Zum Tod von Ueli Steck:"Scheitern heißt für mich, wenn ich sterbe"

Er war einer der besten Alpinisten der Welt, er wusste um die Risiken seines Sports, nun ist der Schweizer Ueli Steck bei einer Expedition im Himalaja tödlich verunglückt.

Nachruf von Titus Arnu

Auf dem letzten Foto, das Ueli Steck auf Facebook postete, sieht er aus, als würde er zum Joggen gehen: Laufhose, leichte Jacke, Trailrunning-Schuhe. Er rannte so aber nicht im Park herum, sondern im Himalaja, auf 7000 Metern, zwischen Eisblöcken und Felsen. Während sich andere in solchen Höhen mit Steigeisen, Seil und Eispickel nach oben kämpfen, hatte Steck nur zwei Stöcke und einen Rucksack dabei, mit ein paar Energieriegeln und etwas Tee.

Mal eben vom Basislager in 5365 Meter Höhe auf 7000 Meter hochrennen und zurück, das war typisch für den Schweizer Ausnahme-Bergsteiger. "Aktive Akklimatisierung" nannte Steck diese Trainingsmethode. Während andere Höhenbergsteiger an Sieben- und Achttausendern langsam aufsteigen, eine Nacht in einem höheren Camp verbringen und dann wieder ins Basecamp absteigen, um den Körper an die Höhe zu gewöhnen, übersprang Steck gerne mehrere Schritte. Er war oft alleine unterwegs, ohne Seil und Kletterpartner, auch in extrem schwierigem Gelände.

Die wahrscheinlichste Erklärung für den Unfall

"Scheitern heißt für mich, wenn ich sterbe und nicht heimkomme," sagte Steck in seinem letzten Interview mit dem Tagesanzeiger. Nun ist er gescheitert: Bei einem Akklimatisierungs-Aufstieg am Nuptse, einem 7800 Meter hohen Berg unweit des Mount Everest, stürzte er am Sonntag rund 1000 Meter tief ab. "Das Wetter war gut, die Sonne schien, aber es gab viel blankes Eis und Schnee", sagte Mingma Sherpa von der nepalesischen Firma "Seven Summit Treks", die Stecks Expedition organisierte. Die wahrscheinlichste Erklärung für den Unfall sei, dass Steck an einer eisigen Stelle ausrutschte und abstürzte.

Sein Ziel war sehr ambitioniert: Er wollte zusammen mit dem nepalesischen Bergsteiger Tenji Sherpa über die Westschulter des Mount Everest auf den höchsten Gipfel der Welt klettern, von dort zum 8000 Meter hohen Südsattel absteigen, dann auf den 8511 Meter hohen Lhotse - und zurück ins Basecamp. Das hat noch nie jemand geschafft.

Mit 18 Jahren bezwang er die Eiger-Nordwand

Steck war einer der besten Alpinisten der Welt. Geboren 1976 im Schweizer Emmental, war er schon mit zwölf Jahren ein begeisterter Bergsteiger. Mit 18 bezwang der gelernte Zimmermann die Eiger-Nordwand und später einige der anspruchsvollsten Berge der Welt, meist ohne Flaschensauerstoff oder Fixseile. Für die Solo-Durchsteigung der Annapurna-Südwand wurde er mit dem "Bergsteiger-Oscar" Piolet d'Or ausgezeichnet. Diese Leistung war in Fachkreisen allerdings umstritten, weil Steck kein Gipfelfoto und kein GPS-Tracking der Route vorweisen konnte. 2013 machte Steck Schlagzeilen, als er und zwei andere Bergsteiger sich am Mount Everest mit wütenden einheimischen Bergführern prügelten.

Steck trieb eine neue Art des Bergsteigens voran, es ging ihm um Tempo und Effizienz. Während die Erstbesteiger der Eiger-Nordwand drei Tage brauchten, schaffte er die Heckmair-Route 2015 in zwei Stunden und 22 Minuten. Er war aber bestimmt kein waghalsiger Abenteurer, der leichtfertig mit dem Leben spielte. "Ich bin ein Alpinist, der öfters sehr anspruchsvolle Dinge unternimmt, aber ich bin nicht lebensmüde", sagte er der SZ im vergangenen Sommer, nachdem er alle 82 Viertausender der Alpen in nur 62 Tagen bewältigt hatte, die Strecken zwischen den Bergen hatte er mit dem Fahrrad, zu Fuß und mit dem Gleitschirm zurückgelegt. Für diese Rekordleistungen bekam er viel Anerkennung, aber auch Kritik: "Er ist vielleicht der schnellste Bergsteiger, aber meiner Meinung nach nicht der beste", sagte Kurt Diemberger, Erstbesteiger der Achttausender Dhaulagiri und Broad Peak, der SZ, "weil er das, worum es mir beim Bergsteigen geht, auf eine Rennbahn reduziert." Vor der Abreise nach Nepal hatte Steck gesagt, die Überschreitung sei zwar eine "sportliche Challenge", aber keine "Harakiri-Aktion". Er bereitete sich mit fast unmenschlich wirkender Disziplin vor. Sein Spitzname lautete: "The Swiss Machine". Die Schweizer Maschine.

In der Schweiz herrscht seit der Todesnachricht beinahe Nationaltrauer

Stecks Tod erschüttert die Szene. "Das ist ein großer Verlust für den Alpinismus weltweit", sagte sein Kletterpartner Tenji Sherpa, der bei der Trainingstour am Nuptse wegen Erfrierungen an seiner Hand nicht teilnahm. Der amerikanische Bergsteiger Steve House bezeichnete ihn als "Giganten seiner Disziplin". In der Schweiz herrscht seit der Todesnachricht beinahe Nationaltrauer. Der Sportminister würdigte ihn als "großen Schweizer Sportler". In den Fußballstadien wurde am Sonntag eine Trauerminute abgehalten.

Wie die meisten Spitzen-Alpinisten dachte Steck rational über die Risiken nach. Dass eine Expedition trotz bester Vorbereitung schief gehen kann, das kalkulierte er ein, damit muss nun auch seine Frau leben. "Wenn ich mich nicht rechtzeitig selbst aus diesem Spiel herausnehme, werde ich eher früher als später sterben," sagte er vor seiner ersten Everest-Besteigung. "Immerhin bin ich schon zu alt, um zu jung zu sterben", witzelte er ein anderes Mal. Er wurde nur 40 Jahre alt.

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