Zweite Stammstrecke:Wohin mit zwei Millionen Tonnen Erde?

Zweite Stammstrecke: Bis wirklich die Tunnel gebohrt werden, vergehen wohl noch zwei Jahre. Bis dahin wird erst einmal fast nur gegraben.

Bis wirklich die Tunnel gebohrt werden, vergehen wohl noch zwei Jahre. Bis dahin wird erst einmal fast nur gegraben.

(Foto: Stephan Rumpf; Bearbeitung SZ)
  • An diesem Mittwoch feiern die Verantwortlichen den offiziellen Baubeginn des zweiten S-Bahn-Tunnels für München.
  • Die erste Stammstrecke verläuft nur wenige Meter unter der Oberfläche - sie musste damals in großen Teilen offen in riesigen Baugruben gebaut werden.
  • Bei der zweiten ist das anders. Sie liegt sehr tief und wird weitgehend in sogenannter bergmännischer Bauweise gebaut.
  • Trotzdem werden Anwohner und Geschäfte die Auswirkungen spüren: Irgendwo müssen die Bohrer ja unter die Erde, dazu soll es Rettungsschächte geben. Und Lkws müssen mehr als zwei Millionen Tonnen Aushub abtransportieren.

Von Andreas Schubert

Wenn es um Klagen gegen Großprojekte geht, dann sind die Richter des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gefragt. Und dann müssen sich die Juristen schon mal mit der Frage auseinandersetzen, wer denn den Anrainern einer Baustelle wann und wie die Fenster putzt, wenn sie durch aufgewirbelten Staub dreckig werden - und vor allem: wer den Putztrupp dann bezahlt. So geschah es jüngst bei der letzten Verhandlung zur Baustelle am Marienhof. Die Bahn verpflichtete sich, sich ums Fensterputzen zu kümmern.

Natürlich ist sie als Bauherr nicht scharf auf solche Konflikte, kostet ja jedes Mal was. Da hilft es durchaus, dass die zweite Stammstrecke - anders als die erste Ende der Sechzigerjahre - weitgehend in bergmännischer Bauweise unter der Erde erstellt wird. In rund 40 Metern Tiefe wird der Tunnel gegraben, und die Bahn verspricht, dass die Münchner an der Oberfläche nicht allzu viel davon mitbekommen werden. Besorgte Anwohner sehen das anders und fürchten gar um die Stabilität ihrer Häuser und um die Frauenkirche. Kein Grund zur Sorge, sagt dazu die Projektleitung, selbst die Besitzer tiefer Keller hätten nichts zu befürchten.

Info

Fast vier Milliarden Euro Baukosten, neun Jahre Bauzeit: Die zweite S-Bahn-Stammstrecke soll München vor dem Verkehrskollaps bewahren. Einen Überblick über das größte Bauprojekt der Stadt finden Sie hier.

Bergmännische Bauweise - das bedeutet, dass die beiden sieben Kilometer langen Röhren jeweils mit dem sogenannten Schildvortrieb erstellt werden. Weil es zwei separate Röhren sind, kommen insgesamt vier riesige Tunnelvortriebsmaschinen zum Einsatz, der Durchmesser ihrer Schilde beträgt 8,40 Meter. Das Gestein, durch das sich die Maschinen fräsen, wird über Pumpen und Förderbänder aus dem Tunnel transportiert. Die Tunnelwand stabilisieren die Arbeiter mit Stahlmatten und Spritzbeton, so entsteht die Außenschale des Tunnels. Alle 1,8 Meter wird dann ein sogenannter Tübbing eingesetzt, ein tonnenschwerer Betonring, der die Tunnelröhre von innen auskleidet und vor Grundwasser sichert. Der Innendurchmesser dieser Betonringe beträgt 7,50 Meter - das ist die endgültige, sichtbare Röhre.

