Gleichstellung:Frauen arbeiten mehr - und verdienen immer noch weniger

Gleichstellung: Pendler rotieren hier täglich: Die Bahnhofshalle des Münchner Hauptbahnhofs.

Pendler rotieren hier täglich: Die Bahnhofshalle des Münchner Hauptbahnhofs.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der neue Gleichstellungsbericht zeigt: Frauen sind nach wie vor stark benachteiligt. Die Bundesregierung redet über den Missstand nur leise.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Der Bericht ist nicht geeignet, Frohsinn zu verbreiten, schon gar nicht unter Frauen und Müttern. Sie kämpfen in Deutschland im Vergleich zu Männern weiter mit erheblichen Nachteilen - sei es bei beruflichem Fortkommen oder Alterssicherung, Zeitmanagement in der Partnerschaft oder Familienarbeit. Das zeigt die Stellungnahme der Bundesregierung zum zweiten Gleichstellungsbericht, der an diesem Mittwoch im Kabinett verabschiedet wird und der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach leisten Frauen bei der unbezahlten Betreuung Angehöriger etwa das Anderthalbfache von Männern - bei Rentenansprüchen in etwa halber Höhe. Gleichstellung der Geschlechter, so das leise Fazit der Bundesregierung, bleibe "trotz der erreichten Fortschritte" auch in Zukunft ein "weiter zu verfolgendes Ziel".

Der Gleichstellungsbericht wird einmal pro Legislaturperiode erstellt und der Bundesregierung von Sachverständigen vorgelegt. Er soll klären, inwieweit die im Grundgesetz geforderte Gleichstellung der Geschlechter in Bildung und Erwerbsleben durchgesetzt ist. Beleuchtet werden auch gesellschaftliche Rollenbilder, Zeitverwendung von Frauen und Männern in der Erwerbs- und Sorgearbeit sowie die soziale Absicherung im Alter.

Schon der erste Bericht, der 2011 der Bundesregierung übergeben wurde, zeigte erhebliche Defizite. Die Koalition gelobte Besserung. Doch bei allen Reformen - zum Zurücklehnen gibt es wenig Anlass.

Familienministerin Barley will soziale Berufe aufwerten

"Frauen arbeiten oft mehr und bekommen dafür weniger", sagte Familienministerin Katarina Barley der SZ am Dienstag. "Bei der Verteilung von Belastungen und Chancen zwischen den Geschlechtern geht es in unserer Gesellschaft immer noch ungerecht zu." Die Bundesregierung habe in dieser Legislaturperiode viel für die Gleichstellung getan. "Aber wir sind noch nicht am Ziel." Sie wünsche sich, so die Ministerin, dass die Empfehlungen der Sachverständigen intensiv diskutiert würden. "Eines meiner zentralen Anliegen ist die Aufwertung von sozialen Berufen. Hiervon werden in erster Linie Frauen profitieren."

Die Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht fällt vorsichtig aus. Immer wieder wird betont, die Politik habe niemandem eine Arbeitsteilung in der Familie vorzuschreiben. Sehr viel deutlicher wird hier das Gutachten der Sachverständigen, das der Stellungnahme zugrunde liegt. Es nennt eine ganze Reihe biografischer "Knotenpunkte", an denen zwischen den Geschlechtern entscheidende Weichen gestellt werden. Die Geburt oder Adoption eines Kindes kann ein solcher Knotenpunkt sein. Oder der Tag, an dem ein Elternteil pflegebedürftig wird, und sich entscheidet, ob ein Partner - und wenn ja, welcher - deshalb seine Erwerbstätigkeit reduziert.

Betrachtet man die gesamte Zeit, die Frauen und Männer für die unentgeltliche Betreuung von Kindern oder älteren Angehörigen aufwenden, dann leisten Frauen hier etwa das Anderthalbfache. Der Gleichstellungsbericht hat erstmals einen sogenannten Gender Care Gap ermittelt: Er liegt bei 52,4 Prozent unentgeltlicher Mehrarbeit von Frauen bei der Betreuung. Im Alter von 34 Jahren leisten sie im Schnitt doppelt so viel unbezahlte Sorgearbeit wie Männer.

Frauen erwirtschaften erheblichen Wert durch Betreuung und Pflege

Immerhin, in privaten Pflegearrangements ist der Männeranteil deutlich gestiegen. Nach dem Gutachten der Sachverständigen unterstützen Männer hier nicht nur, etwa indem sie die alte Mutter hin und wieder mit dem Rollstuhl auf den Balkon schieben. Männer machen in informellen Pflegesituationen heute ein Viertel der Hauptpflegepersonen aus. Dennoch werden Angehörige nach wie vor ganz überwiegend von Ehefrauen, Töchtern oder Schwiegertöchtern gepflegt. Und nur 4,9 Prozent aller Männer in Deutschland übernehmen überhaupt solche Pflichten. Bei den Frauen sind es 7,2 Prozent - Tendenz steigend, bei zunehmender beruflicher Belastung. Vielen stelle sich die Frage, wie sie Kinder, Pflege und Beruf "ausbalancieren" können, "ohne dass es zu Überlastung kommt".

Die Sachverständigen, die das Gutachten für die Bundesregierung erstellt haben, empfehlen, die "Ausgrenzung der Sorgearbeit aus der Ökonomie" stärker in den Blick zu nehmen. Mit anderen Worten: Sorgearbeit aufzuwerten, da ohne sie kein Wirtschaftswachstum möglich sei. Selbst bei vorsichtiger Schätzung habe die Bruttowertschöpfung durch unbezahlte Hausarbeit 2013 bei 987 Milliarden Euro gelegen, so das Gutachten. Das sei "deutlich" mehr als die Wertschöpfung von 769 Milliarden Euro im produzierenden Gewerbe. Aber auch bezahlte soziale Arbeit werde deutlich geringer bewertet als technische.

Frauen erwirtschaften erheblichen gesellschaftlichen Mehrwert durch Betreuung und Pflege - doch statt dies in einer alternden Gesellschaft zu honorieren, werden viele hart dafür bestraft. 2015 bezogen deutsche Frauen um 53 Prozent geringere Rentenleistungen als Männer. Nach einer Erhebung der Europäischen Union betrug die Rentenlücke 2012 im europäischen Durchschnitt 38 Prozent. In Deutschland lag sie bei 45 Prozent. Das war der schlechteste Wert aller untersuchten EU-Länder.

In der Stellungnahme der Bundesregierung fällt die Kritik an der festgestellten Chancenungleich deutlich milder aus als bei den Sachverständigen. Hier heißt es nur, zu den "Indikatoren der Ungleichheit" zwischen den Geschlechtern gehörten neben dem "Gesamterwerbseinkommen im Lebensverlauf" auch ungleich verteilte Sorgearbeit und Teilzeit. "Beim Wiedereinstieg nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung von mindestens drei Jahren bekommen 30 bis 40 Prozent der Frauen nur Stellen, für die sie formal überqualifiziert sind", heißt es. Und dass sich außer "mehr Konsistenz in der Gleichstellungspolitik" auch der "Aufbau eines Monitorings" als nötig erwiesen habe.

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