Reproduktionsmedizin:Fundamentale Eingriffe in das menschliche Ergbut - und niemand spricht darüber

Rechtsverordnung für Embryonen-Gentests

Wie weit sollte die Manipulation von Genen möglich sein?

(Foto: dpa)

Wie weit sollten Forscher im Kampf gegen Krankheiten gehen dürfen? Das sind Fragen der Zukunft - die der aktuelle Wahlkampf vollkommen ausklammert.

Gastbeitrag von Peter Dabrock

Es ist Wahlkampf in Deutschland; im Weißen Haus regiert Donald Trump. Da muss alles andere in den Hintergrund treten. Wirklich alles? Gilt das auch, wenn die biologische Basis unseres Menschseins zur Disposition steht? Ist das ein Hintergrundthema? Oder werden wir uns eines Tages von unseren Kindern und Enkeln die Frage stellen lassen müssen: "Wo wart ihr, was habt ihr getan, als Wissenschaftler sich anschickten, fern der mit anderen Problemen oder in ihren Filterblasen Beschäftigten das menschliche Genom zu verändern?"

Mich treibt weder die Furcht vor Designerbabys, noch möchte ich religiös oder romantisch motiviert eine radikale "Heiligkeit des Lebens" verteidigen. Als Christ und Mensch der Moderne bin ich vielmehr davon überzeugt, dass wir in die Natur eingreifen dürfen und sollen - allerdings auf verantwortliche Weise. Deshalb bin ich erschüttert, wie wir, und damit meine ich nichts weniger als die Weltgesellschaft, offenbar ahnungslos hineinschlittern in irreversible, systematische Änderungen des menschlichen Erbguts.

Mittels genetischer Manipulation soll die schwere Erbkrankheit eines Individuums therapiert werden

Nun kann man natürlich der Auffassung sein, dass wir solche Veränderungen zulassen sollten, vor allem wenn uns therapeutischer Nutzen recht risikolos versprochen wird. Aber selbst wenn man diese Position vertritt, darf man doch Fragen von so grundlegender Bedeutung wie die Manipulation unserer biologischen Basis nicht - wie es derzeit passiert - der Wissenschaftsgemeinschaft allein überlassen.

Peter Dabrock

ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Der evangelische Theologe hat einen Lehrstuhl für Systematische Theologie/Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen inne.

In ihr werden derzeit Fakten gesetzt: Vor etwas mehr als zwei Jahren führten chinesische Wissenschaftler erstmals Versuche an menschlichen Embryonen mit der revolutionär präzisen, günstigen und recht leicht zu handhabenden Gen-Schere durch. Ihre Ergebnisse waren eher lausig und produzierten wider Erwarten viele Nebenwirkungen und Ungenauigkeiten. In diesem Monat konnte dann ein internationales Forschungsteam unter Federführung einer amerikanischen Universität die Nebenwirkungen bei den beabsichtigen Grundlagenversuchen für spätere Keimbahnveränderungen deutlich senken und die Effektivität signifikant erhöhen.

Als Ziel gaben die Forscher aus China und den Vereinigten Staaten unumwunden zu: Mittels genetischer Manipulation soll nicht nur die schwere Erbkrankheit eines Individuums therapiert werden. Vielmehr soll dauerhaft verhindert werden, dass auch mögliche Nachkommen des Mensch gewordenen Embryos diese Krankheit weitertragen. Es handelt sich also um absichtsvolle - und nicht nur wie bei einer radiologischen Untersuchung oder einer Chemotherapie um eine in Kauf genommene, zufällige - Keimbahnveränderung. Solche gibt es von Natur aus immer. Nichts anderes sind ja Mutationen. Etwas anderes ist es, wenn Menschen absichtsvoll ihre eigene Evolution steuern wollen. Dann müssen sie dafür Verantwortung übernehmen.

