des neu gewählten Präsidenten beeilte sich zwar zu erklären, dass Trump mit seinem Tweet ausschließlich die Gefahr habe adressieren wollen, die von Terroristen ausgehe, wenn sie Kernwaffen in die Hände bekämen.

Dennoch ist auch ein anderer Hintergrund für Trumps Tweet nicht undenkbar, denn unmittelbar zuvor hatte Putin erklärt: "Wir müssen die strategischen Atomwaffen stärken und dazu sollten wir Raketen entwickeln, die in der Lage sind, jedes gegenwärtige und zukünftige Raketenabwehrsystem zu überwinden." So ließen sich die Einlassungen der Präsidenten durchaus auch als Wortwechsel deuten.

Ein Verbotsvertrag soll moralischen Druck aufbauen

Zeitgleich mit dieser Rhetorik erreichen ganz andere Bestrebungen die Bühne der Weltpolitik. Bisher wenig beachtet, weisen sie indes in eine ganz neue Richtung. 123 Staaten haben bei der vergangenen UN-Vollversammlung in New York einen revolutionären Kurs in der Atomfrage eingeschlagen: Sie stimmten dafür, Ende März Verhandlungen aufzunehmen, um noch im Jahr 2017 einen internationalen Vertrag zu schließen, der Kernwaffen komplett verbieten soll. Das wird zwar weder die nuklearen Arsenale ad hoc vernichten noch ist ernsthaft damit zu rechnen, dass sich die Atommächte dem Votum beugen werden. Aber die Befürworter des Verbots argumentieren: Alle Bemühungen, die verheerende Waffe zu bannen, sind gescheitert. Es muss durch einen Verbotsvertrag zumindest moralischer Druck aufgebaut werden.

Das bisherige Abstimmungsverhalten bei Atomgesprächen ist eindeutig: Etwa 35 Staaten sprechen sich gegen das Verbot aus - darunter die USA und nahezu alle Nato-Verbündeten - sowie Russland. Die inoffiziellen Atommächte Indien und Pakistan enthalten sich der Stimme. Chinas Präsident Xi Jinping hat sich indes vor ein Wochen überraschend deutlich für ein Verbot ausgesprochen.

Die Initiative zum Verbot der Atomwaffen führe "nirgendwohin"

Deutschland sieht sich in diesen Verhandlungen in einem Zwiespalt. Einerseits verfolgt Berlin das Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Andererseits: Als Nato-Mitglied und nuklearer Teilhabestaat steht es unter dem Schutz des amerikanischen Nuklearschirms. Noch sind in Deutschland 20 amerikanische Nuklearwaffen stationiert, die im Ernstfall von deutschen Tornados transportiert werden sollen. Die Initiative zum Verbot der Atomwaffen hatte der ständige Vertreter Deutschlands bei der Abrüstungskonferenz in Genf zwar als "verlockende Abkürzung" bezeichnet, sie führe aber "nirgendwohin".

Nicht nur die Bundesregierung sieht nach wie vor den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) als beste Lösung, um das Ziel einer globalen Abrüstung zu erreichen. Doch der Vertrag beruht darauf, dass Staaten mit Nuklearwaffen ernsthaft an einer Abrüstung arbeiten, während sich die nicht atomar gerüsteten Staaten den Kontrollen internationaler Organisationen unterwerfen. Doch das Tauschgeschäft funktioniert nicht: Die Atommächte sehen keine Notwendigkeit, ihre Arsenale zu verringen. In der gegenwärtigen Weltlage rüsten sie eher auf.

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