Großbritannien:May hat die Wahlen noch längst nicht gewonnen

Britain's Prime Minister, Theresa May, arrives at number 10 Downing Street, in London

Noch ist nicht wirklich sicher, ob Theresa May nach den nächsten Wahlen wieder in die Downing Street 10, den Amtssitz der britischen Premierminister, ziehen wird.

(Foto: REUTERS)

Zu Beginn des Wahlkampfs lag die britische Premierministerin mit ihren Tories in Umfragen weit vorne. Doch der Vorsprung schmilzt - auch, weil die Wähler May jetzt erst richtig kennen lernen.

Kommentar von Christian Zaschke, London

Womöglich hätte Labour-Chef Jeremy Corbyn sogar eine klitzekleine Chance, die in eineinhalb Wochen anstehenden Parlamentswahlen zu gewinnen, wenn er nicht Leute wie Diane Abbott in sein Team berufen hätte. Die Schatten-Innenministerin taumelt durch den Wahlkampf und gibt ein peinliches Interview nach dem anderen. Am Sonntag sollte sie erklären, wie es sein könne, dass sie seinerzeit gehofft habe, die Irisch-Republikanische Armee (IRA) möge mit ihrem Terror in Großbritannien erfolgreich sein. Nun, versetzte Abbott, sie habe in den vergangenen 30 Jahren ihre Frisur geändert, und so habe sie eben auch ihre Meinung zum Terror der IRA geändert.

Für die Konservativen war das eine schöne Vorlage. Innenministerin Amber Rudd konterte, auch sie habe ihre Frisur hin und wieder geändert, aber ihre Meinung zum Terror noch nie. Abbotts Aussage wurde dann in sämtlichen Sonntags-Interviews verhandelt, und es war spürbar, wie dankbar die Tories für den Kommentar waren. Er erlaubte es ihnen, wieder die Initiative zu übernehmen.

Zuletzt waren die Konservativen in die Defensive geraten, was auch daran lag, dass Premierministerin Theresa May eine schlechtere Wahlkämpferin ist als erwartet. Sie hatte die vorgezogenen Neuwahlen ausgerufen, weil sie angesichts der Umfragen nicht widerstehen konnte. Sämtliche Institute ermittelten einen riesigen Vorsprung für ihre Partei. Also brach sie ihr Versprechen, keine Wahlen auszurufen.

Gut möglich, dass der Sieg der Tories ziemlich knapp ausfällt

Das war vielleicht der erste Punkt, der manche Wähler stutzig machte: May, die sich stets als gradlinig und verlässlich darstellt, brach ein Versprechen, weil es ihr gerade in den Kram passte. Dann erlebten sie May als Wahlkämpferin, was bedeutete, dass sie einen Sprechroboter sahen, der immer dieselben Slogans aufsagte. Zudem war der Wahlkampf extrem personalisiert, immer hieß es: Wählt mich, Theresa May, und nicht diesen Mann dort, Jeremy Corbyn. Der dieselte derweil durchs Land und hielt seine Reden, in denen er vor allem aufs Soziale einging. Die Tories nahmen das nicht ernst. Auf 24 Prozentpunkte belief sich ihr Vorsprung, die Wahl war unverlierbar. Das hat sich geändert.

Dieses Wochenende erschienen fünf Umfragen, denen zufolge der Vorsprung erheblich gesunken ist. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil schreckliche Anschläge wie der von Manchester meist dazu führen, dass den Konservativen als Law-and-Order-Partei mehr Vertrauen entgegengebracht wird. Insbesondere in der aktuellen Konstellation wäre das zu erwarten gewesen. Hier May, die sich als Innenministerin den Ruf erworben hat, hart zu sein. Dort der Altlinke Corbyn, der gegen jedes Anti-Terror-Gesetz gestimmt hat. Dennoch schmilzt der Vorsprung der Tories. Womöglich war es ein Fehler, den Wahlkampf so sehr auf May zuzuspitzen, eine Frau, die die Briten erst jetzt besser kennenlernen.

Es ist dennoch unwahrscheinlich, dass die Tories die Wahl verlieren. Dazu sind Corbyns Beliebtheitswerte zu schlecht, und dazu redet Diane Abbott zu viel dummes Zeug. Gut möglich hingegen ist, dass der Sieg bei Weitem nicht so klar ausfällt wie zunächst erwartet, vielleicht gar so knapp, dass sich an den aktuellen Mehrheitsverhältnissen wenig ändert und man sich fragt, warum das Volk überhaupt schon wieder an die Urnen gerufen wurde.

Eine "starke und stabile" Regierung hat May versprochen, aber nun wirken die Tories nervös, gar aggressiv. Sie sind dazu übergegangen, Corbyn mit persönlichen Attacken einzudecken. Beide Seiten haben zudem begonnen, den Anschlag von Manchester zu instrumentalisieren, und beide Seiten werfen einander genau das vor. Nach dem Anschlag hatten die Parteien den Wahlkampf zunächst kurz ausgesetzt. Nun hat seine hässliche Phase begonnen.

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