Triebfeder Habgier:Das Unglück der anderen

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Der Verdächtige wollte offenbar einen Kurssturz der BVB-Aktie herbeiführen, um so an der Börse einen großen Gewinn erzielen zu können.

Von Alexander Hagelüken

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg (Foto: DIV)

Ist "das Geld" gut oder böse? In seinem gleichnamigen Roman über einen Spekulanten beantwortet Émile Zola diese Frage nicht eindeutig. Der französische Autor beschreibt das Geld Ende des 19. Jahrhunderts als janusköpfig: "Alles Gute entsteht aus ihm, obwohl alles Übel von ihm kommt." Anfang des 21. Jahrhunderts, präzise gesagt, vergangene Woche, hat jemand die Frage auf eine neue Spitze getrieben. Den Anschlag auf den Bus der Fußballer von Borussia Dortmund soll ein 28-Jähriger verübt haben - nur, um mit Finanzgeschäften Geld zu verdienen.

Die Aktie des BVB erlebte am 11. April einen ereignislosen Tag. Der Haupthandel an der Börse endete bei einem Kurs von 5,61 Euro. Zwei Stunden später kamen die ersten Meldungen vom Attentat auf das BVB-Team, das viele Menschen hätte töten können. Erhärten sich die Vorwürfe, war genau dies das Kalkül: Schwere Verletzungen oder der Tod von Spielern hätten den BVB-Kurs abstürzen lassen, der von Top-Platzierungen in der Bundesliga und der Champions League abhängt.

Wie funktioniert eine solche Spekulation? Der Verdächtige kaufte vor dem Anschlag 15 000 Verkaufs-Optionen. Diese Papiere geben dem Besitzer das Recht, eine Aktie wie die des BVB zum festgelegten Preis zu verkaufen. Etwa zu 5,20 Euro. Solange der Kurs bei 5,61 verharrt, ist die Option wenig wert - was bringt es, eine Aktie zu weniger verkaufen zu dürfen, als sie an der Börse notiert? Fällt die Aktie aber wegen mehrerer Todesopfer etwa um zwei Euro auf einen Kurs von 3,61 Euro, wird die Option plötzlich sehr viel wert. Denn der Verkäufer kann ja die Aktien, die er jetzt günstig für 3,61 Euro bekommt, für die festgelegten 5,20 abstoßen - ein satter Gewinn.

In der Realität kauft und verkauft der Spekulant gar keine Aktien. Sondern die Optionen, die im Wert rasant gestiegen sind. Eine Rechnung mit einer tatsächlich existierenden BVB-Option zum festgelegten Preis von 5,20 zeigt die Möglichkeiten: Für seine 15 000 Stück hätte der Verdächtige 3000 Euro bezahlt und nach einem Kursrutsch auf 3,61 dann 30 000 Euro kassiert. Das wäre eine Verzehnfachung seines Einsatzes binnen Tagen.

Bei Finanzprodukten wie Optionen winken viel höhere Gewinne, als wenn ein Anleger mit regulären Aktien handelt. Nur weil das Attentat sein Ziel verfehlte und niemand starb, also der Kurs nicht fiel, scheiterte das teuflische Kalkül.

Ein Attentat zu begehen, um Gewinne zu machen, das ist ein Novum

Weil nicht offiziell bekannt ist, mit welchen Verkaufsoptionen der Verdächtige genau jonglierte, kursieren unterschiedliche Zahlen über seinen möglichen Gewinn. Aus Ermittlerkreisen heißt es, er habe einen Kredit über etwa 40 000 Euro aufgenommen, um zu spekulieren. Der von Medien kolportierte Maximalgewinn von vier Millionen Euro ist mit den meisten gängigen Produkten damit kaum zu erreichen.

Es seien eher private Anleger, die Optionen kauften, sagt der Börsenkenner Max Otte. Profiinvestoren dagegen nutzten lieber sogenannte Leerverkäufe, so der Professor für Betriebswirtschaft. Dabei sind die Gewinne noch höher und die Absichten leichter verschleierbar. Indem er Optionen wählte, machte der Verdächtige deshalb eher auf sich aufmerksam.

Es kommt häufiger vor, dass Gewinne an der Börse illegal angestrebt werden. Bei Émile Zola gaukelt der Spekulant Geschäfte im Mittleren Osten vor. Und in der Realität fliegt alle paar Jahre ein Netzwerk von Insidern auf, die geheime Informationen nutzen - wie viele nicht auffliegen, weiß niemand. Ein Attentat zu begehen, um Gewinne zu machen, ist allerdings ein Novum. Jedenfalls, wenn die amerikanische Börsenaufsicht richtig ermittelt hat.

Nachdem Terroristen 2001 Flugzeuge in die New Yorker Twin Towers gesteuert hatten, hielt sich länger die Vermutung, Osama bin Laden habe sein Wissen genutzt, um sich an der Börse zu bereichern. Auffällig war, dass vor den Attentaten deutlich mehr Verkaufsoptionen etwa auf die Aktie der Fluglinie American Airlines gehandelt wurden. Drei Jahre später erklärte die Börsenaufsicht allerdings, es gebe keine Belege für solche Geschäfte.

Eine andere Frage ist, ob Finanzprodukte mit riesigen Gewinnaussichten bei kleinem Einsatz zu kriminellen Taten verführen - und ob sie überhaupt einen annehmbaren ökonomischen Zweck erfüllen. Klar ist, dass Verkaufsoptionen etwa Landwirte oder Unternehmen gegen Risiken absichern. Wenn ein Bauer seine Kartoffeln vorab zu einer festgelegten Summe verkauft, gerät er nicht in Existenznot, wenn nach der Ernte die Marktpreise zufällig gerade im Keller sind.

Börsenexperte Otte plädiert trotzdem für ein Verbot vieler Finanzprodukte. Er argumentiert, nur jene sollen Verkaufsoptionen haben, die das zugrunde liegende Produkt halten, etwa um sich abzusichern - wie Bauern mit ihren Kartoffeln oder Autokonzerne mit ihren Autos. Das nackte Wetten auf das Auf und Ab von Kursen mit Riesengewinnen dagegen hält Otte, der die Finanzkrise von 2008 voraussagte, für gefährlich: "Solche Produkte verleiten die Leute zum Zocken. Und für Geld machen manche Menschen fast alles."

Die Vorgänge von Dortmund legen nahe: Da könnte was dran sein. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sagt nachdenklich: "Die Situation als einziger börsennotierter Fußball-Klub hat uns vielleicht zu einem besonderen Ziel gemacht." Zwar könnten auch Klubs ohne Aktien zur Zielscheibe werden, etwa von Erpressungen. "Dennoch werden wir uns in den nächsten Wochen auch beraten, ob wir auch Restriktionen im Bereich des Handels unserer Aktien oder von anderen Papieren rund um unsere Aktie einführen müssen."

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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