US-Geschichte:Verkauf von Alaska: Russlands dümmster Deal

US-Geschichte: US-Karikaturisten zeichneten amerikanische Politiker auf der Suche nach Wählern im menschenleeren Alaska.

US-Karikaturisten zeichneten amerikanische Politiker auf der Suche nach Wählern im menschenleeren Alaska.

(Foto: Bridgeman Images/Getty Images)

Im Jahre 1867 verscherbelt das Zarenreich seine Kolonie Alaska für einen Schnäppchenpreis an die USA. Die Geschichte eines denkwürdigen Geschäfts, das in nur einer Nacht verhandelt wurde.

Von Reymer Klüver

Zeiten gab es in Amerika, und so lange sind sie gar nicht her, da wurden die Kandidaten für das höchste Amt im Staate tatsächlich geprüft, ob sie das Zeug für den Job haben. Die Charakterfrage wurde aufgeworfen, in Interviews mussten die Aspiranten unter Beweis stellen, dass sie über genug Wissen von der Welt verfügen, um die Nation zu führen.

Auch Sarah Palin ging es so, der ehemaligen Gouverneurin von Alaska und Kandidatin der Republikaner für den Vizepräsidentenposten 2008. Auf die Frage, welche Vorkenntnisse sie etwa im Umgang mit Russland besitze, antwortete die schnellsilbige Provinzpolitikerin aus Amerikas hohem Norden: "Sie sind die Nachbarn direkt vor unserer Haustür, von Land hier in Alaska kann man Russland wirklich sehen."

Viel außenpolitische Expertise offenbarte das Statement zwar nicht - weshalb es damals auch Furore machte. Richtig daran aber ist, dass sich Russland und die USA in der Beringstraße auf Sichtweite nahekommen; nur vier Kilometer trennen die Große (russisch) und die Kleine Diomedes-Insel (amerikanisch).

Und tatsächlich sind, zumindest historisch betrachtet, die Verbindungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland nirgends enger als im 49. Bundesstaat der USA: Denn Alaska war Russlands Vorposten in der Neuen Welt und gehörte mehr als ein Jahrhundert lang zum Zarenreich.

Vor 150 Jahren jedoch, genau am 30. März 1867, verkaufte Russland seine Kolonie auf dem amerikanischen Kontinent an die USA. 7,2 Millionen Dollar standen auf dem Scheck der US Treasury, des Finanzministeriums, nach heutigen Maßstäben gut 120 Millionen Dollar - zweifellos ein Schnäppchenpreis.

Es ist vier Uhr in der Früh, ein Samstagmorgen, als sich der US-Außenminister William Seward und der russische Gesandte Eduard von Stoeckl nach durchverhandelter Nacht im State Department auf den Preis für die Übergabe des Territoriums geeinigt haben.

7,2 Millionen Dollar

Mehr als ein Sechstel der Fläche der Vereinigten Staaten - circa 1,7 von 9,8 Millionen Quadratkilometern - wird vom nördlichsten Bundesstaat Alaska eingenommen. Es leben dort, in der größten Exklave der Welt, aber nur etwas mehr als 710 000 Einwohner (USA gesamt: etwa 323 Millionen). Heute sind Russland und die USA durch das Meer getrennt. Ohne den Verkauf von "Russisch-Amerika" an die USA 1867 für nur 7,2 Millionen US-Dollar hätten Russland (1917/1922 bis 1991 die Sowjetunion) und Kanada eine 2477 Kilometer lange Landgrenze; Russland besäße unweit der USA wohl Stützpunkte, Marinehäfen und vielleicht sogar Raketenbasen.

Die New York Times weiß damals zu berichten, dass die beiden schon fünf Stunden später im Weißen Haus vorstellig werden und dem Präsidenten den Vertrag vorlegen. Andrew Johnson unterschreibt am selben Morgen, und am frühen Nachmittag, exakt um halb drei, liegt das Abkommen bereits dem Senat im Kapitol zur Beratung vor. So ging das damals in Washington.

Die Küste Alaskas hatte ein gutes Jahrhundert zuvor der Däne Vitus Bering auf einer Expeditionsreise gesichtet und in groben Umrissen kartografisch erfasst. Nach ihm wurde denn auch die Meerenge zwischen Amerika und Asien benannt. Bering war im Auftrag des Zarenhofs in Sankt Petersburg unterwegs, und so fiel das neue Land nach seiner Entdeckung 1741 - und der Feststellung, dass es keine Landverbindung gab zwischen Asien und Amerika - an die russische Krone.

