Wissenschaftspolitik:Weltweit beachtete Studie nach Täuschungsverdacht zurückgezogen

Wissenschaftspolitik: Wie schädlich ist Mikroplastik für Fische wirklich?

Wie schädlich ist Mikroplastik für Fische wirklich?

(Foto: AFP)

Fische sterben durch Mikroplastik im Meer, berichteten Forscher unlängst. Doch die Studie hat erhebliche Mängel. Der Skandal zeigt einmal mehr, dass Vertrauen alleine in der Wissenschaft nicht mehr ausreicht.

Von Hanno Charisius

Die Wissenschaft hat schon so lange mit Lug und Trug zu kämpfen, dass bereits 1830 das englische Nahezu-Universalgenie Charles Babbage (Ökonom, Philosoph, Rechenmaschinenkonstrukteur) ihren Niedergang beklagte. Er unterschied mehrere Klassen wissenschaftlichen Fehlverhaltens: das plumpe Erfinden von Beobachtungen, das Hinzudichten von Details, das Trimmen von Resultaten, damit sie den Erwartungen entsprechen, oder geschönte Messreihen durch Weglassen unpassender Daten.

In welche Kategorie das Machwerk der Ökologen Oona Lönnstedt und Peter Eklöv fällt, lässt sich derzeit nicht genau bestimmen. Das schwedische Zentrale Ethische Gutachtergremium CEPN, das sich mit Betrug in der Wissenschaft befasst, ist sich dennoch sicher, dass die beiden Forscher der Uppsala-Universität "wissenschaftlich unredlich" gehandelt haben. Es sei zudem "bemerkenswert", dass eine Arbeit mit solchen Mängeln vom Wissenschaftsjournal Science akzeptiert wurde.

Dort hatten Lönnstedt und Eklöv vor fast genau einem Jahr berichtet, wie Mikroplastik im Wasser das Verhalten von Fischlarven verändert. Das Material sende einen starken Fressreiz aus, die Tiere würden sich auf den Kunststoff statt auf ihre normale Nahrung stürzen und kurz darauf sterben. Zudem ignorierten sie angeblich Warnsignale, die sie normalerweise in die Flucht treiben würden. Weltweit wurde die Untersuchung beachtet, auch die SZ berichtete.

In wenigen Monaten wurde der Fachaufsatz mehr als 30 Mal von anderen Wissenschaftlern in ihren eigenen Arbeiten zitiert. Sie alle bauten auf die Wahrhaftigkeit der Beobachtungen von Lönnstedt und Eklöv. Dabei wurden erste Zweifel an den Ergebnissen bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung in Science laut.

Die beschuldigten Forscher streiten die Vorwürfe ab und bieten alternative Erklärungen an

Als Josefin Sundin den Artikel in Science las, traute sie ihren Augen nicht. Sie war zur selben Zeit wie Lönnstedt an der Forschungsstation Ar gewesen auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland. Und was sie in dem Fachartikel las, passte nicht zu dem, was sie im Labor der Forschungsstation gesehen hatte. So war im Artikel von mehr Aquarien die Rede, als Sundin gezählt hatte. Auch war Lönnstedt laut Sundin nicht lange genug auf der Insel, um das Experiment, so wie in Science beschrieben, zu vollenden. Zusammen mit sechs Kollegen wandte sich Sundin noch im Juni 2016 mit einem Brief an die Universität Uppsala, in dem die Forscher eine Untersuchung forderten.

Wissenschaftspolitik: Barschlarve mit winzigen Plastikkügelchen im Bauch.

Barschlarve mit winzigen Plastikkügelchen im Bauch.

(Foto: Oona Lönnstedt)

Das eingesetzte Gremium konnte zunächst den Verdacht nicht bestätigen, doch die hinzugezogenen Gutachter vom CEPN stießen auf eine erdrückende Beweislast gegen Lönnstedt und Eklöv. Die Beschuldigten streiten die Vorwürfe ab und bieten alternative Erklärungen an, die das Expertengremium aber nicht überzeugen konnten, sondern sogar noch mehr Fragen aufwerfen. So wurden zum Beispiel die Plastikpartikel für das Experiment vom Hersteller in einer Suspension geliefert, die noch weitere Chemikalien enthielt. Die beiden Forscher wuschen die Partikel allerdings nicht, bevor sie diese in die Aquarien streuten. So lässt sich nicht einmal die Ursache bestimmen, falls es eine Verhaltensänderung der Babybarsche gab. Science zog den Artikel inzwischen zurück.

