Graffiti in München:Verpfiffen, verhaftet, vereint

Heimstetten. Der Designer Haman Alimentari trifft Alois Spies, der ihn vor 25 Jahren wegen Schmierereien auf Zügen verhaften ließ und ihm nun Fotos von besprayten Zügen schenken möchte.

Der Modeschöpfer und Ex-Sprayer Haman Alimardani möchte die Fotos von Deutschlands erstem Grafittifahnder Alois Spies in einem Buch veröffentlichen.

(Foto: Florian Peljak)

Einst waren Alois Spies und Haman Alimardani Gegner. Ein Vierteljahrhundert später treffen sich Deutschlands erster Graffitijäger und der Ex-Sprayer wieder.

Von Jasmin Siebert

Die S-Bahn-Fahrt in den Münchner Vorort Kirchheim ist für Haman Alimardani eine Reise in seine Vergangenheit: vorbei an einer meterlangen Fabrikhalle, darauf ein paar Tags, Namenszüge von Sprayern. Alimardani musste sie einst komplett streichen, weil er vor Gericht ein Graffiti zugegeben hatte. Dann passiert die Bahn die Unterführung, in der Alimardani beim Sprayen nachts im Nebel fast von einem Zug erwischt worden wäre.

Heute sprayt Alimardani nicht mehr, sondern entwirft unter seinem Label Hamansutra von Uniformen inspirierte Overalls, Jeans und Lederschuhe mit Kopfhörerkabel als Schnürsenkel. Er hat den blauen Ganzkörperanzug der "Geiz ist geil"-Kampagne von Saturn entworfen. Nach Stationen in London und New York lebt und arbeitet der 40-jährige Modeschöpfer heute in Schwabing. Nebenbei legt er als DJ auf, zuletzt bei einer Veranstaltung von Louis Vuitton.

In Kirchheim, genauer gesagt im Ortsteil Heimstetten, begann seine Karriere vor 23 Jahren - mit einer Verhaftung. Schuld daran war Alois Spies, Deutschlands erster Graffitifahnder, der damals im Auftrag der Münchner Stadtwerke "Schmierer" jagte. Nun möchte er Alimardani eine außergewöhnliche Sammlung schenken: Fotos von Graffiti, die teilweise kaum jemand zu Gesicht bekommen hat, weil sie sofort entfernt worden waren.

In seiner Werkstatt, die sich Alimardani 2014 nach einem sechsjährigen Aufenthalt in New York in der Hohenzollernstraße eingerichtet hat, liegt eine lange Liste von Projekten, die er irgendwann angehen will. Viele Jahre stand darauf auch: Spies nach Fotos fragen. Vor ein paar Wochen wählte er endlich dessen Nummer - das Schlimmste erwartend, wollte doch er, der Ex-Sprayer, den Ex-Graffitijäger um einen Gefallen bitten. Er möchte alte Graffiti-Fotos in einem Buch veröffentlichen. Spies schien sich über den Anruf zu freuen. Gutmütig sagte er: "Die Fotos kannst du gern haben."

Geboren wurde Alimardani in Teheran, die ersten Lebensjahre hat er mit seiner Mutter und den vier Geschwistern in New York verbracht. Weil der Vater kein Visum bekam, entschied sich die Familie für einen Neuanfang in München. Als Alimardani fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Heimstetten. Wie fremde Wesen wurden die Geschwister anfangs beäugt, als sie, geprägt von der in den USA gerade aufkommenden Hip-Hop-Kultur, mit riesigen Brillen und übergroßen, mit Markenlogos bedruckten Sweatern in dem beschaulichen Ort aufkreuzten.

Heute dreht sich niemand mehr um nach Alimardani, obwohl sein Outfit noch immer auffällig ist: ganz in Denim gekleidet, eine goldene Brille als Anstecker auf dem Jeanshemd und ein Käppi mit Kugelschreiberhalterung auf dem Kopf. "Wahnsinn", ruft er und deutet auf das Haus mit den Geschäften im Erdgeschoss, wo er einst gelebt hat. Alimardani kennt noch so manchen Namen auf den Klingelschildern, doch seine Freunde sind inzwischen alle weggezogen.

