Kriminalität:Antisemitismus wächst

Police stand guard outside a synagogue in Krystalgade in Copenhagen

Im Februar 2015 verübte ein islamistisch motivierter Täter einen Anschlag auf eine Synagoge in Kopenhagen.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)
  • In Deutschland gab es vergangenes Jahr 1300 antisemitische Straftaten.
  • Grünen-Politiker Volker Beck fordert von der Bundesregierung eine "institutionelle Antwort" und mehr Koordination bei der Bekämpfung des Problems.
  • Beck bemängelt auch das Fehlen einer soliden Datenbasis - entsprechende Vorfälle werden von verschiedenen Behörden unterschiedlich erfasst.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Berichte häufen sich, und sie kommen aus Frankreich wie aus Großbritannien, aus den USA und Deutschland: Überall wächst in diesen Monaten die Zahl der Verunglimpfungen und Angriffe auf Juden. In allen genannten Ländern kommt die wachsende Aggression von zwei Seiten - von fremdenfeindlichen Nationalisten wie von eingewanderten oder im Land aufgewachsenen Islamisten. Aus diesem Grund hat der Grünen-Abgeordnete Volker Beck die Regierung gefragt, was sie weiß und was sie dagegen tun will. Sein Resümee: der Mangel an Koordination - ob in der Regierung, zwischen Bund und Ländern oder zwischen staatlichen Stellen und Nichtregierungsorganisationen - verhindert bis heute eine wirksame Reaktion auf den aggressiven Antisemitismus. "Der Kampf braucht eine institutionelle Antwort", sagte Beck der Süddeutschen Zeitung. "Weniger Koordination, Engagement und Überblick war selten."

Beck kritisiert nicht nur die mangelnde Abstimmung beim Versuch, der Judenfeindlichkeit mit Prävention, Diskussion und Strafen zu begegnen. Er beklagt darüber hinaus vor allem, dass es bis heute keine solide Datenbasis gebe, mit deren Hilfe man das Problem umfassend in den Blick bekomme. Polizei und Behörden würden Straftaten aus dem Bereich unterschiedlich speichern; bis heute gebe es keinen einheitlichen Kriterienkatalog, um Taten zu erfassen und einzuordnen.

Die Antwort der Regierung auf Becks Fragen präzisiert das. So werden antisemitische Taten in der Polizeilichen Kriminalstatistik anders gespeichert als in der Statistik der Justizbehörden, die in diesen Fällen ermittelt haben. Außerdem gibt es bis heute keine umfassende Verlaufsstatistik, in der alles dargestellt wird - von dem Verdacht einer Straftat über den Verlauf der Ermittlungen bis zur Entscheidung eines Gerichts. Erst wenn es derlei gibt, wäre es möglich, die Reaktion des Staates und seiner Institutionen auf den Antisemitismus abschließend zu bewerten. Bis heute aber tun sich die Justizbehörden schwer, die Daten bundesweit zu sammeln.

Die wahren Zahlen dürften deutlich höher liegen als die offiziellen

Für Beck ist das ein großes Versäumnis, zumal die Forderung längst nicht mehr neu ist. Auch bei der Erfassung und Behandlung anderer von Rechtsradikalen verübten Verbrechen fehle eine Statistik, die den Blick auf die Reaktion des Staates vervollständigen würde.

An einer Stelle lobt der Grüne die Bundesregierung allerdings, und zwar für deren Eingeständnis, dass nicht-staatliche Einrichtungen enorm wichtig geworden seien, um das Ausmaß des Antisemitismus zu erkennen. So schreibt die Bundesregierung, die Erfahrungen der Berliner "Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus" (Rias) würden belegen, dass sich viele Betroffene oft nicht direkt an die Sicherheitsbehörden wendeten, wenn sie belästigt, beleidigt oder attackiert würden. Doch es gibt wohl eine hohe Dunkelziffer - auch die Regierung räumt ein, dass die Zahlen deutlich über den Offiziellen liegen dürften. Laut Kriminalstatistik gab es 2015 und 2016 jeweils etwa 1300 Straftaten, nach Information der Rias und anderer nicht-staatlicher Organisationen sind es aber deutlich mehr, Tendenz steigend.

Bemerkenswert ist noch etwas: Gefragt nach antisemitischen Tendenzen und Aussagen von Funktionären der AfD, antwortete die Regierung, derlei werde "nicht systematisch gesammelt und ausgewertet". Vor zwei Jahren noch hatte sie auf die gleiche Frage erklärt, dass es derlei Tendenzen gar nicht gebe. Das lässt sich offenbar nicht aufrechterhalten.

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