Guru-Anhängerin Nena:Oma in Extase

Klingeltöne aus der Kindheit: Wie die Sängerin Susanne Gabriele Kerner, 49, genannt Nena, von ihrer Erleuchtung durch den Bhagwan erzählt.

Martin Zips

In Sachen Älterwerden sind das wirklich verdammt harte Tage. Bruce Springsteen ist gerade 60 geworden, Leonard Cohen 75. Für die Jüngeren: Das sind Liedermacher, von denen jeder Berufsanfänger heute im Bewerbungsgespräch mindestens drei Songs auswendig vortragen können sollte, weil das bei Chefs unfassbar gut ankommt. In der kommenden Woche werden Brigitte Bardot (war mal Sexsymbol) und Udo Jürgens ("war noch niemals in New York") ebenfalls 75. Nena ("Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann") wird demnächst Großmutter. Und bald ist sie 50 Jahre alt. Außerdem ist Nena neuerdings Sanyasi. Sanyasi?

Nenas Musikagentur meldet sich. Die Künstlerin bringe gerade eine neue CD heraus. Ob man sie nicht einmal treffen möchte. Nena, das war die Zeit der ersten Liebe! Petting statt Pershing, Helmut Kohl, Herbert Wehner, Bhagwan-Disco, Katholikentag, Falkland-Krieg, Sammelbestellung bei Greenpeace, Jute statt Plastik, Hey there people, I'm Bobby Brown.

Im Partykeller der Zahnarzttöchter lief "99 Luftballons", dargeboten von Susanne Gabriele Kerner, 22, genannt Nena, Lehrerstochter aus Breckerfeld bei Hagen. Ein Riesenhit, auch in den USA, England, Australien, Japan. Besser als vieles, was einem heutzutage beispielsweise als Klingelton die Ohren zumüllt. Nena war Anfang der 80er Jahre das, was Tokio Hotel heute sind. Und es ist immer nett, Freunde von früher zu treffen.

"Was willst du von mir?"

München-Bogenhausen, zweiter Stock eines sehr schön sanierten Altbaus, das Büro von Nenas PR-Agentur. Die Sängerin, Mutter von vier Kindern - ihr Lebenspartner ist zwölf Jahre jünger als sie - sitzt in der Küche. Schwarze Haare, grauer Rock, dezent geschminkt. Auf der Straße hätte man sie nicht erkannt. Nur ihre Stimme, die ist immer noch genau so klar wie Anfang der 80er. Ein bisschen schnippisch, ein bisschen traurig. 45 Minuten Zeit. Das ist nicht viel.

Und? Wie geht es den Kindern? Wie sind die so drauf? Haben die eine Seite bei Facebook? Oder 5000 Songs auf dem iPod? Nena: "Also ich wollt jetzt nicht so gerne mit dir über meine Kinder sprechen, ehrlich gesagt. Nee, also gar nicht."

Und wie ist das, nach vier Jahren wieder ein Album mit eigenen Songs herauszubringen? "Nee, also ich merk das schon. Mit Musik hast du nicht allzu viel zu tun. Mein letztes Album war ein Doppel-Platin. Was willst du von mir?"

Klassentreffen können manchmal recht zäh sein. Alle, auch man selbst, sind so unglaublich alt und störrisch geworden.

Noch ein Versuch: Die Welt hat sich ziemlich verändert in den vergangenen 25 Jahren, was? "Haha. Das scheint dich ja zu beschäftigen. Das ist ganz offensichtlich. Also, mich beschäftigt das auch. Aber ich geh da mit. Letztens bin ich mit einem modernen Auto gefahren, das hatte überhaupt keinen Schlüssel. So what? Ich hab damit kein Problem."

Einzige Überlebende der NDW

In den Geschichten, die in den vergangenen Jahren über Nena zu lesen waren, wurde die Sängerin als "einzige Überlebende der Neuen Deutschen Welle gefeiert", als "größter weiblicher Popstar, den Deutschland hervorgebracht hat", als "Mutter der Nation". Ein bisschen gehässig klang das manchmal. Auch wurde erzählt, wie Nena früher vor der Plattenspielertruhe ihres Vaters Black Sabbath hörte, eine Goldschmiedelehre machte und dass sie heute noch gerne Rohkost isst.

An ihre Erfolge aus der "Gib' Gas, ich will Spaß"-Zeit Anfang der 80er, so heißt es immer wieder, habe sie nie anknüpfen können. Als Moderatorin eines TV-Jugendmagazins wurde sie bald abgesetzt, als Schauspielerin schaffte sie es bis zur "Jedermann"-Buhlschaft auf einer Züricher Open-Air-Bühne, vor einigen Jahren spielte sie im Vorprogramm von Pur. Zusammenfassend könnte man sagen: Im Gespräch mit Vorgesetzten sollte man Nena besser nicht erwähnen. Auch wegen ihrer Gesamtschule, die vor zwei Jahren in Hamburg eröffnet hat und deren pädagogisches Konzept, nunja, umstritten ist.

Auf ihrer neuen Platte "Made in Germany" klingt alles sehr vertraut. In den Texten geht es um Altbewährtes wie Liebe, Abhängigkeit, Schmerz. Ein Lied beschäftigt sich mit hyperaktiven Kindern. Oft lappt es ins Esoterische: "Ich glaub, du bist mein Engel / Ich leih mir deine Flügel".

Nena: "In dem Moment, wo ich schreibe, denke ich nicht. Erst später wird mir vieles klar." Noch esoterischer ist das neue Video: Da hüpfen sich Dutzende Menschen aus Nenas Bekanntenkreis in orangenen Kitteln vor einer Feuerkugel in Ekstase. Das erinnert nicht zufällig an die Bhagwan-Sekte. In den 70ern folgten hier viele junge Frauen und Männer, die Sanyasin eben, den Lehren ihres Guru.

Fast 20 Jahre nach dem Tod des luxusliebenden Sektenführers Bhagwan alias Osho überrascht Nena jetzt mit dem Satz: "Ich bin ein Osho-Fan. Vor zwei, drei Jahren hab ich ihn für mich entdeckt. Ich lese sehr gerne seine Bücher und finde mich dort wieder." Was für eine bizarre Wendung des Gesprächs! Sofort erinnert man sich an alte Berichte über den Guru, der selbst die paar Meter von seinem Haus zum abendlichen Vortrag vor seinen Anhängern im Rolls-Royce zurücklegte, die freie Liebe predigte oder Frauen anwies, sich sterilisieren zu lassen. Ansonsten recycelte Osho vor allem allgemeine Weisheiten: Konsumverzicht, Leben im Hier und Jetzt.

"Ich bin zugeballert"

In der Bogenhausener Altbauküche sprudelt die Erleuchtung plötzlich nur so aus Nena heraus: "Ich bin komplett liberal, das war Osho auch", sagt sie. "Es kommt ja drauf an, was man selber draus macht. Ich sehe das sehr, sehr ernsthaft. Lies den doch mal. Ich will dir den auch nicht anpreisen oder so, aber mir tut das gut. Zum Beispiel meditiere ich dynamisch, also körperlich, um mich zu entgiften. Wir treffen uns mit Leuten und meditieren gemeinsam. Wir sitzen nicht auf dem Boden, denn dafür bin ich zugeballert mit zu viel Informationen. Ich habe es auch mit Transzendentaler Meditation versucht, ich kann es nicht. Osho hatte eine Antwort für mich: die Dynamische Meditation. Da bist du eine Stunde voll körperlich dabei und bist dir anschließend auch echt begegnet." Die Sängerin doziert. Wie schnell sind da 45 Minuten um.

Bei der anschließenden Internet-Recherche lässt sich das Thema "Dynamische Meditation" vertiefen: "Konzentriere dich auf verstärktes stoßweises Ausatmen", steht da. "Jetzt lass alles los! Explodiere! Sei total verrückt: schreie, weine, lache, tritt zu, schleudere dich umher. Springe mit erhobenen Armen hoch und nieder. Rufe bei jeder Landung laut "Hu, Hu, Hu".

Eigentlich ist es ganz lustig mit Nena. "Auf der Straße werde ich nur noch manchmal erkannt", sagt sie zum Abschied in der Altbauküche. "Meine Stimme aber scheint für viele Menschen wie ein Handy-Klingelton zu sein, der ihnen ganz vertraut ist." Ist das nicht Poesie?

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