G-20-Gipfel in Hamburg:Chaos, Steine, Scherben

Den zweiten Tag in Folge eskaliert die Lage in Hamburg. Während die G-20-Politiker Beethoven lauschen, sorgen vermummte Randalierer für Verwüstung. Die Polizei wirkt stundenlang überfordert.

Von Dominik Fürst und Matthias Kolb, Hamburg

Wo das Schulterblatt beginnt, liegt am Samstagmorgen ein großer Haufen Asche auf der Straße. Im Teer sind Löcher und Hügel, er hat sich wohl wegen der Hitze verformt, man sieht es schon aus der Entfernung: Hier hat es gebrannt. Mülleimer, Absperrgitter und Fahrräder liegen verkohlt und verstreut herum. Zu ihnen ist die Straßenreinigung noch nicht vorgedrungen. Sie muss zuvor noch Tausende Glasscherben beseitigen.

Für die Verwüstung der zentralen Straße des Hamburger Schanzenviertels sind 1500 gewalttätige Randalierer verantwortlich, so beziffert es die Polizei. Mit diesen größtenteils vermummten Chaoten haben sich die Beamten eine Straßenschlacht geliefert in der vergangenen Nacht, die Proteste gegen den G-20-Gipfel sind völlig ausgeartet. Am Ende brannten Barrikaden im ganzen Schulterblatt, es herrschte Chaos, Anwohner konnten stundenlang nicht in ihre Wohnungen. Die Bilder aus der Nacht, sie erinnern nicht an Deutschlands zweitgrößte Stadt, wie man sie kennt, sondern an Aufnahmen aus Bürgerkriegsländern.

In der Straße, die zur Roten Flora führt, dem seit 1989 besetzten Theater und Zentrum der autonomen Szene Hamburgs, warteten vermummte Gestalten mit Pflastersteinen auf die Polizisten, die sich mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken vorkämpften. Gegen Mitternacht rückten mit Sturmgewehren bewaffnete Spezialeinheiten vor, sie erklommen und sicherten an der Ecke zum Schulterblatt ein Haus samt Baugerüst, von dem aus die Randalierer sie attackiert hatten.

Etwa zur selben Zeit saßen Angela Merkel, Donald Trump und die anderen Staats- und Regierungschefs beim Abendessen in der Elbphilharmonie beisammen, nachdem sie unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen Beethovens neunte Sinfonie gehört hatten. Von den Krawallen bekamen sie nichts mit. Im Schanzenviertel verhaftete die Polizei unterdessen 13 Personen. Ruhe kehrte erst in den frühen Morgenstunden wieder ein. Insgesamt meldet die Polizei 213 verletzte Beamte.

Am Morgen danach kann man die Bilanz der Randale beim Spaziergang durchs Schulterblatt überblicken. Beim skandinavischen Designerladen "Flying Tiger Copenhagen" gleich am Anfang der Straße sind die Scheiben eingeschlagen, das Geschäft ist völlig leergeräumt. Jetzt liegen bunte Fähnchen und Malblöcke auf der Straße verstreut herum. Einer Spielhalle, einem Drogerie- und einem Supermarkt ist es genauso ergangen. Die Randalierer haben geplündert, zerstört und gezündelt.

Entsetzen über "Krawalltouristen" - Verwunderung über die Polizei

Unter den Anwohnern und Passanten ist die Wut groß auf die "Krawalltouristen", die aus Deutschland und ganz Europa angereist sind. "Die sollen den Mercedes vom Papa anzünden, oder das Dorf daheim plündern", sagt eine Frau um die 60. Sie berichtet, dass sie wegen der Helikopter nicht besonders lange schlafen konnte. Für sie ist klar: "Mit Protest hat das nichts zu tun, die haben doch keine Botschaft oder politisches Anliegen."

Vor dem Café "Transmontana" steht ein Mann Mitte 40, der sich als Wahl-Hamburger vorstellt. "Ich lebe seit 25 Jahren hier in einer Querstraße und meine Kinder sollen das nicht sehen, diese Verwüstung." Auch er ist stinksauer über die "Idioten", die das Schulterblatt in ein Schlachtfeld verwandelt haben. Mit Linkssein habe das nichts zu tun.

