Bundestagswahl:Verdienen Frauen 21 Prozent weniger als Männer?

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Eine Frau demonstriert für gleiche Bezahlung.

(Foto: Joe Raedle/AFP)

Das behauptet Martin Schulz in einem Tweet. Doch stimmt das auch wirklich? Die Aussage des SPD-Kanzlerkandidaten im Faktencheck.

Von Julian Freitag, Berlin

Die Aussage

"Warum bekommen unsere Töchter Ø 21% weniger Gehalt als unsere Söhne? Als Vater macht mich das wütend. Als Bundeskanzler will ich das ändern", schrieb SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am 20. August auf Twitter.

Verdienen Frauen wirklich rund ein Fünftel weniger als Männer?

Gerechtigkeit ist das große Leitthema, mit dem Martin Schulz die Bundestagswahl für die SPD gewinnen möchte. Ein besonderes Anliegen scheint dem Kanzlerkandidaten dabei die gleiche Bezahlung von Mann und Frau zu sein. Schon im März, als Schulz das erste Mal öffentlich sein 100-Tage-Programm als Kanzler skizzierte, nannte er die Lohnungleichheit eine der "größten Ungerechtigkeiten" in Deutschland. Die unterschiedliche Bezahlung von Mann und Frau steht auch im Wahlprogramm der SPD. Wie in Schulz' Twitter-Post heißt es auch da: "Frauen erhalten im Durchschnitt 21 Prozent weniger Lohn als Männer." Nähere Details zur Berechnung der Zahl werden an beiden Stellen aber nicht genannt.

Es lohnt sich jedoch, die Statistik hinter diesem Wert zu betrachten. Erhoben hat den sogenannten Gender Pay Gap, also die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, das Statistische Bundesamt. Die Wissenschaftler haben den durchschnittlichen Bruttostundenlohn von angestellten Männern und Frauen berechnet und dann verglichen. Dabei fassen sie alle Arbeitnehmer zusammen, unabhängig von Beruf, Alter und Qualifikation. Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einige Branchen wie der öffentliche Dienst oder das Militär wurden ausgenommen. Nur so kann Eurostat, das Statistische Amt der EU, die Daten aller Mitgliedsstaaten vergleichen. Das Statistische Bundesamt betont, die fehlenden Branchen sorgten für "keine relevanten Abweichungen" beim Ergebnis.

Während ein Mann im Jahr 2016 durchschnittlich 20,71 Euro pro Stunde verdiente, waren es bei einer Frau nur 16,26 Euro. Um den gleichen Bruttolohn wie ein Mann zu erhalten, musste eine Frau also statt einer Stunde etwa 76 Minuten arbeiten.

Was sich aus diesen Werten nicht herauslesen lässt: Männer und Frauen üben nicht zu gleichen Teilen die gleichen Tätigkeiten aus. Auch unterscheiden sich Berufserfahrung, Bildungsgrad und der Anteil von Teilzeitjobs je nach Geschlecht. Diese sogenannten "strukturellen Unterschiede" haben jedoch einen maßgeblichen Einfluss auf die Statistik.

So gehören zu den Berufen mit den niedrigsten Gehältern laut Statistischem Bundesamt das Friseurhandwerk und die Fußpflege - über 90 Prozent der Beschäftigten dort sind Frauen. Im Verhältnis zu den Männern sinkt damit ihr Durchschnittsgehalt über alle Branchen hinweg überproportional stark. Umgekehrt verhält es sich bei hochbezahlten Führungspositionen: Hier sind deutlich mehr Männer tätig, was deren Durchschnittseinkommen erhöht.

Eine Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verdeutlicht die Unterschiede: Demnach verdienten im Jahr 2014 Angestellte in den zehn häufigsten Berufen mit über 70 Prozent Frauenanteil durchschnittlich 39 Prozent weniger als Angestellte in den zehn beliebtesten Männerberufen. Ein Grund ist dem DIW zufolge die höhere Akademisierungsrate innerhalb der Tätigkeiten, die hauptsächlich Männer ausüben. Als weiteres Problem sieht das Institut sogenannte Care-Arbeiten: Typische Frauenberufe seien meist im Bereich Pflege, Erziehung und Soziales angesiedelt - und genau diese Tätigkeiten würden vergleichsweise gering entlohnt.

Das Statistische Bundesamt ist sich der genannten Probleme bei der Berechnung des Gender Pay Gap bewusst. Die Forscher errechnen deshalb alle vier Jahre einen bereinigten Wert, zuletzt war das im Jahr 2014. Zieht man die strukturellen Unterschiede ab, fallen auch rund zwei Drittel der Gehaltsdifferenz weg. Der Gender Pay Gap beträgt dann "nur" noch etwa sechs Prozent. Auch dieser Wert sei eine Annäherung, betonen die Statistiker. Es sei nie möglich, alle strukturellen Einflüsse gänzlich zu bestimmen und einzurechnen.

Dennoch bleibt die Erkenntnis: Eine Angestellte mit gleichen Qualifikationen und der gleichen Tätigkeit verdient durchschnittlich immer noch weniger als ein männlicher Kollege. Die Lücke ist jedoch wesentlich geringer, als es die von Schulz genannten 21 Prozent suggerieren.

Schaut man sich zusätzlich noch die historischen Daten an, zeigt sich außerdem ein positiver Trend: Über die vergangenen zehn Jahre hinweg ist der unbereinigte Gender Pay Gap von 23 auf 21 Prozent gesunken. Die bereinigten Gehaltsunterschiede haben sich zwischen 2006 und 2014 von acht auf sechs Prozent verringert.

Fazit

Die von Schulz und der SPD genutzte Zahl von 21 Prozent ist nicht falsch - allerdings beschreibt sie nur einen sehr grob gefassten Durchschnitt. Eine Aussage, ob Frauen bei gleicher Tätigkeit und gleichen Voraussetzungen bei der Entlohnung diskriminiert werden, erlaubt der Wert nicht. Gleichwohl wirft die Statistik die Frage auf, ob nicht auch an den strukturellen Faktoren etwas geändert werden könnte. So sind gut bezahlte naturwissenschaftlich-technische Berufe von Männern dominiert. Die SPD geht darauf in ihrem Wahlprogramm ein und will frühzeitig bei Jugendlichen für Berufe werben, "die nicht den hergebrachten Geschlechterklischees entsprechen". Gleichzeitig möchte die Partei die sozialen Berufe besser entlohnen und akademisch aufwerten.

Hätte Schulz auf die wirkliche Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau aufmerksam machen wollen, hätte er nicht die 21 Prozent geißeln sollen. Vielmehr müssten dann die bereinigten sechs Prozent Erwähnung finden. Die klingen auf den ersten Blick natürlich nicht so immens. Hochgerechnet auf einen Bruttolohn von 2000 Euro wären das aber immer noch 120 Euro weniger Gehalt für eine Frau bei gleicher Tätigkeit und Qualifikation.

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