Die Arbeiter legen gleichzeitig von beiden Tunnelportalen aus los. Im Westen graben sie sich circa 300 Meter westlich der Donnersbergerbrücke in die Erde, im Osten in der Nähe des Haidenauplatzes. Etwa 40 Meter tief liegt die neue Röhre, weil sie die bestehenden S-Bahn- und U-Bahntunnel unterqueren muss. Zum Vergleich: Am Hauptbahnhof verläuft die erste Stammstrecke in 14 Metern Tiefe, die U-Bahnlinien U 4 und U 5 in 22 Metern und die U 1 und U 2 in 28 Metern. Unter diesen buddeln sich die Arbeiter durch und erstellen auch die unterirdische S-Bahnstation am Hauptbahnhof in bergmännischer Bauweise. Überwiegend, denn drei Startschächte von der Oberfläche aus sind nötig.

Am Marienhof werden die Folgen mit am stärksten zu spüren sein

Trotz allen unterirdischen Werkelns wird es oben eine Menge Beeinträchtigungen für die Münchner geben. Komplett offen gegraben wird am Marienhof und am Orleansplatz, was die Anlieger so gar nicht freut. Hier entstehen riesige Baugruben, die mit 4,50 Meter hohen Lärmschutzwällen umgeben werden. Schön ist das nicht für die umliegenden Geschäfte und die Gastronomie. Auch der Baustellenverkehr, den es beim Ausheben der Gruben geben wird, beeinträchtigt die Anwohner.

Schon jetzt, bei den Vorarbeiten, bei denen Leitungen neu verlegt werden, ist am Marienhof zu beobachten, wie sich Lastwagen und Passanten in die Quere kommen. Die Lkw fahren über den Hofgraben zur Maximilianstraße, sperrige Bauteile werden über die Maffeistraße transportiert. In der schmutzigen Phase der Arbeiten wird voraussichtlich alle fünf bis zehn Minuten ein mit Schutt beladener Lastwagen abfahren. In Haidhausen wird der Abraum über die Orleans- und Einsteinstraße bewegt. Am Hauptbahnhof über die Arnulfstraße.

Gebohrt wird erst 2019 - bis dahin erst einmal nur Platz gemacht

Mehr als zwei Millionen Tonnen Aushub, Bauschutt und Schotter müssen für den Bau insgesamt ab- und antransportiert werden. Der größte Teil der Transporte wird über die beiden Tunnelportale westlich der Donnersbergerbrücke und südwestlich des Bahnhofs Leuchtenbergring erfolgen. Hier wird teilweise auch Material zwischengelagert. Weitere Baustellen mit größerem Materialtransport befinden sich am Bahnhof Laim, an den offenen Baugruben Hauptbahnhof, Marienhof und Ostbahnhof sowie an der Praterinsel im Bereich der Maximiliansanlagen.

Der Zeitplan sieht vor, dass die Tunnelbohrer 2019 loslegen. Bis 2021 werden die Gruben für die drei Bahnhöfe ausgehoben sowie der Tunnel. Von 2020 an entstehen dann mehrere Rettungsschächte, was ebenso das Stadtbild an einigen Stellen beeinträchtigen wird. "2023 ist das Schlimmste überstanden", sagt Projektleiter Markus Kretschmer. Der gebürtige Münchner hat auch in Doha, der Hauptstadt des Wüstenstaats Katar, den Bau einer U-Bahn geleitet. Für ihn ist es, wie er sagt, "eine Ehre", in seiner Heimatstadt ein solches Großprojekt zu leiten.

In der letzten Phase findet dann der Innenausbau der Bahnhöfe und des Tunnels statt. Drei Jahre sind dafür vorgesehen, von 2026 sollen die ersten Züge durch die neue Strecke rollen - im fünften Tiefgeschoss des Münchner Untergrunds.

Vom 5. April an wird neun Jahre lang an der zweiten Stammstrecke durch München gebaut. Warum dauert es so lang? Und wie verändert sich die Stadt? Lesen Sie dazu:

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