Die Reise von Sankt Petersburg nach Alaska dauerte ein halbes Jahr

Vier Jahre später trafen die ersten russischen Pelztierjäger in der Gegend ein. Allerdings beschränkten sie sich zunächst auf die Aleuten, die Inselkette, die sich von Alaska in Richtung asiatisches Festland erstreckt. 1783 gründeten dann die Pelzjäger ihre erste permanente Siedlung auf dem Festland, 1799 verlieh Zar Paul I. der Russisch-Amerikanischen Kompagnie, dem Zusammenschluss mehrerer Pelzjägergesellschaften, ein einträgliches Handelsmonopol für Alaska.

Der Boom währte nicht lang. Die Tiere, vor allem die begehrten Seeotter, wurden erbarmungslos gejagt und fast ausgerottet. Die Zahl der Pelzjäger sank rasch wieder, die der Siedler stieg aber nicht: Selbst in den allerbesten Zeiten dürften es kaum mehr als 800 gewesen sein. Pelzjäger waren es, Fallensteller - und Missionare, welche die Ureinwohner auf den Aleuten und auf dem Festland bekehren wollten (noch heute gibt es eine russisch-orthodoxe Diözese in Alaska, die fast 50 000 Gläubige zählt, vor allem unter den Inuit).

Die Fahrt in die ferne Kolonie war von Sankt Petersburg aus buchstäblich eine halbe Weltreise und dauerte mehr als ein halbes Jahr, egal ob um Kap Hoorn oder das Kap der Guten Hoffnung. Alles keine guten Voraussetzungen für den Erhalt der Kolonie.

Ende der 1850er-Jahre schwand in Sankt Petersburg das Interesse an dem fernen Besitz endgültig. Der Krimkrieg gegen Großbritannien, Frankreich und das Osmanische Reich war gerade verloren gegangen.

Der Konflikt hatte die strategische Verletzlichkeit Alaskas gezeigt: Verteidigen hätten die Russen das entlegene Territorium niemals können, hätte sich die maritime Supermacht Großbritannien damals zur Annexion der Kolonie entschlossen. Zudem brauchte Russland nach dem Krieg sehr dringend Geld. Mit dem Segen des Zaren boten seine Diplomaten Alaska 1859 diskret zum Verkauf an.

Die Briten winkten rasch ab, doch in Washington war man durchaus angetan. Damals gab es zwischen Washington und Sankt Petersburg etwas, wovon Donald Trump vielleicht träumen mag: eine Grundübereinstimmung in wichtigen strategischen Fragen. Und zu der zählte, dass man Großbritannien als Rivalen betrachtete.

Die Russen hatten deshalb ohnehin die USA lieber als Nachbarn in ihrem Fernen Osten als die Briten, die Herren in Kanada waren (die Machtkonstellation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, jene des Kalten Krieges, konnte man ja nicht ahnen). Expansionisten in Amerika wiederum schwebte eine durchgehende Küstenlinie im US-Besitz vor, von San Diego bis hinauf zum Polarkreis. Der Beginn des Bürgerkriegs in den Vereinigten Staaten 1861 beendete derlei Tagträumereien fürs Erste.

Nach dem Krieg leben sie dann wieder auf, und weil die Russen noch immer Geld brauchen, lässt Alexander II. 1866 erneut sondieren. Fünf Millionen Dollar setzt der Zar persönlich als Mindestgebot fest, doch sein Gesandter ist ein geschickter Verhandler. Stoeckl schraubt den Betrag erfolgreich auf sieben Millionen Dollar hoch. Noch in der letzten Nacht legt Außenminister Seward, ein glühender Expansionist, noch einmal 200 000 Dollar drauf, um den Deal endlich perfekt zu machen.

"Stell dich nicht dumm, Amerika, gib uns unser Land zurück!"

Gedankt haben es ihm die Amerikaner wenig. Im Gegenteil, sie machen sich über ihren umtriebigen Außenminister lustig. In der Presse kommt das Abkommen schlecht weg. "Sewards Eiskiste" nennen sie die Neuerwerbung oder schlicht "Sewards Dummheit" und geißeln die Millionenausgabe als Verschwendung von Steuergeldern, weil der wirtschaftliche Nutzen des riesigen Territoriums nicht so recht klar ist.

Von Erdöl ist zu der Zeit noch nirgends die Rede, von Goldvorkommen ahnt man auch nichts. Einzig als Stützpunkt für amerikanische Walfangschiffe scheint sich das Land zu eignen. Und eben als strategischer Brückenkopf.

Die New York Times unterstützt deshalb den Deal: "Es kann keinen vernünftigen Einwand gegen die Inbesitznahme des ausgedehnten Territoriums geben, das bisher unter dem Namen Russisch-Amerika geläufig ist", heißt es am 7. April 1867. So könne verhindert werden, dass Großbritannien die gesamte Pazifikküste nördlich der Vereinigten Staaten in Besitz nehme. Zwei Tage später stimmt der Senat dem Landkauf mit großer Mehrheit zu.

Artwork Based After The Signing of the Alaska Treaty of Cessation, March 30, 1867 by Emanuel Gottlieb Leutze

Schnäppchenjäger: US- Außenminister William H. Seward (sitzend, zweiter von links) und der russische Gesandte Baron Eduard von Stoeckl (stehend am Globus) 1867.

(Foto: Bettmann/Getty Images)

Am 18. Oktober 1867 dann holen die Russen in der Blockhüttensiedlung Sitka, dem bisherigen Hauptort ihrer Kolonie, die Flagge mit dem doppelköpfigen Adler des Zaren ein. Die Kanonen der amerikanischen Kriegsschiffe auf der Reede vor Sitka schießen donnernd Salut, und das Sternenbanner der Vereinigten Staaten steigt auf.

Das ist es aber auch erst einmal für Alaska. Die Einwohnerzahl Sitkas sinkt innerhalb weniger Jahre von 2500 auf ein paar Hundert. Das Leben ist doch etwas zu rau im hohen Norden. Erst der Klondike Goldrush von 1896 zieht Menschen in Scharen nach Alaska - 100 000 kommen. Allerdings landen sie überwiegend in Häfen an der Südostküste des Territoriums und ziehen in einem langen Treck nach Klondike - jenseits der Grenze in Kanada.

Das Öl macht den Hungerleiderstaat reich

So recht interessiert sich danach noch immer niemand für das Gebiet. Mal verwaltet es die Armee, mal das Finanzministerium oder die Marine. 1912 bekommt es den Status eines US-Territoriums, mit einem Abgeordneten im US-Kongress. Der strategische Wert des Landstrichs geht den Amerikanern im Zweiten Weltkrieg auf, als ihre Streitkräfte japanische Invasoren in blutigen Kämpfen von den Aleuten vertreiben. Nach 1945 beginnt der Kalte Krieg. Näher kommen die US-Streitkräfte den zu Erzfeinden mutierten Russen nicht als auf ihren Stützpunkten im hohen Norden.

Zu dieser Zeit gibt es erste ernsthafte Versuche, Alaska zum US-Bundesstaat zu machen. Doch erst als Mitte der Fünfzigerjahre große Ölfelder westlich von Anchorage entdeckt werden, nimmt die Sache Fahrt auf. Am 3. Januar 1959 wird das einstige Russisch-Amerika als 49. Staat offiziell in die USA aufgenommen - mit 1,7 Millionen Quadratkilometern Fläche der mit Abstand größte Staat und der am dünnsten besiedelte. Nicht mal eine Dreiviertelmillion Menschen leben heute in Alaska.

Anfangs hängt das Riesenland wie ein lästiger Wurmfortsatz an Festlandamerika. Washington muss den Neuzugang alimentieren. Doch die wilden Sechzigerjahre ändern auch in Alaska alles: 1968 wird am 70. Breitengrad, also noch 400 Kilometer nördlich des Polarkreises, Öl gefunden, und zwar so viel wie nirgendwo sonst in den USA.

Ein enormer Boom setzt ein, der den Hungerleiderstaat reich macht - und seine Bewohner dazu. Aus den Öleinnahmen des Bundesstaates finanziert sich ein inzwischen 55 Milliarden Dollar schwerer Ölfonds, der Permanent Fund, der jedem Bürger Alaskas seit 1976 Jahr für Jahr eine Dividende beschert: 2015 waren es mehr als 2000 Dollar. In dieser Hinsicht dürfte sich "Sewards Dummheit" gelohnt haben.

Vielleicht nicht zuletzt deswegen halten in Russland ein paar ewige Nationalisten den Verkauf Alaskas für eine Riesendummheit, aber nicht Sewards, versteht sich, sondern des Zaren - und würden ihn am liebsten rückgängig machen. Die Band Ljube landet 1991 einen Hit mit dem Lied "Stell dich nicht dumm, Amerika", in dem es heißt: "Russland und Alaska sind die Ufer ein und desselben Flusses. Gib uns unser teures Land zurück."

Die nationalistische Sängertruppe gilt als eine der Lieblingsbands Wladimir Putins. Der ist vor zwei Jahren in einer Fernsehpressekonferenz gefragt worden: "Gibt es Pläne, Alaska mit Russland wiederzuvereinigen?" So weit will es der starke Mann Russlands dann wohl doch nicht kommen lassen. "Nicht zu hitzig", hat er den Fragesteller zurechtgewiesen, "wozu brauchen Sie Alaska?"

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