Projekt an der LMU:Wie depressive Eltern ihre Kinder schützen können

Lesezeit: 4 min

  • Depressionen sind für die Betroffenen eine schwere Last - auch weil sie wissen, dass Tochter oder Sohn ein erhöhtes Risiko haben, auch an einer psychischen Störung zu erkranken.
  • Ein Projekt an der Ludwig-Maximilians-Universität will durch Prävention Kinder vor der Krankheit bewahren.
  • Das erhöhte Risiko sei zum Teil biologisch bedingt, zum Teil aber auch durch Einflüsse aus der Umwelt - und die können verändert werden.

Von Inga Rahmsdorf

Andrea Becker konnte morgens nicht aufstehen, schleppte sich durch den Tag, fühlte sich von allem überfordert und fand nachts keinen Schlaf. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Die Münchnerin erkrankte kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes an einer Depression. Das ist 13 Jahre her. Mit ihren beiden Töchtern hat sie nie über ihre Erkrankung gesprochen. Warum auch? Ihr ging es mittlerweile besser, sie war lange in Psychotherapie. Dabei wusste sie, dass ihre Kinder ein erhöhtes Risiko haben, selbst an einer psychischen Störung zu erkranken. Beckers eigene Eltern litten unter Depressionen. Doch wie sollte sie ihre Töchter davor schützen?

Vor zwei Jahren erfuhr Becker dann von einem Projekt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Ärzte und Psychologen bieten dort ein Programm für Familien an, bei denen mindestens ein Elternteil an einer Depression leidet. Sie wollen durch Prävention verhindern, dass die Kinder auch erkranken. Das erhöhte Risiko ist zum Teil biologisch bedingt, zum Teil aber auch durch Einflüsse aus der Umwelt. Und die können verändert werden, davon sind die Wissenschaftler überzeugt. "Wir wollen die Kinder und Jugendlichen schützen, indem sie mehr über die Krankheit erfahren und lernen, besser damit umzugehen", sagt Belinda Platt, die das Projekt leitet.

Psychotherapie
:Viele depressive Menschen werden alleingelassen

Fast jeder Fünfte, der an einer schweren Depression leidet, bleibt unbehandelt. Ob Betroffene Hilfe erhalten, hängt stark vom Wohnort ab.

Von Kim Björn Becker

Kinder präventiv vor Depressionen schützen, ist ein Thema, das in Deutschland bisher wissenschaftlich kaum erforscht ist. Deshalb ist das Projekt auch als Studie angelegt. Vor zwei Jahren haben die ersten Familien mit dem Kurs begonnen, er umfasst jeweils über sechs Monate hinweg zwölf Gruppensitzungen. Nun sind die ersten Daten ausgewertet. Sie zeigen, dass die Kinder nach dem Kurs weniger Auffälligkeiten aufweisen im Vergleich zu einer Testgruppe von Betroffenen, die nicht daran teilnimmt.

"Schon nach sechs Monaten sehen wir, dass die Kinder besser mit Stress und Belastung umgehen können", sagt Platt. "Doch das ist nur ein Trend." Um wissenschaftlich belastbare Aussagen treffen zu können, ist es noch zu früh. Bisher haben erst 80 Familien an dem Projekt teilgenommen. Repräsentative Aussagen kann man erst bei mindestens 100 Teilnehmern treffen. Doch es ist schwierig, Familien zu gewinnen.

Dabei gibt es wohl Tausende Kinder in München, deren Eltern unter Depressionen leiden. Etwa jeder Vierte erkrankt im Laufe seines Lebens an einer Depression oder Angststörung. Und etwa 50 Prozent der Kinder, deren Eltern betroffen sind, entwickeln bis zum 21. Lebensjahr selbst Symptome. Johanna Löchner und Kornelija Starman, Psychologinnen der LMU, suchen verzweifelt in München nach Teilnehmern, stellen das Projekt regelmäßig vor, reden mit Familien. Doch immer wieder treffen sie auf Vorbehalte und Stigmatisierungen. Meine Kinder möchte ich da raushalten, heißt es häufig.

"Viele Eltern haben Angst davor, ihre Kinder mit dem Thema zu belasten. Sie befürchten, dass sie erst durch den Kontakt mit uns erkranken oder durch die Berührung mit dem Thema überfordert wären", sagt Löchner. Viele schämen sich auch für ihre Krankheit. "Dabei spüren es die Kinder sowieso. Ihnen kann man nichts vormachen, sie haben nur kein Wort für die Krankheit ihrer Eltern und können es nicht einordnen", sagt Platt.