Seine Eltern eröffneten Münchens erstes persisches Restaurant, das Niawaran, und wenn Haman nicht gerade mithelfen musste, widmete er sich der Kunst. "Er zeichnet eifrig", stand bereits in seinem ersten Schulzeugnis. Etwas besorgt waren die Lehrer, weil auch der Krieg in seinen Bildern sehr präsent war. Das lag am Ersten Golfkrieg, den die iranische Familie natürlich im Fernsehen verfolgte.

Spies' Rat war bald auf der ganzen Welt gefragt

Sein Faible für Militärästhetik und Uniformen ist geblieben, auch heute entwirft er gerne Uniformen und Overalls. Nach Abschluss der Blocherer Schule und einem Jahr in der Werbeagentur Jung von Matt in Hamburg entschied er sich für ein Modestudium am Central Saint Martins College of Art and Design in London. Als angehender Modedesigner schneiderte Alimardani einst bei der Bundeswehr Kampfanzüge und hospitierte in den Schneiderwerkstätten und in der Schuhmacherei der Bayerischen Staatsoper.

Prägend war auch seine Assistenz beim Modemacher Kostas Murkudis. Aktuell arbeitet er an Schuhen für Polizeibeamte. Sein großer Traum: einen Riesenauftrag bekommen, um es sich leisten zu können, eine eigene, "fette" Kollektion auf einer Modenschau zu präsentieren. Genäht werden soll sie auf alten Nähmaschinen.

Alimardani hat insgesamt ein Faible für alte Dinge mit Stil. In seiner Werkstatt stehen Singer-Nähmaschinen und zwei Schweizer Armeeräder mit originalen Ledertaschen. Nähutensilien, Stoffproben, Entwürfe und Skizzenbücher hat er ordentlich in die Schubladen mehrerer alter Setzerschränke sortiert.

Heimstetten. Der Designer Haman Alimentari trifft Alois Spies, der ihn vor 25 Jahren wegen Schmierereien auf Zügen verhaften ließ und ihm nun Fotos von besprayten Zügen schenken möchte.

Alois Spies, Deutschlands erster Graffitifahnder, sorgte einst dafür, dass Graffiti auf U-Bahnen sofort entfernt werden. Zuvor jedoch fotografierte er die Kunstwerke. Die Fotos schenkt er nun Haman Alimardani.

(Foto: Florian Peljak)

Diese Designerwelt ist nun ganz weit weg, als Alimardani durch die Kirchheimer Vogelsiedlung zu Alois Spies' Haus geht. Wie alte Bekannte schütteln sich die beiden kräftig die Hände. Vorbei an einer Vitrine mit Modelleisenbahnen geht es auf die Terrasse. Die beiden haben sich kaum hingesetzt, da drückt Spies Alimardani einen Pappkarton mit mehreren hundert Fotos in die Hand: "Ich hätte sie sonst wegwerfen müssen. Das wäre schade drum."

Spies ist ein wuchtiger Mann mit Glatze und rotem Poloshirt, 75 Jahre alt. Er arbeitete als Busfahrer, ehe er ab 1985 für die Reinigung der U-Bahnhöfe zuständig war. Das Entfernen von Schmierereien war teuer, und er fragte sich, warum niemand dahinter war, die Täter aufzuspüren. Es war sein eigener Vorschlag, eine Soko zu gründen, um nach Sprayern zu fahnden. So wurde Spies Deutschlands erster Graffiti-Fahnder, dessen Rat bald in Metropolen auf der ganzen Welt gefragt war.

"Graffiti ist Jugendkultur, und die muss man fördern"

Dass sich Spies und Alimardani einst als Gegner gegenüberstanden - man merkt es nicht. Sofort sind sie im Gespräch, tauchen ab in die Vergangenheit einer Szene, in der es berüchtigte Orte wie die Flohmarkthallen gab und Sprayer, die ins Unglück stürzten. Einer setzte sich den goldenen Schuss, ein anderer floh vor Schulden nach Thailand, um dort Mönch zu werden. Und immer wieder wurden Sprayer von U- oder S-Bahnen überfahren.

Spies wollte den Jugendlichen klarmachen, dass sie in den Gleisen nichts verloren haben. "Mein Ansatz war, mit den Burschen zu reden", sagt er, ehe er sie an Polizei oder U-Bahnwache übergab. Sichtete Spies ein rollendes Graffiti, fotografierte er es und schickte den besprayten Wagen sofort in die U-Bahn-Waschanlage. Zum einen ließ sich die noch frische Farbe leichter wegschrubben, zum anderen sollte der Anreiz für die Sprayer sinken, wenn die Öffentlichkeit die Kunstwerke nie zu Gesicht bekam.

