Politische Rhetorik:Warum "links" und "rechts" längst verbrannte Begriffe sind

Protesters March During The G20 Summit

Ausschreitungen bei den G-20-Protesten am 7. Juli: Es gibt kein Kontinuum vom Marxismus zur kleinkriminellen Militanz, die in Hamburg ausgerastet ist.

(Foto: Getty Images)

Nach den G-20-Krawallen in Hamburg bekommt das überholte Links-rechts-Mitte-Schema der Siebziger wieder Auftrieb - mit verheerenden und sehr realen Folgen.

Von Jens Bisky

Ganz verschwunden war das schlichte Weltbild von der guten Mitte und den gefährlichen Rändern nie, aber man hatte einst hoffen dürfen, es würde allmählich verblassen und schließlich seinen verdienten Platz in den Rumpelkammern des Kalten Krieges finden. Nach den gipfelbegleitenden Krawallen in Hamburg dominiert diese Sicht auf politische Verhältnisse und Strömungen große Teile des öffentlichen Gesprächs. Es gibt links und rechts und auf beiden Seiten Extremisten, die politische Mitte soll sich durch gleiche Distanz zu beiden auszeichnen, im antitotalitären Konsens zu sich finden.

Gewiss, die offene Gesellschaft und die staatliche Ordnung der Republik sind nichts Selbstverständliches und müssen gegen ihre Feinde verteidigt werden. Doch ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass der "Dienstleister für Demokratie", der Verfassungsschutz, mit seiner simplen Kategorisierung links - rechts, Mitte - Extreme, auf ein lange Geschichte der Skandale und Fehleinschätzungen zurückblicken kann.

Es ist durchaus möglich, zugleich ein Liberaler, ein Konservativer und ein Sozialist zu sein

Kritiker wie der Jurist Horst Meier und der Politologe Claus Leggewie plädieren seit Jahren mit guten Gründen für eine andere Sicherheitsarchitektur, für eine, die funktioniert. Dem Verfassungsschutz fehle, so Meier, ein rationales Kriterium, um Wichtiges von Unwichtigem, Gefährliches von Ungefährlichem zu unterscheiden. Die Scientologen in Hamburg hat man beobachtet, die Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta, einen der Attentäter des 11. September, übersehen. Das NSU-Trio blieb lange unentdeckt, aber man überwachte brav den Linken-Politiker Bodo Ramelow, der inzwischen Ministerpräsident Thüringens ist. Deutlicher lässt sich Orientierungslosigkeit kaum demonstrieren.

Wenn nun wesentliche Elemente der Verfassungsschutzfolklore in der öffentlichen Diskussion mit Ingrimm revitalisiert werden, dann wird eine sprachlich-ideologische Realität geschaffen, die mit den tatsächlichen Verhältnissen wenig zu tun hat. Es entstehen auf diese Weise viele Kolumnentitel und Redeanlässe, man kann darüber schreiben, warum man nicht mehr links ist oder nun erst recht, man kann das Ende der Linken diagnostizieren oder deren Notwendigkeit beschwören, man kann ein Idealbild von links und rechts und Mitte entwerfen und dann mit der Wirklichkeit schimpfen, weil sie den eigenen Entwürfen nicht folgt. Aber all das verstellt den Blick auf die politische Landschaft.

Zweifelsohne ist es vielen wichtig, sich links oder rechts zu etikettieren. Manche basteln sich eine Identität daraus. Zum Verständnis der gegenwärtigen Konflikte aber, zur Vermessung der Kampffelder und Komfortzonen ist die Einteilung zu grob. Was ist über die Partei die Linke gesagt, wenn man sie links nennt und nicht hinzufügt, dass sie eine antisozialdemokratische Gründung ist und viele Sozialdemokraten sich ebenfalls links nennen? Wo es konkret wird, wenn die Rede etwa vom Verhältnis zu Russland ist, von der Flüchtlingspolitik oder Europa, gehen die Meinungen in den meisten Parteien, Milieus, Bewegungen durcheinander. Und das ist nicht zufällig, sondern notwendig so.

Der polnische Philosoph Leszek Kołakowski veröffentlichte 1978 in der Zeitschrift Der Monat einen kurzen Text, um zu erklären, "Wie man ein konservativ-liberaler Sozialist sein kann". Er nennt zu jeder der drei Weltanschauungen, die das 19. Jahrhundert hinterlassen hat, drei regulative Ideen. Zum Beispiel: Man denke konservativ, wenn man glaube, dass es kein Happy End der menschlichen Geschichte gibt. Man denke liberal, wenn man glaube, dass vollkommene Gleichheit ein selbstzerstörerisches Ideal sei. Man denke sozialistisch, wenn man glaube, dass die Unmöglichkeit einer vollkommenen Gesellschaft nicht jede Form der Ungleichheit und des Profits rechtfertige.

