Tatort Kiel:Ein Mann im Kampf, mit sich, mit allen anderen

Tatort: Borowski und das Fest des Nordens; Borowski und das Fest des Nordens NDR Tatort

Der rettungslose Zustand eines Menschen, der zum Mörder geworden ist: Mišel Matičević.

(Foto: NDR/Christine Schroeder)

Den letzten Tatort vor der Sommerpause mit den Kommissaren Borowski und Brandt sollte man unbedingt sehen. Allein schon wegen des Auftritts von Mišel Matičević.

Von Holger Gertz

Bleibende Szene, nach einer halben Stunde: Roman Eggers (Mišel Matičević) betritt die winzige Duschkabine in seiner Absteige. Der Duschvorhang ist bedruckt mit den Silhouetten fliegender Möwen. Eggers duscht, verliert den Halt, er stürzt und rotzt und heult. Unter der Dusche weint man leichter, ist ja alles nass da, läuft ja alles ineinander. Eggers, der eine Frau, die sich an ihn klammerte, erschlagen hat, mit dem Eisenrohr ins Gesicht: Er weint um das Leben dieser Frau. Er weint um sein eigenes Leben. Gezeigt wird der rettungslose Zustand eines Menschen, der zum Mörder geworden ist und begreift: Jetzt ist alles kaputt.

Die Episode Borowski und das Fest des Nordens ist die letzte vor der Sommerpause, die letzte auch mit Kommissarin Sarah Brandt (Sibel Kekili) - und sie wird denjenigen nicht gefallen, die alle Antworten mundgerecht serviert haben wollen. Wozu braucht Eggers den Sprengstoff? Was hat ihn bloß so ruiniert? Wer mit offenerem Blick draufschaut, merkt: Der Film funktioniert trotz - oder gerade wegen - einiger Auslassungen. Regisseur Jan Bonny (Drehbuch Markus Busch, nach einer Vorlage von Henning Mankell) erzählt die Geschichte eines Menschen, der Familie und Job und alles verloren hat, auch wegen seiner Unbeherrschtheit. Und der sich auf nichts mehr verlassen kann, nur noch auf die Körperkraft. Er ist stärker als die Frau, die er erschlägt; stärker als der Dealer, den er absticht.

Die Gewalt in diesem dogmaartigen Film wird ausgestellt, aber sie ist kein Effekt, es gibt einen hinreichenden Grund für die Gewalt. In einer Szene wird Eggers von einem Geldverleiher gedemütigt, der ein Baby mit sich herumträgt. Die Szene dauert minutenlang, der großartige Mišel Matičević wirkt erst wie King Kong, der sich bemüht, die Frau in seiner Hand nicht zu zerdrücken. Aber irgendwann lässt er alles raus, es geht nicht anders. Matičević ist das Ereignis dieses Films. Ein Mann im Kampf, mit sich, mit allen anderen. Die Gewalt, die ihn vorübergehend rettet, wird ihn killen.

Der gewöhnliche Tatort traut sich oft nichts, er verwitzelt und strengt nicht an. In dieser Folge wird nichts weichgespült. Die Schläge, die Roman Eggers der Frau verabreicht, sind schwer zu ertragen. Aber wenn man erzählen will, was Gewalt bedeutet, muss man Gewalt zeigen. Ein erschütternder Film. Manchmal möchte man wegsehen, manchmal muss man schlucken. Wann gibt es das, im Tatort? Matičević treibt allein durch das zur Kieler Woche aufpolierte Kiel, an Fress- und Saufbuden vorbei, immer dem Abgrund entgegen. Die Atmosphäre erinnert an Das Mädchen von gegenüber, einen Haferkamp-Klassiker. Damals trieb ein Verlorener auf einer Ruhrgebiets-Kirmes an Fress- und Wurfbuden vorbei, immer dem Abgrund entgegen. Das war 1977, als der Tatort noch öfter so mutig war, wie es dieser hier jetzt wieder ist.

ARD, Sonntag 20.15 Uhr.

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