Champions League:Barça glaubt an den Dreizack gegen alle Vernunft

BARCELONA VS SPORTING GIJON, Spain - 01 Mar 2017

Wollen für Barca ein Fußball-"Wunder" gegen Paris aushecken: Neymar, Lionel Messi und Jordi Alba (von rechts).

(Foto: Quique Garcia/epa)
  • Nach der 0:4-Niederlage im Hinspiel braucht der FC Barcelona gegen Paris Saint-Germain fast schon ein Wunder, um es noch ins Viertelfinale der Champions League zu schaffen.
  • Doch das Team glaubt daran, viele Tore schießen zu können - es verspürt gerade eine neue Leichtigkeit.
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Von Oliver Meiler

In Barcelona glauben und hoffen sie gerade gegen alle Vernunft, gegen die schiere, scheinbar feindlich gesonnene Arithmetik. Auf Katalanisch lässt sich dieser Glaube in eine Formel fassen, die in den sozialen Medien in den vergangenen Tagen gerne mit einem Hashtag versehen wurde: #remuntarem - in etwa: "Das holen wir auf". Ganz beliebt war auch: "Jo hi crec" - "ich glaube daran".

Im Ligaspiel gegen Celta Vigo am Samstag im Camp Nou, das auch zur kollektiven Beschwörung dienen sollte, sah man Banderolen, auf denen den Fußballern des FC Barcelona geraten wurde, dass sie ihre Attribute auspacken, um den Glauben auch irgendwie zu unterstützen. Und das gelang dann just genauso torreich, wie es nun auch gegen Paris Saint-Germain in der Champions League gelingen soll.

5:0, wie gegen Vigo, muss Barcelona gewinnen, um es nach dem 0:4 im Pariser Prinzenpark doch noch ins Viertelfinale zu schaffen. Eine Handvoll Tore, "una manita", ohne Gegentor. Oder eben 4:0 - plus Elfmeterschießen. Oder 6:1, 7:2, 8:3. Jedenfalls sehr hoch. Ein Gegenschlag, eine runde Revanche.

Luis Enrique kann wieder lachen

Im modernen Fußball der Besten sind solche Kantersiege eher selten und unwahrscheinlich geworden. Gerade in einem Rückspiel, wenn sich der Gast darauf einstellen kann, dass der Gegner nicht weniger als ein Wunder benötigt. Dennoch scheint es einige gute oder wenigstens verhandlungswürdige Argumente zu geben für eine "Remuntada".

Gegen Vigo wirkten die Katalanen zum ersten Mal in diesem Jahr richtig befreit. Die Versuchung ist groß, diese plötzliche Lösung aller Verkrampfung mit einem Vorfall in Verbindung zu bringen, der in der Vorwoche über den Verein kam. Da gab Luis Enrique, seit bald drei Jahren der Trainer Barças, überraschend früh bekannt, dass er am Ende Saison aufhören werde, weil er den Job so, wie er ihn ausübe, mit dieser ermüdenden Verausgabung, nicht länger versehen könne. Gegen Celta Vigo sah man Luis Enrique nach langer Zeit mal wieder lachen auf der Bank. Er sei schon sehr erleichtert, sagte er. Und es war, als habe er sein Team damit angesteckt.

Enrique ist zwar ein erfolgreicher Trainer, er gewann acht von zehn bisher möglichen Titeln. Doch geliebt wurde der trockene, asketische, gerne besserwisserische und schnell pikierte Asturier nie, weder vom Publikum, noch von der Mannschaft. Ganz zu schweigen von den Medien, denen er mit zunehmender Entnervung begegnete - zuletzt dauerten Pressekonferenzen nur noch zehn Minuten. Sein Barça hatte die Freude am eigenen Spiel verloren, als langweilte es sich daran. Die Verteidigung, einst Aufbauzentrale mit sicherem Passspiel, genügte oft nur noch den Ansprüchen eines besseren Provinzklubs. Das Mittelfeld, früher die Hegemoniezone Barças, büßte zusehends alle Automatismen ein.