Somit steht die Mikroplastikstudie in einer Reihe mit anderen spektakulären Durchbrüchen, die später als Fantasie enttarnt wurden: etwa dem angeblich von dem koreanischen Tierarzt Hwang Woo-suk geschaffenen Menschenklon, der sich 2005 als Fake entpuppte, der Wunderformel der japanischen Forscherin Haruko Obokata, mit der sie normales Körpergewebe in heilende Stammzellen verwandelt haben wollte oder den Arbeiten des Nano-Physikers Jan Hendrik Schön, der seine Messreihen gefälscht hatte.

Die Grenze zwischen schlechter Wissenschaft und dreisten Fälschungen

Die Zahl solcher Enttarnungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen, insbesondere in den hochrangigen Journalen. "Hunderte Artikel werden jedes Jahr zurückgezogen, nicht immer ist es so spektakulär", sagt Ivan Oransky, Mitbegründer des Weblogs Retraction Watch, der an der New York University Journalismus unterrichtet. In dem Weblog berichten er und Kollegen über die Gründe, die zum Rückzug eines Artikels geführt haben. Als Grund für den Anstieg nennt Oransky vor allem eine erhöhte Aufmerksamkeit für Täuschung in der Wissenschaft. Für ihn bieten die zurückgezogenen Artikel Einblicke in die Fähigkeit zur Eigenkorrektur des wissenschaftlichen Betriebs.

Besonders oft stolpern schlampige oder unredliche Forscher über Bilder, die nicht das zeigen, was sie zeigen sollten. Solche Falschbilder sind auch für das deutsche Gremium "Ombudsman für die Wissenschaft", das vor fast 20 Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingerichtet wurde, immer wieder Anlass, Täuschungsvorwürfen nachzugehen. Im vergangenen Jahr wurden 87 Fälle an die Ombudsleute herangetragen, nur fünf davon betrafen den Vorwurf der Datenfälschung oder -manipulation.

"Die Grenze ist oft fließend zwischen einfach schlechter Wissenschaft und Arbeiten, die nicht einmal mehr den Mindestanforderungen genügen, also keine Wissenschaft mehr sind", sagt der Sprecher des Ombudsgremiums Stephan Rixen, Inhaber eines Lehrstuhls für Verfassungsrecht an der Uni Bayreuth. Er sieht vor allem die Fachgesellschaften in der Pflicht, als "vertrauensbildende Maßnahme" einheitliche Standards zu erarbeiten.

Videoaufnahmen aus dem Labor könnten helfen, die Thesen von Wissenschaftlern zu stützen

Wichtig wäre allerdings, dass auch jemand auf die Einhaltung der gesetzten Standards achtet. Science etwa verpflichtet seine Autoren, die Rohdaten ihrer Experimente mit zu veröffentlichen. Das haben Lönnstedt und Eklöv nur bruchstückhaft getan. Auf Nachfrage konnten die beiden die vollständigen Daten nicht liefern. Lönnstedt erklärte, ihr Laptop mit den Daten drauf sei kurz nach der Veröffentlichung gestohlen worden, das Back-up an der Universität habe nicht funktioniert. Das hätte eigentlich Grund genug sein müssen, den Artikel nicht zu veröffentlichen, doch "das Journal setzt seine eigenen Regeln offensichtlich nicht um", sagt Oransky.

Den Fachgutachtern von Science entgingen zudem weitere Mängel, die erst durch die sieben Whistleblower aufgedeckt wurden, zu denen neben Josefin Sundin auch Timothy Clark gehört. Der Ökologe von der University of Tasmania hat bereits einige Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens beobachten müssen. Er schlägt vor, dass Wissenschaftler ihre Experimente häufiger per Video aufzeichnen, um ihre Behauptungen untermauern zu können.

Ihm ist in der letzten Zeit ein bislang weitgehend ignoriertes Motiv für Unredlichkeit in der Wissenschaft begegnet. Er treffe gelegentlich Kollegen, die es wichtiger finden, die Öffentlichkeit mit eingängigen Geschichten auf Umweltprobleme hinzuweisen, als mit Daten. Der gute Zweck heiligt für sie die Mittel.

Auch Lönnstedt und Eklöv werden gewusst haben, was die Welt hören wollte. Es sei sehr einfach, in einem angesehenen Journal zu veröffentlichen, indem man genau die Geschichte erzählt, die die Fachkollegen zufriedenstellt, sagt Clark. "So sollte Wissenschaft natürlich genau nicht betrieben werden." Es könne sehr schädliche Folgen haben und alle Wissenschaftler verdächtig machen. In diesem Fall könne zudem der Eindruck erweckt werden, dass Mikroplastik in der Umwelt kein Problem sei. "Nichts ist falscher als das."

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