Die Formel vom "linken Extremismus" verschattet den Blick

Da seine Sammlung regulativer Ideen widerspruchsfrei sei, so Kołakowski, könne man ein konservativ-liberaler Sozialist sein. Er folgerte daraus, dass keines dieser Worte mehr für sich und allein eine lebensfähige Option symbolisiere. Man kann das Argument zuspitzen: Nur unter Preisgabe der Vernunft könne man heute ausschließlich konservativ, liberal oder sozialistisch sein. Ironisch schlug Kołakowski vor, auf der Grundlage dieser Ideensammlung eine Internationale zu gründen, Motto: "Bitte vorwärts zurücktreten". Und er gab zu, dass diese Internationale wohl klein bleiben werde, weil sie den Menschen nicht versprechen könne, "dass sie glücklich sein werden".

Aber klarer im Kopf wären sie schon, würden sie auf ideologische Konsequenz verzichten, dennoch regulative Ideen ernst nehmen und sich der Wirklichkeit zuwenden. In den Anfangsjahren der Berliner Republik sah es immer wieder mal so aus, als könnte dies eine Selbstverständlichkeit werden.

Heute werden Beobachtungen ideologischer Inkonsequenz gern zur Selbstinszenierung genutzt. Man erzählt dann, wie jüngst Matthias Matussek in der Zeit, Konversionsgeschichten oder preist sich als unabhängigen Kopf. In der abgehobenen sprachlich-ideologischen Realität der Links-rechts-Einteilung geht es ohnehin selten um den Versuch von Erkenntnis, Wahrheit und Empirie sind da Nebensachen. Am wichtigsten ist es, sich zu positionieren und die eigene Position dann aufzuhübschen, nicht mit Argumenten, sondern mit leeren Gesten der Provokation oder des Auftrumpfens. Dabei ist das Provokante so wenig ein Wert an sich wie das Quergedenke oder Rebellentum.

Die Verfassungsschutzfolklore hat durchaus reale Folgen. Die Rede vom linken und rechten Extremismus suggeriert ein Kontinuum, das von akzeptablen Positionen bis zu den "extremistischen Bestrebungen" reicht. Das erlaubt es, im politischen Alltag Gruppenhaftung einzuführen, Distanzierungen zu verlangen, Ausgrenzungsbereitschaft zu mobilisieren. Aber es gibt kein Kontinuum von konservativen Überzeugungen hin zu völkisch motiviertem Schlägertum. Und es gibt kein Kontinuum vom, sagen wir, Marxismus zur kleinkriminellen Militanz, die vor Kurzem in Hamburg ausgerastet ist.

Die Formel vom "linken Extremismus" verschattet auch hier den Blick. Wer Autos anzünden will, findet schon eine Begründung. Das ideologische Etikett ersetzt nicht die Betrachtung des Milieus, der Lebensstile, Lebensläufe, Radikalisierungskarrieren. Als Etikett allein sagt es wenig. Gern wüsste man, was die Militanten sehen, wenn sie Steine werfen. Stimmt der Verdacht, dass sie Polizisten so wahrnehmen, wie einst schlechte Herrschaften, der Pöbel der höheren Stände, auf das Gesinde blickten? Ethnologie, Soziologie und - nach Straftaten - Ermittlungsverfahren versprechen mehr Erkenntnisse als Gesinnungskunde.

Der neue Antikapitalismus ist heimatlos. Noch weiß niemand, wohin er führt

Das ungenaue, arg in die Jahre gekommene Links-rechts-Schema nährt die Illusion, man könne die notwendigen Kulturkämpfe der Gegenwart in den Kostümen der Siebzigerjahre führen, obwohl sie schon damals schlecht passten. Mit links, rechts und Mitte kennt die Bundesrepublik sich aus. Aber die Routinen werden nicht ausreichen. Wir erleben das Entstehen einer antibürgerlichen, völkischen Bewegung, die linke Protestformen kopiert und verfeinert. Wir sehen eine politische Heimatlosigkeit des Antikapitalismus, eine Ohnmacht, von der noch nicht sicher ist, wie sie sich ausdrücken wird.

Viele Konflikte liegen jedenfalls quer zu den vertrauten Einteilungen. Die Fixierung auf links oder rechts erschwert den Streit um eine der unausweichlichen Fragen, der nach der künftigen Gestalt des Nationalstaats. Sollen die Prozesse der Entgrenzung und Liberalisierung, die 1989 begonnen haben, fortgesetzt werden? Wer kann dabei wie modifizieren, steuern? Oder wäre eine Re-Nationalisierung besser geeignet, Sozialstaatlichkeit in den Dauerkrisen zu erhalten? Beide Wege werden derzeit in Europa beschritten. Es wäre ein müßiges Spiel, die Argumente dafür und dagegen nach verfassungsschutzfolkloristischen Vorgaben zu sortieren.

Politisch stärkt die Verfassungsschutzfolklore den Ausbau des Präventionsstaates, der Bedrohungen identifiziert, vielfältige Techniken der Überwachung einsetzt und die Grenzen des Gefährlichen und mithin polizeilich zu Bearbeitenden ausweitet. Die Konjunktur von Gefahrenmanagement und Angstkommunikation befördert, wie der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl vor Kurzem in einem Vortrag zeigte, die Entpolitisierung des Politischen. Da hilft dann das alte Rechts-links-Schema zur Erinnerung, dass es einmal anders gewesen ist.

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