München:Nur kritisch oder schon antisemitisch? Umstrittener Gast im Gasteig

München: Vor dem Auftritt Levys kam es zu tumultartigen Szenen.

Vor dem Auftritt Levys kam es zu tumultartigen Szenen.

(Foto: Michael Trammer)

Ein Auftritt des israelischen Journalisten Gideon Levy löst heftige Proteste aus. Kritiker argumentieren, mit der Veranstaltung ziehe Antisemitismus in städtische Räume ein.

Von Heiner Effern und Jakob Wetzel

Gideon Levy darf sprechen, er kann seinen Vortrag im Gasteig halten, und schon deshalb gibt es Streit. Der israelische Journalist tritt in seinen Artikeln für die gegen Israel gerichtete Kampagne "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS) ein. Und nicht nur, dass Kritiker die Kampagne für antisemitisch halten. Auch die Münchner Stadtspitze hat sich eigentlich festgelegt: Nachdem im November 2015 ebenfalls im Gasteig ein Vortrag über jenen Boykottaufruf zu tumultartigen Szenen geführt hatte, erklärte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), die Stadt werde "solche Veranstaltungen" künftig nicht mehr unterstützen. Wiederholt wurden seitdem Vorträge in städtischen Räumen abgesagt oder unterbunden.

Doch an diesem Mittwoch ist das anders. Er habe die Veranstaltung zwar absagen wollen, sagt der für den Gasteig verantwortliche Bürgermeister Josef Schmid (CSU), doch ein Gutachten der Rechtsabteilung der Stadt habe das nicht hergegeben. So lange kein Boykottaufruf gegenüber Israel erfolge, sei der Vortrag von der Meinungsfreiheit gedeckt, argumentierten die städtischen Juristen laut Schmid. Deshalb habe die Stadt einen Aufpasser hingeschickt, der die Veranstaltung bei entsprechenden Äußerungen abgebrochen hätte. So weit sei es aber nicht gekommen.

Begleitet von Protesten referiert Gideon Levy also an diesem Abend in der Black Box im Gasteig über "50 Jahre Besatzung". Der 63-Jährige ist ein leidenschaftlicher Kritiker seines Landes, er nennt es einen Apartheid-Staat, bezichtigt Israel "einer der brutalsten Tyranneien der Gegenwart" und sagt, er male nicht schwarz und weiß, sondern der Konflikt sei im Kern einfach so: Hier seien die Besatzer, dort die Besetzten. Levy will ein freies Israel, das keine Gebiete besetze. Dass es keinen Frieden gebe, liege daran, dass die jüdischen Israelis den anderen kein gleichberechtigtes Dasein zugestehen wollten, sagt er. Von innen heraus werde sich daran nichts ändern. Was sei da legitimer als ein Boykott, fragt Levy. Wie könne es sein, dass ein solcher Vortrag nach wie vor in städtischen Räumen stattfinden kann, fragen dagegen die anderen.

Draußen, vor dem Gasteig, prallen die Positionen aufeinander. Zwei Gruppen von Demonstranten haben sich gegen Levy zusammengefunden. Insgesamt protestieren etwa 60 Menschen. Sie stellen sich an die Wege zum Eingang. Die Stimmung ist aggressiv. "Schwachsinn!", ruft ein älterer Mann. Er steht vor der Treppe zum Gasteig, er will diskutieren. Michael Kuhn hat dort zur Kundgebung aufgerufen, er wolle ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus und Rassismus, sagt er. "Informieren Sie sich mal!", hält der aufgebrachte Mann dagegen. Natürlich sei jedes Opfer der Hamas abzulehnen, "aber sehen Sie mal, was Israel macht!"

Oberhalb der Treppe hat sich eine Frau in Rage geredet. Sie habe in mehreren palästinensischen Städten gesehen, wie Israelis Kinder folterten, die Demonstranten seien doch Kollaborateure, ruft die Frau, dreht sich um und geht. "Lügnerin!", schallt es ihr hinterher. Mehr als 50 Demonstranten schwenken hier Israel-Fahnen. Polizei und Gasteig-Mitarbeiter sind zunächst überrumpelt gewesen, die Demonstration war nicht angemeldet. Als aber ein Polizist die Menschen des Platzes verweisen wollte, sind sie geblieben. Sie seien spontan vom Israel-Tag auf dem Platz vor der Feldherrnhalle, wo wie jedes Jahr die Gründung des Staates Israel gefeiert worden sei, hierher gefahren, sagt eine Frau. Sie ärgerten sich darüber, dass die Stadt sowie von der Stadt geförderte Vereine Räume für Veranstaltungen wie diese hergeben würden.

Warum der Vortrag stattfinden kann? Im Kulturreferat heißt es, er werde von der Stadt nicht gefördert, die Veranstalter hätten die Räume schlicht gemietet. Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner erklärt, der Gasteig müsse sich gesellschaftspolitisch neutral verhalten, solange nichts Strafbares geschehe, also "keine rassistischen, volksverhetzenden, diskriminierenden oder beleidigenden Inhalte" zu erwarten seien. Die Veranstalterin habe das zugesichert. Die Veranstalterin, das ist die "Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München" um Judith Bernstein; die Gruppe gehört zu den Unterstützern der Boykott-Kampagne. Die Gruppe hat auch den BDS-Vortrag im Gasteig 2015 organisiert.

Von Levys Vortrag ist das Publikum in der Black Box zum großen Teil sehr angetan. Etwas mehr als 150 Zuhörer sind gekommen, die meisten im fortgeschrittenen Alter. Einer von ihnen wird später die erste Frage aus dem Publikum an Levy richten: Ob die Wurzel des Übels nicht sei, dass "Rothschild und seine Mannschaft" an die gesamte Dritte Welt Dollars verleiht? Die nächste Frage wird lauten, was Levy antworte, wenn einer sage, dass sich Deutschland wegen seiner Geschichte mit Kritik an Israel zurückhalten müsse. Levy wird antworten, Deutschland habe geradezu die Pflicht, Israel zu kritisieren.

Später steht einer der Zuhörer auf und sagt: Das Podium müsse hier häufig herhalten, um unter dem Vorwand von Israelkritik Antisemitismus loszuwerden. "Einen Hauch davon haben wir gerade eben mitbekommen." Im Publikum wird es unruhig. Aber es bleibt die einzige kritische Stimme im Saal. Als Levy versichert, die meisten Israelkritiker von heute seien selbstverständlich keine Antisemiten, und dass Kritik an Israel gleich mit einem Antisemitismus-Vorwurf beantwortet werde, sei eine "billige Manipulation", da erntet er umso wärmeren Applaus.

Auch wenn Levy sich einen Boykottaufruf verkniffen habe, die Stadt wird trotzdem reagieren. Auch Veranstaltungen mit laut Bürgermeister Schmid "grenzwertigen Äußerungen" sollen künftig in kommunalen Gebäude nicht mehr zugelassen werden. Da ist sich die Stadtregierung sehr einig. In diesem Fall sei die Absage "angesichts des bereits unterzeichneten Mietvertrags als rechtlich nicht möglich angesehen" worden, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter. Grundsätzlich aber gelte sein Wort von 2015 weiter, dass die Stadt Veranstaltungen mit antisemitischen Tendenzen nicht ermöglichen werde. Die zentrale Rechtsabteilung werde deshalb prüfen, "wie auch im reinen Vermietgeschäft meine Vorgaben zu dieser Art von Veranstaltungen sichergestellt werden können".

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