Die Psychologinnen sind überzeugt davon, dass man den Kindern am besten durch Aufklärung und ein Training hilft. Sie versprechen nicht, dass der Kurs ein Leben lang vor Depression schützt. Aber die Kinder lernen Methoden, um im Alltag besser mit schwierigen Situationen und Stress umzugehen und gar nicht erst in eine Negativschleife hineinzugeraten. Zudem gehe es auch darum, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zu stärken. Bei jeder anderen Krankheit würden Eltern doch alle Möglichkeiten zur Prävention nutzen, sagt Löchner.

Das wurde auch Andrea Becker bewusst, als sie von dem Programm erfuhr. Sie sprach daraufhin das erste Mal mit ihren Kindern über ihre Depression. Die erklärten sich bereit, gemeinsam an dem Programm teilzunehmen. "Natürlich wusste ich, dass es viele Menschen gibt, die davon betroffen sind. Doch ihnen gegenüber zu sitzen, das war schon ein großer Unterschied", sagt Becker.

Zu sehen, dass auch in anderen Familien nicht alles rund läuft, sei sehr erleichternd gewesen. "Und ich habe gemerkt, wenn ich den Kindern erkläre, was los ist, dann können sie besser damit umgehen und fühlen sie sich viel weniger verantwortlich", sagt Becker. Schuld ist ein großes Thema. "Die Kinder fühlen sich schuldig, wenn es ihrer Mutter oder ihrem Vater schlecht geht. Und die Eltern fühlen sich schuldig, dass sie ihre Kinder damit belasten", sagt Löchner. Doch alle schweigen. Auch für den Partner ist oft schwer nachzuvollziehen, was der Betroffene durchmacht. Ihrem Mann habe der Kurs geholfen, ihre Krankheit besser zu verstehen, sagt Becker.

Daniela Hoffmann hat gerade erst mit dem Programm an der LMU angefangen. Die Münchnerin erkrankte an einer Depression, als ihr zweiter Sohn ein Jahr alt war. Ihr Haushalt habe zwar weiter funktioniert, sagt Hoffmann, aber sie habe sich durch den Tag gequält, war manchmal total gelähmt. Dann kamen die Suizidgedanken. Hoffmann ist Krankenschwester, sie kennt die Symptome der Krankheit. Eigentlich. Trotzdem hat sie ein halbes Jahr gebraucht, bis sie sich selbst Hilfe gesucht hat. Hoffmann machte eine Therapie und nimmt seither Medikamente.

"Wenn es kommt, dann denkt man, es gehört sich so. Man ist halt nicht gut drauf. Es kommt angeschlichen und dann vergeht viel Zeit, bis man erkennt, dass es eine Depression ist", sagt Hoffmann. Das würde sie ihren Kindern gern ersparen. Sie erhofft sich von dem Kurs, dass ihre Söhne lernen, die Symptome frühzeitig zu erkennen, sollten sie selbst einmal erkranken. Und dass sie offen damit umgehen können. Auch Hoffmann hat mit ihren Kindern erst darüber gesprochen, als sie von dem Programm erfuhr.

Offen damit umgehen, das ist nicht immer einfach. Daniela Hoffmann und Andrea Becker heißen eigentlich anders. Ihnen ist es wichtig, dass das Thema Depression nicht länger stigmatisiert wird und man sich nicht verstecken muss. Daher haben sie auch lange überlegt, ob nicht ihr richtiger Name in der Zeitung stehen soll. Doch sie möchten nicht, dass ihre Kinder deswegen gemobbt werden. Becker ist zudem Personalreferentin und hat einen neuen Job in einer großen Firma. Noch ist sie in Probezeit. "Ich kann nicht einschätzen, wie meine Kollegen reagieren würden, würden sie von meiner Krankheit erfahren, besonders meine Vorgesetzten", sagt sie. Hätte Becker eine Bronchitis oder einen Bandscheibenvorfall, würde sie sich darüber wahrscheinlich keine Sorgen machen.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBehandlung von Depression
:Stärker als jedes Medikament

Verdunkelt eine Depression die Seele, hilft Psychotherapie den meisten Patienten mehr als verschreibungspflichtige Mittel. Über verschiedene Behandlungsmethoden und ihre Wirkung.

Von Christian Weber

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: