Verlage in Großbritannien:Der "Guardian" erwägt Wegzug aus London

General View Of The Offices Of The Guardian And The Observer Newspapers

Der Sitz der Redaktion des "Guardian" liegt in der Nähe von King's Cross in London und ist zu einem kulturellen Zentrum geworden.

(Foto: Getty Images)

Publizistisch ist das Londoner Blatt sehr erfolgreich, dennoch schreibt es hohe Verluste. Jetzt steht sogar ein Umzug an den Gründungsort Manchester zur Debatte, um Geld zu sparen.

Von Christian Zaschke, London

An den Büros des Guardian am Londoner York Way ist wirklich nichts auszusetzen. Sie sind modern, durchflutet von Licht und liegen nur 150 Meter vom Bahnhof King's Cross entfernt. In dem Gebäude finden Konzerte und Ausstellungen statt, es ist ein kulturelles Zentrum in einer einstmals rauen Gegend, die sich gemacht hat. Vollkommen angemessen für eine Publikation, die zu den erfolgreichsten der Welt gehört. Zumindest was Qualität, Reichweite und die Zahl der Leser angeht.

Finanziell ist der Guardian alles andere als erfolgreich, er schreibt seit Jahren horrende Verluste. Deshalb könnte es sein, dass er die schönen Büros am York Way aufgibt und in eine günstigere Gegend zieht. Ein Sprecher sagte der SZ am Donnerstag, man prüfe alle Kosten, auch die für die Büros. Die Mieten in London sind notorisch hoch, und rund um King's Cross sind sie zuletzt besonders stark gestiegen. Die Londoner Times berichtete in dieser Woche, dass man beim Guardian "aktiv überlegt nach Manchester oder Salford zu ziehen". Dazu teilt der Guardian mit, man prüfe alle Optionen. Das könne dazu führen, dass man am York Way bleibe, das könne aber auch einen Umzug bedeuten, innerhalb Londons oder in eine andere Stadt. Aus London wegzuziehen wäre ein spektakulärer Schritt für ein Blatt, das sich in den vergangenen Jahren als internationale Größe etabliert und massiv in den USA und in Australien investiert hat. London zu verlassen wäre ein Zeichen.

Eine Stiftung sollte das Blatt für alle Ewigkeit retten. Es könnte eine kurze Ewigkeit werden

Für den Guardian wäre es allerdings auch ein Schritt zurück zu den Wurzeln. Im Norden Englands wurde das Blatt 1821 als "Manchester Guardian" gegründet. Erst in den 1960er-Jahren änderte es seinen Namen und zog nach London. 2008 folgte der Umzug an den York Way. Dort erlebte der Guardian die publizistisch erfolgreichste Phase seiner langen Geschichte, aber auch die finanziell schwierigste.

Besonderes Aufsehen erregte die Zeitung mit ihrer Berichterstattung über die Enthüllungen des ehemaligen amerikanischen Geheimdienst-Mitarbeiters Edward Snowden, für die sie 2014 in den USA mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Die Website des Guardian wird monatlich von mehr als 150 Millionen Menschen besucht. Doch von den 150 Millionen Lesern sind lediglich 180 000 zahlende Nutzer, Print und Online zusammengenommen.

Im vergangenen Geschäftsjahr machte der Guardian im operativen Geschäft 68,7 Millionen Pfund Verlust, rund 80 Millionen Euro. Dazu kamen Abschreibungen, weshalb sich der gesamte Verlust auf mehr als 170 Millionen Pfund belief. Für das laufende Geschäftsjahr hatte der Guardian im Februar eine Warnung herausgegeben. Der erwartete Verlust: 90 Millionen Pfund.

Eine Paywall für die Webseite? Auf keinen Fall!

Nun heißt es intern, man werde wohl etwas glimpflicher davonkommen. Dass es das Blatt trotzdem noch gibt, liegt daran, dass es von einer Stiftung finanziert wird, dem Scott Trust. Diesen haben die früheren Besitzer eingerichtet, um die Zeitung "bis in alle Ewigkeit" zu finanzieren. Bei den aktuellen Verlusten könnte das eine kurze Ewigkeit werden. Derzeit beträgt das Vermögen der Stiftung noch gut 750 Millionen Pfund.

Doch es sinkt. Die finanziellen Probleme der Zeitung hängen in erster Linie damit zusammen, dass der ehemalige Chefredakteur Alan Rusbridger eine Strategie der Expansion verfolgte. Das bedeutete zum einen, dass er auf keinen Fall eine Paywall für die Website wollte - alle Leser, die digital bezahlen, tun das freiwillig. Und zum anderen, dass er reichlich Personal anheuerte. Jahr für Jahr machte der Guardian riesige Verluste, die Jahr für Jahr vom Scott Trust ausgeglichen wurden. Rusbridger sah das als eine Investition in die Zukunft. Sein Kalkül war, dass sich in wenigen Jahren die Anzeigenkunden im Internet auf die ganz wenigen Seiten konzentrieren, die groß sind und global genutzt werden. Im Grundsatz lag er damit nicht falsch, doch gehen die Anzeigen nun zu den wirklich großen Websites, zu Google und zu Facebook. Das spüren auch andere globale Blätter wie die New York Times , die jedoch so viele zahlende Digital-Kunden gewonnen hat, dass sie im vergangenen Geschäftsjahr gut 100 Millionen Dollar Gewinn machte. Beim Guardian sinken die Erlöse, und die Kosten bleiben hoch.

250 Stellen hat die neue Chefredakteurin bereits abgebaut

Seit 2015 ist Katharine Viner Chefredakteurin des Guardian und versucht, den Kurs zu ändern. Sie will sparen, damit der herausragende Journalismus des Guardian eine Zukunft hat. 250 Stellen hat sie abgebaut, die Kosten sollen um 20 Prozent sinken. Zudem denkt sie darüber nach, das Format der Zeitung zu verkleinern und die hauseigene Druckerei aufzugeben.

Ein Umzug nach Manchester würde langfristig enorme Mietkosten sparen. Zudem wäre man dort nicht allein. In der sogenannten Media City in Salford bei Manchester sind 3000 Mitarbeiter der BBC sowie 750 des Senders ITV stationiert. Channel 4 wird voraussichtlich auch dorthin umziehen. Es wird erwartet, dass sich die Zahl der Medienschaffenden in Salford in den kommenden zehn Jahren verdoppelt. Mit dem Umzug des Guardian allein wäre diese Prognose noch nicht erfüllt: Das Blatt beschäftigt derzeit rund 1500 Mitarbeiter.

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