Der Verein bastelt an einem neuen Vertrag für Messi

Wenn es jeweils trotzdem noch zum Siegen reichte, war es dem Zynismus geschuldet. Und natürlich: Lionel Messi, dem obersten Krisenmanager. Besonders glücklich sah auch der Argentinier nicht aus dabei, zuweilen schlurfte er wieder so lustlos übers Feld wie bei früheren Baissen, die dann schnell als Präludium für einen Epochenwechsel gedeutet wurden - und für eine Dämmerung von Messis Karriere.

Nun ist plötzlich wieder diese fröhliche, leichte Exaltiertheit aus seinen besten Zeiten zu spüren. Der Verein bastelt an einem neuen Vertrag, der Messi alle Flausen von einem oft kolportierten Weggang austreiben soll: Offenbar will man ihm ein Jahresgehalt von 35 Millionen Euro anbieten, netto. Denn Messi rennt wieder. Messi presst. Messi schießt Tore, 38 in 37 Spielen der laufenden Saison. Messi serviert Bälle. Messi, Messi, immer Messi. Und weil sein Sturmpartner Neymar junior auch im dritten Jahr in Barcelona noch immer sehr altruistisch aufgelegt ist, bleibt es vorne idyllisch. Mittelstürmer Luis Suárez war zuletzt nicht mehr ganz so erfolgreich wie früher schon. Doch auch diese mittlere Flaute könnte Ansporn sein, mal wieder etwas Wunderliches zu schaffen.

Begeistert ist man auch von der jüngsten Leistungssteigerung von Sergio Busquets. Gegen Vigo führte der lange, hagere Mittelfeldspieler mal wieder aufreizend sicher Regie und düpierte die Gegner mit seinen frechen Finten. Wie ehedem. Andrés Iniesta, bald 33 Jahre alt, saß dagegen zunächst wieder nur auf der Bank, wie meist seit seiner Verletzung. Wahrscheinlich wird er gegen PSG von Beginn an mitmachen. Er wird dann die Wege jenes jungen Mannes kreuzen, von dem es heißt, er werde ihn bald ersetzen: Der Italiener Marco Verratti von PSG sieht Iniesta an guten Tagen derart ähnlich, dass sich Barcelona um seine Dienste bemühen soll. Andere Versuche, die Nachfolge früh zu regeln, schlugen bisher fehl. Der Portugiese André Gomes etwa wird bereits für zu leicht befunden.

Messi und Neymar könnten Probleme bekommen

#remuntarem? Niemand zweifelt daran, dass dem "Tridente", dem Dreizack im Sturm, genügend Tore gelingen könnten, wenn nur hinten der Kasten dicht bliebe. Und das ist schon viel weniger sicher. Die Abwehr ist chronisch anfällig. Wenn sie früh gestört wird und auch unter Druck unbedingt gepflegt aufbauen will - eine Marotte aus Zeiten Pep Guardiolas -, dann droht oft Ballverlust. Torwart Marc-André ter Stegen mag viele an Manuel Neuer erinnern, doch dazu fehlt ihm noch eine Menge Sicherheit, mit dem Ball am Fuß.

Sollte Barça es tatsächlich schaffen, wäre eine Frage noch immer offen. Eine große, eine fürs eventuelle Finale. Das findet heuer in Cardiff statt, in Großbritannien. Und dort kann es sein, dass man zwei ziemlich zentrale Akteure Barcelonas, nämlich Messi und Neymar, gar nicht einreisen lassen würde, weil gegen sie in Spanien Gerichtsverfahren laufen. Es gibt einen Präzedenzfall aus dieser Saison: Serge Aurier, der Außenverteidiger von PSG, durfte in der Gruppenphase gegen den FC Arsenal nicht nach London reisen, weil er gerade einen Prozess am Hals hatte. Aber das war Aurier. Ohne Messi und Neymar bliebe Barça wohl nicht mal mehr das Hoffen und Glauben wider alle Vernunft.

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