Wenn es um den Menschen geht, dann reicht nicht der deutsche Inselblick

Auffallend ist, wie sehr sich das Klima innerhalb der Wissenschaft gewandelt hat: Gab es nach der ersten chinesischen Studie vor zwei Jahren noch weltweite Empörung und einen nahezu einhelligen Konsens, wenigstens auf die Implantation genmanipulierter Embryonen verzichten zu wollen, scheint man heute nur noch um den Zeitpunkt zu streiten, an dem der Mensch als genetisch veränderter Organismus (GVO) Wirklichkeit werden soll. Noch mehr fällt auf, dass die Politik gerade zu den jüngsten Versuchen auf breiter Front schwieg.

Angesichts der Bedeutung für das Verständnis des Menschseins verwundert dies nicht nur, es ist zutiefst beunruhigend. Da nutzen auch die üblichen Erklärungen nicht, dass andere Themen vielleicht nicht bleibend wichtiger, dafür aber jetzt dringlicher seien; auch nicht der Hinweis, dass man die - bei uns in Deutschland sogar grundrechtlich verbürgte - Forschungsfreiheit nur sehr vorsichtig einschränken dürfe und wir im Übrigen hier die Dinge klar geregelt hätten: Das Embryonenschutzgesetz verbiete Embryonenforschung und Keimbahninterventionen.

Wenn es um den Menschen in seiner biologischen Ausstattung geht, dann reicht nicht der deutsche Inselblick, dann muss die Weltgesellschaft in ihrer repräsentativen Form, sprich: auf der Ebene der Vereinten Nationen, reagieren. Und sie darf auch einschränkende Regeln festlegen, wenn die folgenden Fragen zu beantworten sind: Wollen wir solche Veränderungen? Kann ein Ziel - hier: die Therapie schwerer Erkrankungen - moralisch gut bleiben, wenn der Weg dorthin moralisch äußerst fragwürdig ist?

Wird die natürliche Zeugung ein Auslaufmodell?

Der Weg - das sind auf unabsehbare Zeit gesundheitsgefährdende Versuche an späteren Menschen, die nicht einwilligen können. Wollen wir solche ins Erbgut eingreifenden Therapieversuche wagen, obwohl die krankheitsverhindernden Effekte durch eine Präimplantationsdiagnostik genauso entdeckt werden könnten? Wo ziehen wir die Grenze für solche Keimbahnveränderungen? Tausende monogenetische Erbanlagen sind bekannt. Welche Genvarianten sollten ausradiert werden?

Wollen wir diese Art von Manipulationen, auch wenn sie eine Vorlage für weiter reichende vermeintliche Perfektionierungen des Menschen bieten? Welche Risiken wollen wir späteren Generationen aufbürden, obwohl wir durch die Erkenntnisse in Systembiologie und Epigenetik aus den vergangenen Jahren wissen, dass manche Folgen genetischer Veränderungen erst bei den Kindeskindern auftreten können? Auch die kann keiner nach ihrer informierten Einwilligung fragen. Wird die natürliche Zeugung nur deshalb kein Auslaufmodell, weil sich Genbereinigungen sowieso nur eine reiche Oberschicht leisten kann? Und können selbst hartgesottene Rationalisten den Umstand übergehen, dass wohl Milliarden Menschen größtes Unbehagen empfinden, wenn so tief in das Vorgegebene eingegriffen wird?

Zu all diesen Fragen gibt es kontroverse Positionen, auf der Ebene globaler Politik werden sie derzeit aber überhaupt nicht diskutiert. Natürlich soll man in Forschung und Therapie investieren, aber angesichts der enormen Komplexität der Evolution müssen wir doch größte Vorsicht walten lassen, wenn wir uns selbst als Evolutionsbeschleuniger aufspielen wollen. Zu dieser Zündelei gibt es genügend sinnvolle Alternativen. Vor allem sollten solche Fragen nicht nur in wissenschaftlichen, ethischen und zivilgesellschaftlichen Kreisen debattiert werden. Die völkerrechtlich zwar schwache, in der Sache aber starke Formel vom "Genom als Erbe der Menschheit" formuliert die Dramatik der Aufgabe. Trotz Wahlkampf, trotz dringlicher erscheinender Probleme müssen die Politiker sich des Themas endlich annehmen - global, bevor es zu spät ist.

Peter Dabrock ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrats.

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