Heimstetten. Der Designer Haman Alimentari trifft Alois Spies, der ihn vor 25 Jahren wegen Schmierereien auf Zügen verhaften ließ und ihm nun Fotos von besprayten Zügen schenken möchte.

Alois Spies fotografierte die Graffitis, bevor er dafür sorgte, dass sie auf U-Bahnen sofort entfernt wurden.

(Foto: Florian Peljak)

Spies erzählt von den Tricks, die er sich ausgedacht hatte, um Sprayer zu ertappen: Zum Beispiel "crosste" er ein Graffiti, machte es also unkenntlich. In einer Mülltonne versteckte er eine Kamera und verschanzte sich selbst mit dem dazugehörigen Monitor in der Nähe. Wenn jemand über das zerstörte Graffiti sauer wurde, konnte er sich sicher sein, den Künstler gefunden zu haben.

Je länger sich Spies mit Graffiti befasste, desto differenzierter betrachtete er die ganze Sache: Er unterschied zwischen Schmierern und Graffitikünstlern. Als jahrzehntelanges Mitglied des Gemeinderats setzte er sich dafür ein, dass den jungen Künstlern Flächen zur Verfügung gestellt werden, wo sie legal sprayen konnten.

"Graffiti ist Jugendkultur, und die muss man fördern", war seine Ansicht. Alimardanis Kunstwerke gefielen ihm von Anfang an. Er war es, der dafür sorgte, dass Alimardani auf das Jugendzentrum Kirchheim einen Regenwald mit Schmetterlingen sprayen durfte. Spies ärgert es, dass "das schöne Bild" in diesem Jahr übermalt worden ist.

Spies geriet zunehmend in den Konflikt mit seiner Rolle als Graffitijäger. 2001 wurde er vorzeitig in den Ruhestand entlassen. Die Stadtwerke hätten ihn loshaben wollen, erzählt er. Es passte nicht, dass einer, dessen Job es war, Sprayer, Schmierer und Kratzer zu jagen, Sympathien für Graffitikünstler entwickelte.

Heimstetten. Der Designer Haman Alimentari trifft Alois Spies, der ihn vor 25 Jahren wegen Schmierereien auf Zügen verhaften ließ und ihm nun Fotos von besprayten Zügen schenken möchte.

Je länger sich Alois Spies mit Graffiti befasste, desto differenzierter betrachtete er die ganze Sache: Er unterschied zwischen Schmierern und Graffitikünstlern.

(Foto: Florian Peljak)

An den folgenreichen Nachmittag im Jahr 1994 erinnert sich Spies noch gut. Zwei Buben klingelten bei ihm, weil sie wussten, dass er irgendetwas mit "Schmierereien" zu tun habe. Sie hatten beobachtet, dass jemand Comicfiguren und Buchstaben in eine Unterführung malte. "Und ich konnte ja nicht nichts machen", sagt Spies. Es klingt wie eine Entschuldigung dafür, dass er damals die Polizei rief.

Alimardani war damals 17 Jahre alt, studierte Grafikdesign, und Sprayen war sein Leben. Er dachte sich nichts dabei, am Tag mit Leiter, Farbeimer und Spraydosen zu einer Unterführung zu spazieren. Er weißelte erst einmal die Wand, ehe er seine Skizze vom Block übertrug. Nach drei Stunden, er war gerade fertig geworden und bekam allmählich Hunger, kamen plötzlich von beiden Seiten Polizisten angerannt. Er war sich keiner Schuld bewusst. "Ich habe die Wand doch verschönert", sagte er zu ihnen.

Das Gericht ließ ihn Sozialstunden ableisten und seine Graffiti übermalen. Den Buben, die ihn verpfiffen hatten, schenkte die Polizei je hundert Mark. Die Geschichte vom "Grafikerlehrling, der seinen Beruf auch in der Freizeit ausübt" - wie die SZ damals schrieb - sprach sich herum.

Eines Morgens stand ein Typ vor Alimardanis Haustür und fragte: "Können Sie meine Garage besprühen?" Das war Alimardanis erster bezahlter Auftrag. Er ließ sich 800 Mark plus die Spraydosen zahlen und sprühte mit einem Kumpel Katzenaugen auf die Doppelgarage.

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