Radverkehr:Münster wird vom Erfolg überrollt

Münster

Münster wird seit den Neunzigerjahren regelmäßig zu Deutschlands Fahrradhauptstadt gewählt.

(Foto: Presseamt Stadt Münster)

Deutschlands Fahrradhauptstadt ist dem Ansturm nicht mehr gewachsen: Auf den Radwegen staut es sich, die Sicherheit der Radler leidet. Doch der Bürgermeister verspricht Abhilfe.

Von Steve Przybilla

Peter Wolter ist noch keine 500 Meter geradelt, da platzt es aus ihm heraus. "Wenn Münster so weitermacht, ist die Stadt in zwei Jahren im Hintertreffen", schimpft der Radfahrer, der sich im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) engagiert. Der 66-Jährige fährt fast ausschließlich mit seiner "Leeze", wie man das Zweirad im Münsterland nennt. Doch ausgerechnet in einer Fahrradstraße, in der Autos normalerweise zurückstecken müssen, bringt Wolter sein Rad zum Stehen: "Sehen Sie nur, rechts und links komplett zugeparkt. Wenn jetzt ein Auto die Tür aufmacht, haben Sie schon verloren."

Das Urteil das Radfahrers klingt hart. Umso härter, wenn man bedenkt, dass Münster seit den Neunzigerjahren regelmäßig zu Deutschlands Fahrradhauptstadt gewählt wird - von Wolters Verband, dem ADFC. In Münster schien lange Zeit einfach alles zu stimmen: die flache Landschaft, die breiten Radwege, die zahlreichen Fahrradampeln, -verleihstationen und -straßen.

Seit Jahren wächst der Anteil derjenigen, die sich per Leeze fortbewegen. Laut Schätzungen der Polizei gibt es etwa eine halbe Million Fahrräder in der Stadt - weit mehr als Münster Einwohner hat. Und auch beim jüngsten "Fahrradklimatest" des ADFC hat Münster in der Kategorie der Großstädte mal wieder abgeräumt: Platz eins für die nordrhein-westfälische Radler-City.

Wolter weiß das alles. Verglichen mit anderen Städten steht Münster immer noch sehr gut da. Allein die Promenade, der autofreie Ring um die Innenstadt, ist ein Luxus, von dem andere nur träumen können. Doch schon an der nächsten Kreuzung, an der Wolbecker Straße, offenbart sich ein Problem: Vor der Ampel halten so viele Räder, dass es einen regelrechten Rückstau gibt. Manche weichen verbotswidrig auf den Bürgersteig aus; einige Fußgänger protestieren. "Hier könnte man von drei Autospuren locker eine wegnehmen", fordert Wolter. "Aber genau das ist das Grundproblem: Alle finden Fahrräder toll. Nur sobald es um Einschnitte für den Autoverkehr geht, ducken sich alle weg."

Was läuft falsch im Land der Leeze?

Dass nicht nur Wolter so denkt, zeigt ein Blick in den ADFC-Fahrradklimatest. Bei dieser Onlineumfrage wurden mehr als 120 000 Personen befragt, wie fahrradfreundlich sie ihre Stadt finden. Kommt man mit dem Fahrrad sicher und schnell voran? Gibt es genügend Stellplätze? Werden Autofahrer zur Rechenschaft gezogen, wenn sie Radwege zuparken? Zu 27 Punkten konnten die Befragten Schulnoten vergeben, es handelt sich also um eine subjektive Einschätzung. Auf Platz zwei und drei bei den Großstädten landeten - ebenfalls zum wiederholten Mal - Karlsruhe (Note: 3,09) und Freiburg (3,28). Beide Städte setzen auf einen kontinuierlichen Ausbau ihres Radwegenetzes. Münster (3,07) kann den Spitzenplatz knapp verteidigen, hat sich in der Notenwertung aber stark verschlechtert. Zum Vergleich: Im Jahr 2003 gaben die Münsteraner ihrer Stadt noch die Note 1,88.

Was läuft also falsch im Land der Leeze? Laut ADFC steht Münster vor "großen ungelösten Problemen durch eine inzwischen unterdimensionierte Infrastruktur". Soll heißen: Die vor längerer Zeit angelegten Radwege halten dem Ansturm der Pedalisten kaum noch stand. Was an sich ja ein gutes Zeichen ist, zeigt es doch, dass Radeln immer beliebter wird. Doch je mehr Leute umsteigen, umso lauter artikulieren sie ihre Bedürfnisse - übrigens nicht nur in Münster, sondern auch in Städten, in denen die Radverkehrsförderung zu wünschen übrig lässt. So weist etwa in Berlin eine Initiative auf den desolaten Zustand vieler Radwege hin und brachte das Thema mit einer Unterschriftenaktion auf die politische Agenda. Schon bald könnten weitere Städte folgen.

Es geht um ein subjektives Gefühl der Wertschätzung

Ausreichend Radwege, überdachte Abstellplätze, sichere Kreuzungen: Umfragen zeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, Radler glücklich zu machen. Aber: "Eine gute Tat allein reicht nicht", sagt Thomas Böhmer, Studienleiter des ADFC-Fahrradklimatests. "Es schneiden immer die Städte gut ab, in denen die Radfahrer das Gefühl haben, dass ihr Verkehrsmittel wirklich geschätzt wird." Dass Münster also immer noch gewinnt, könnte auch an der Schwäche der Konkurrenz liegen. "Bei der selbsterklärten Radlhauptstadt München ist außer der Kampagne nicht viel passiert", meint Böhmer. München belegt im Ranking der Großstädte den 13. Platz.

Dass es auch anders geht, zeigt die Kategorie der Aufholer, die sich im Fahrradklimatest stark verbessert haben. Dazu gehören beispielsweise Städte wie Bochum und Wuppertal - beides Kommunen, die nicht gerade im Geld schwimmen. Noch dazu ist das hügelige Wuppertal geografisch gesehen alles andere als ein Radfahrerparadies. "Eine kontinuierliche Förderung zahlt sich trotzdem aus", meint Studienleiter Böhmer. Es gehe um ein subjektives Gefühl der Wertschätzung. Möglich also, dass in den nächsten Jahren auch diverse Ruhrpottstädte noch stark aufholen werden. Immerhin wird der dortige Fahrrad-Highway RS1 nach und nach erweitert.

Fast jeder zweite Verunglückte war ein Radfahrer

Umgekehrt empfinden die Radfahrer zugeparkte oder zu schmale Radwege als störend. Auch Fahrraddiebstahl wird in der Umfrage immer wieder als Ärgernis genannt. Am allerwichtigsten aber ist den Radlern ihre Sicherheit. Doch auch hier kann Münster nicht länger glänzen: Laut polizeilicher Unfallstatistik ist die Gesamtzahl der Verkehrsunfälle im Jahr 2016 um fünf Prozent gestiegen. Beinahe jeder zweite Verunglückte war ein Radfahrer.

All das weiß natürlich auch Markus Lewe, der Münsteraner Oberbürgermeister. Der CDU-Politiker, der selbst häufig auf dem Rad gesichtet wird, glaubt nicht, dass seine Stadt den Ausbau verschlafen hat. "Ich würde eher sagen, die anderen sind wach geworden", sagt Lewe. "Weltweit ist Radfahren ein großes Thema, und deshalb schneiden auch immer mehr Städte gut ab." Ein wenig selbstkritisch gibt er sich dann aber doch. "Wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen", meint das Stadtoberhaupt und fängt an aufzuzählen: 13 neue Velo-Routen seien geplant, um Münster mit dem Umland zu verbinden. Hinzu komme ein zweiter Fahrradring um die Innenstadt. Die Ausweisung von Fahrradstraßen werde fortgesetzt. "Wir haben da eine ganze Reihe von Maßnahmen in der Pipeline", sagt Lewe. Wann die fertig sein werden? "Innerhalb der nächsten fünf Jahre. Und bis dahin werden wir unseren Radfahranteil weiter steigern."

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