Er sorgt sich, dass nun alle G-20-Kritiker kriminalisiert werden: "Die übergroße Mehrheit lehnt so etwas total ab. Massen-Cornern und Raven, das ist die Hamburger Art des Protests." Der Mann fragt sich aber auch, wie die Polizei mit ihren 21 000 Beamten eine solche Situation zulassen konnte: "Warum können die in Kleingruppen durch die Gegend ziehen und solche Sachen planen? Die Randalierer hatten doch einen Plan, das war alles kein Zufall." Wie viele andere fühlte er sich hilf- und schutzlos in der Nacht auf Samstag.

Rückblick zum Vorabend. Stundenlang hat es ein Katz- und Maus-Spiel zwischen Beamten und Randalierern gegeben - dass normale Demonstranten und Schaulustige in großen Gruppen mittendrin stehen, erschwert den Einsatz und die Übersicht erheblich. Von 20 Uhr an fahren Wasserwerfer und gepanzerte Polizeiwagen am Neuen Pferdemarkt auf. Knapp drei Stunden später hat die Polizei das Schanzenviertel mit einem riesigen Ring aus schwarz uniformierten, behelmten Beamten abgeriegelt.

Auf Bürgermeister Olaf Scholz warten nun unbequeme Fragen

Niemand darf mehr rein, weder Journalisten noch Anwohner. Stundenlang kreist ein Hubschrauber bedrohlich nah über der Szenerie und leuchtet mit einem Suchscheinwerfer, immer wieder sieht man Wasserwerfer und weitere Einsatzfahrzeuge der Polizei vorrücken. Abseits der Straßensperren ist wiederum das absurde Gegenteil zu beobachten, das diese Hamburger G-20-Tage ausmacht: Leute sitzen auf der Straße, hören laute Musik und trinken Bier. Es ist eine laue Nacht, unter anderen Umständen hätte sie sehr schön sein können.

Doch nun entstehen jene Bilder, die alle vermeiden wollten. Die Polizei wirkt überfordert und es zeigt sich, dass sie trotz wochenlangen Warnungen vor Gewalt-Exzessen nicht vorbereitet war. Bundeskanzlerin Angela Merkel bekommt keine schönen Fotos für den Wahlkampf und auch auf Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz von der SPD warten Fragen. Der hatte vorab alle Kritik an Hamburg als Austragungsort des G-20-Treffens zurückgewiesen und etwa gesagt: "Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus. Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist." Heute, nach der zweiten Randale-Nacht, sehnen sich die Hamburger nach dem Ende des Treffens.

Die Hamburger Polizei fahndet unterdessen nach den Krawallmachern. Zur Ermittlung der Straftäter hat sie ein Portal errichtet und bittet die Bevölkerung, Hinweise dort zu mitzuteilen.

Während die Staats- und Regierungschefs am zweiten Tag des G-20-Gipfels in den Messehallen zusammenkommen, findet um die Mittagszeit die Demo "Gemeinsame Solidarität statt G20" statt. Ursprünglich waren dazu 100 000 Teilnehmer erwartet worden - man weiß nicht, wie viele nach den Krawallen noch Lust darauf haben. Bei Twitter, wo Beamte seit Wochen zeitnah und professionell informieren, schreibt die Polizei, dass sie auf einen friedlichen Samstag hoffe.

Ein letzter Blick ins Schanzenviertel. Im Schulterblatt liegen am Morgen noch viele Scherben, Randalierer haben Pflastersteine aus dem Gehweg gerissen, große Löcher klaffen dort. Straßenschilder und Möbel auf verkohlten Haufen wirken, als hätten die Bewohner ihren Sperrmüll vor die Tür geschmissen. Ein Stadtfahrzeug mit Baggerschaufel schafft den gröbsten Unrat beiseite. Feuerwehrleute mit Atemschutzmasken schlüpfen unter dem verbogenen Gittertor hindurch in eine demolierte Sparkassen-Filiale - es riecht noch nach verbranntem Plastik.

Am Ende des Schulterblatts liegen verstreut unter der S-Bahn-Brücke ein Dutzend Fahrräder der Stadt Hamburg, auch hier dazwischen Steine und Scherben. Man geht daran vorbei und unter den Schienen hindurch, noch etwa fünfzig Meter, bevor die Straße wieder sauber wird. Man hebt den Kopf und sieht ein Schild, das den Beginn des Bezirks Eimsbüttel anzeigt. Man hat es aus dem Schanzenviertel rausgeschafft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: